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Erzählt man in Deutschland anders? Eine Beobachtung zu den Erzählstrukturen in deutschen und amerikanischen Krimiserien

Amerikanische Krimi-, Profiler- und Actionserien sind, spätestens seit mitte der 80er Jahre und dem flutartigen Einkauf durch private Fernsehkanäle, voll im Trend. Dieser Trend hält weiterhin an, erfreuen sich doch die zahlreichen Serien großer Beliebtheit, indess deutsche Krimi-Produktionen, vor allem von jüngeren Fernsehzuschauern, eher belächelt und als langweilig abgestempelt werden. Denn bei vielen hat der allsonntägliche „Tatort“ immer noch den Status des Alte-Leute-Krimis.

Thematisch sind sich amerikanische Serien (wie z. B. „CSI“, „Law and Order“/“Law and Order New York“ oder „Cold Case“) jedoch mit denen der „Tatort“-Krimireihe und weiteren deutschen Krimiserien (z. B. aus dem Vorabendprogramm) ähnlich: Es geht um Mord, welcher aus verschiedensten Beweggründen passiert, um Vergewaltigung und um zwischenmenschliche und oftmals auch soziale Probleme. Aber irgendetwas muss es geben, das viele Fernsehkrimifans veranlasst, eher die amerikanischen Produktionen zu bevorzugen. Ist der „Tatort“, der inzwischen seinen 40. Geburtstag feiern kann, für junge Krimiinteressenten vielleicht nicht actionreich genug?

Wirft man einen ersten oberflächlichen Blick auf verschiedenste Serien, so fällt auf, dass es bei den amerikanischen Serien andere Erzählstrukturen gibt, d. h. der Episodenablauf ist hier rasanter gestaltet und Elemente wie Ton und Bild werden anders eingesetzt. Dies soll im Folgenden nun genauer erläutert werden.

In den Fluten aus Bildern und Tönen – Amerikanische Krimiserien

Wer ist die Frau auf dem Bildschirm… und warum ist sie jetzt eigentlich tot? War es der eifersüchtige Ehemann oder doch ihr Latin Lover? Man kann es nur erahnen, was sich in den ersten 30 Sekunden abgespielt hat. Zu rasant ging die Handlung der ersten Sekunden von Statten, begleitet von einem voluminös anmutenden Soundmix aus Rockmusik, Sprachfetzen und einem erlösenden Schrei, bevor dann schon Polizei, Kriminaltechnik und Mediziner zur Stelle waren. Wenn man überhaupt etwas über die Getöteten erfährt. Denn oftmals wird in der Anfangsszene lediglich gezeigt, wie irgendein Passant, ein Liebespärchen, spielende Kinder, Bauarbeiter (oder wer auch immer) buchstäblich über die Leiche stolpern.

Aber will man überhaupt wissen, wer die Frau war? Braucht man heute überhaupt noch tiefgründige Informationen? Das „Wie“, „Wer“ und vor allem das „Warum“ wird ja von den Ermittlern in nur knapp 45 Minuten aufgeklärt … und sollten sie es doch einmal nicht schaffen, macht man halt eine Doppelfolge draus, lässt sich eh besser Bewerben und vermarkten.

Im Laufe der Sendezeit wird uns das Leben der ermordeten Person und der vermeintlichen Verdächtigen im Schnelldurchlauf präsentiert – Fehleinschätzungen und –Verdächtigungen nicht ausgeschlossen. Der Rezipient ist, durch kurze Rückblenden, mitten im Geschehen, kurz oder nach dem Mord oder bei irgendeinem anderen Ereignis. Diese Erzählweise der Rückblende findet sich in zahlreichen, vor allem amerikanischen Serien wieder und wurde, vor allem in den letzten zehn Jahren, in diesem Sektor immer populärer.

Mit viel technischem Know how, dem Wunderwerk PC und einer kleinen Portion Emotionen lösen die Ermittler zahlreicher amerikanischer Serien ihre Fälle, ohne jedoch in einer Episode zu viel von sich Preis zu geben.

Zwar sind die Episoden in sich abgeschlossen, das Verbrechen wurde in den meisten Fällen aufgeklärt, über das leicht angesprochene Problem eines Ermittlers weiß man jedoch nichts weiter. Hierfür müsste man wohl die komplette Staffel rezipieren, denn pro Folge wird, wie in einem großen Puzzle, ein Bruchstück des Privatlebens der Ermittler aufgedeckt. Und hat man das Puzzle zusammengefügt, scheidet der Ermittler aus und macht Platz für einen Neuen, die Serie muss ja interessant bleiben.

Während in anderen Filmen und Serien die Handlung durch eher filmtypische, klassische Musik untermalt wird, findet sich in amerikanischen Krimiserien Musik verschiedenster Genres wieder – von Rock über Breakbeat bis hin zu Dance, Genres der aktuellen Mainstreamkultur eben.

Das serielle Leben ist inzwischen rasant und schnelllebig geworden, genau wie unser eigenes. In nur 45 Minuten werden Leute umgebracht, obduziert, das Umfeld der getöteten Person durchforstet und (oftmals zunächst) die (falschen) Täter ermittelt. Für Zwischenmenschliches ist hier kein Platz! Mal ein Kuss, die Andeutung einer Verabredung oder kleine Anzeichen von Privatleben, mehr ist in der kurzen Zeit nicht drin. Dies wirft erneut die Frage auf, ob wir das vermeintlich Fehlende überhaupt brauchen? Reicht das Gesehene nicht aus, um die Handlung zu verdeutlichen?

Und da man keine Zeit hat, wird auch regelmäßig in die Klischeekiste gegriffen. Da ist der (natürlich) eifersüchtige Ehemann, welcher seine Frau kontrolliert und sich am Ende über ihre Affäre wundert. Wir haben eifersüchtige Eltern, welche nicht ertragen können, dass ihre Kinder einen anderen Weg einschlagen wollen, als sie für sie vorgezeichnet haben oder, welche ihr Liebesleben nicht akzeptieren können. Diese stereotypisierten Menschenbilder kennen wir, haben uns Film und Fernsehen diese doch unser ganzes mediales Leben lang einzubläuen versucht. Nicht umsonst glauben auch manche Menschen, dass Blinde ihren Gegenüber abtasten, weil sie dies eben so im Film gesehen haben… aber das ist ein ganz anderes Thema.

Warten, bis der Tote kommt – Deutsche Krimiserien

Kann man „Tatort“ überhaupt mit amerikanischen Serien vergleichen? Sollte man dies überhaupt? Denn in einer „Tatort“-Episode haben wir 100% mehr Zeit, als in manchen Prime-Time-Serien privater Fernsehkanäle. Aber es gibt als deutsches Pendant ja nicht nur den „Tatort“. Das Vor allem zeigt ZDF Wochentags beispielsweise zahlreiche, nach dem gleichen Strickmuster gestrickte, Krimiserien, welche durch das Vorabendprogramm flimmern. (Anmerkung: Das „Großstadtrevier“ wird, aufgrund des extremen lokalen Bezugs und der Andersartigkeit nicht als klassische Krimiserie angesehen und fällt somit aus der Reihe.)

Auch in diesen Serien gibt es Tote. Nur kommen diese oftmals erst im weiteren Verlauf der einzelnen Episoden zum Vorschein und nicht, wie im amerikanischen Prime-Time-Krimi, schon innerhalb der ersten 60 Sekunden. Selbst die Vorabendserien lassen sich mehr Zeit für das Ermorden der Person. Man sieht mehr Details zum Mord, kriegt einen ausführlicheren Blick auf die einzelnen Personen und wenn dies laut Drehbuch einmal nicht vorgesehen ist, begleiten wir einen oder mehrere Ermittler in ihrem Berufs- oder Privatleben, bis dieser eine, für den ungeduldigen Fernsehzuschauer oftmals erlösende, Anruf kommt.

Während der Ermittlungsarbeiten wird hier weniger Wert auf pompöse Technik gelegt. Hier zählt noch altmodische, reine Ermittlungsarbeit. Zeugen werden scheinbar länger und ausführlicher befragt, man verplempert weniger Zeit mit Rückblenden, auch wenn dieses Stilmittel auch langsam in deutschen Krimiserien eingesetzt wird (Anm.: habe ich zuerst in „Soko 5113“ beobachten können).

Das Erzähltempo ist ruhiger und gediegener, trotz der oftmals gleich kurzen Episodendauer. Der Zuschauer wird hier nicht mit Bildern und Tönen überfordert, das Storytelling steht im Vordergrund. Ausnahmen bilden hier jedoch die Serien, die vorwiegend auf privaten Kanälen ausgestrahlt werden („Alarm für Kobra 11“, „Lasko – die Faust Gottes“, „Im Namen des Gesetzes“). Diese Serien können auch mit einem rasanteren Erzähltempo aufwarten, wirken jedoch bei weitem nicht so überladen mit visuellen und akustischen Effekten, als ihre amerikanischen Mitstreiter.

Eine Sonderstellung hat (aus meiner Sicht) die „Tatort“-Krimireihe. Sie ist für viele, vor allem junge Menschen langweilig, stellt jedoch seit 40 Jahren eine Sondersituation in der deutschen Krimilandschaft dar:
Im Gegensatz zu allen anderen Serien, gibt es im „Tatort“ mehrere Ermittlerteams, welche unterschiedliche Charakteristika bei ihrer Ermittlungsarbeit etc. aufweisen. Man könnte also von verschiedenen kleinen Serien sprechen, die zu einer großen Serie zusammengefasst werden. Der „Tatort“ kann zudem auf eine nunmehr 29-jährige Entwicklungsgeschichte zurückblicken und ist seit Beginn an an der filmischen und narratologischen Entwicklung gekoppelt. War es in den 70er Jahren noch üblich, lange Kamerafahrten zu zeigen, sich viel Zeit für das Zwischenmenschliche zu lassen, so ist über all die Jahre eine Entwicklung zu immer schnelleren Bild- und Erzählabläufen zu beobachten. In der jüngsten Episodengeschichte gab es Episoden, welche ebenfalls mit einem für die „Tatort“-Reihe schnellem Ablauf, mit actionreichen Verfolgungsjagden etc. von sich Reden machen konnten, aber gleichermaßen von Fans kritisiert wurden.

Der „Tatort“ kombiniert zudem Einflüsse verschiedenster Filmgenres und ist somit, je nach Ermittlerteam, nicht nur Krimiserie, sondern auch Komödie zugleich. Ansätze solcher Mischformen aus Krimi und Komödie sind beispielsweise auch bei amerikanischen Serien wie „Monk“ zu beobachten.

Fasst man noch mal die Beobachtungen beider Serienarten zusammen, so fällt zunächst auf, dass in deutschen Serien noch mehr Wert auf die Ermittlungsarbeit, ohne dem Einsatz von viel moderner Technik sowie der Darstellung des Privatlebens der Ermittler, gelegt wird. Jedoch ist auch hier, vor allem bei Serien der privaten Kanäle, eine Entwicklung zum amerikanischen Vorbild hin zu beobachten.

Eine Frage, die ich bislang außer Acht gelassen habe, welche jedoch bei der Rezeption solcher Serien eine nicht unbedeutende Rolle spielen dürfte ist die Zielgruppe der einzelnen Serien. Während „CSI“ und Konsorten, generell das Programm der privaten Fernsehkanäle, auf jüngere Menschen ausgerichtet ist, ist das Programm der öffentlich rechtlichen Fernsehprogramme eher auf älteres Zielpublikum ausgerichtet, welche sich (das ist jedoch nur eine Vermutung) durch Bilderfluten und zu schnelle Handlungsabläufe überfordert fühlen könnten.

Es ist erstaunlich, dass das serielle Erzählen je nach Nation unterschiedlich ausfallen kann, obwohl es hier um dasselbe Genre geht. In diesem Zusammenhang stößt man bei Recherchen oft auf den Begriff des „Quality TV“, welcher vor allem von Fernseh- und Medienkritikern in den USA in diesem Zusammenhang für solche Serien verwendet wird.


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

Eine Antwort auf „Erzählt man in Deutschland anders? Eine Beobachtung zu den Erzählstrukturen in deutschen und amerikanischen Krimiserien“

Eine Tatortfolge ist mMn ein quasi Spielfilm. 1:30h lang. Eine Folge CSI 45 Minuten o..ä.
Gibt es überhaupt amerikanische Krimi Spielfilme, Kinofilme, die eine Geschichte von mir aus klar amerikanisch Actionüberladen (aber von mir aus auch nicht), Kommissare, ein Mord, Ermittlungen, Story, Verdächtige, Festnahme, eben wie so ein Tatort aufgebaut ist, gibts da was? Wenn ich google „Amerikanische Krimi Spielfilm“, bekomme ich Thriller, die es in der Hollywood Geschichte zu hauf gibt. Aber eben vom Aufbau her Tatort. Oder nicht nur Tatort. Krimis aus Deutschland, Schweden, Skandinavien in Spielfilmlänge oder als Spielfilm gibt es viel, auch aus den USA/Hollywood? vllt. kannst du da was beantorten.

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