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Schöne Töne, schräge Typen. Deutschland sucht alles… bloß keinen Superstar

Seit Anfang Januar flimmert sie über den Schirm: die neunte Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“. Mit (zum Teil) neuer Jury und insgesamt 35.000 Bewerbern versucht RTL mal wieder, uns all samstäglich zu unterhalten bzw. zu langweilen, wenn die Übriggebliebenen ihr Liedchen trällern oder versuchen, sich gegenseitig niederzumachen. Im letzten Jahr verzeichnete RTL mit der achten Staffel enorme Einschaltquoten, welche Sendungen wie „Wetten, dass“ ihren ersten Rang in der Zuschauergunst streitig machen konnten, nicht zuletzt auch durch den Finalkampf der beiden Endkandidaten, welcher im Vorfeld durch die zahlreichen RTL-Nachrichten- und Boulevardmagazine hochgepusht wurde, hervorgerufen. Spätestens seit dieser Staffel wurde klar, dass es in dieser Castingshow um alles geht, jedoch nicht mehr um gesangliche Talente.

Staffel neun knüpft hier nahtlos an. In keinem anderen Vorcasting der vorherigen Staffeln wurden so wenig Kandidaten gezeigt, wie in diesem Jahr. Im Vordergrund standen die Präsentationen der einzelnen Kandidaten mit ihren Schicksalen, Macken und natürlich auch ihren gesanglichen Leistungen. Das ganze wurde, mehr noch als in all den letzten Jahren, durch Einspielungen, Komikelemente, Musik und Geräusche untermalt, hervorgehoben oder sogar ins Lächerliche gezogen. Derartiges sind wir bereits aus „Das Supertalent“ oder früheren „DSDS“-Staffeln gewohnt, jedoch fand die überspitzte und kommentierte Darstellung der Kandidaten, welche der reinen Unterhaltung dienen soll, in diesem Jahr einen erneuten Höhepunkt. Unterstrichen werden diese Darstellungen natürlich auch von Juror Dieter Bohlen, welcher von RTL grundsätzlich als der „Poptitan“ bezeichnet wird, der mit seinen schon in die Kritik geratenen Äußerungen die Kandidaten be- bzw. abwertet. Auf das Juroren-Urteil wird im weiteren Verlauf noch eingegangen.

Aber nicht nur das indirekte Versprechen Seitens RTL, die Zuschauer gut zu unterhalten, ist hoch. Die Sendung suggeriert auch den Kandidaten, dass diese Show das Sprungbrett ist, welches sie von der Straße in den Starhimmel befördern kann. Damit bekommt der Begriff des ‚Stars’ Dank dieser und ähnlicher Castingformate eine völlig neue Bedeutung.

Im folgenden Artikel soll nun in komprimierter Form auf das Phänomen „Deutschland sucht den Superstar“ und auf den sich wandelnden Star-Begriff eingegangen werden.

Seit 2002 sucht Deutschland nun schon seine Superstars. Menschen bewerben sich, sei es aus Selbstüberzeugung oder einfach, um zu schauen, was passiert, kommen weiter (oder nicht), singen, streiten sich untereinander, spielen die Massengegenseitig gegen sich auf, nehmen einen Song auf und werden vom Zuschauer per Telefonvoting zum neuen ‚Superstar’ Deutschlands gekürt. Sie touren durch die Lande, ihre Songs landen in den Charts (oder auch nicht) und wenn es ganz schlecht läuft, sind sie nach nur einem Album wieder in Vergessenheit geraten und dürfen sich in die Liste der zahlreichen One-Hit-Wonder einreihen.

Doch sie sind ‚Stars’, durchs Fernsehen generiert, vom Zuschauer gewählt. Was ist also ein ‚Star’? Ist er in der heutigen Zeit wirklich so kurzlebig, wie „DSDS“ es uns zeigt? Gibt es Dank der zahlreichen Castingsternchen überhaupt noch richtige ‚Super-Stars’ oder verliert ihr Status nicht sogar an Bedeutung?

Ist nicht ein ‚Star’ jemand, der scheinbar Unerreichbares erreicht, der sich durch sein(e) Talent(e) über einen längeren Zeitraum hinweg etabliert hat? So zumindest die Urdefinition des ‚Stars’. Heute sind diese Merkmale unwichtig geworden. Der ‚Star’ kann kurzlebig und ersetzbar sein. Der Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen schrieb hierzu in der „Stuttgarter Zeitung“: „Unsere Vorstellung von Prominenz verändert sich. Der Superstar verliert seine Aura in Zeiten seiner medialen Reproduzierbarkeit. Er ist nicht mehr der geheimnisvolle Protagonist einer unerreichbaren Welt, sondern wird zum Konkurrenten in einem Spiel, an dem jeder meint, teilnehmen zu können. Längst gibt es eine größere Zahl von selbstreferenziell erzeugten Medienprominenten – ohne besondere Leistung, ohne spezifische Kompetenz, ohne eine per se Interesse weckende gesellschaftliche Stellung, sei’s ein hohes Amt, sei’s ein berühmter Name. Sie sind die Neureichen im Aufmerksamkeitsgeschäft.“

Für viele mag die Bezeichnung „King of Pop“ für Michael Jackson oder „Poptitan“ für Dieter Bohlen überzogen und übertrieben wirken. Fakt ist jedoch, dass diese Menschen, gemeinsam mit zahlreichen anderen Musikern (und anderen Personen) sich als ‚Stars’ in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten einen Namen gemacht haben und man somit wirklich bei ihnen von ‚Stars’ sprechen kann. Hingegen der Star-Status bei einem Finalisten einer Castingshow umso fragwürdiger erscheint. „Von Euch redet morgen ganz Deutschland“, trichtert Moderator Marco Schreil den Kandidaten ein, aber genauso schnell haben wir sie auch vergessen. Bei einem ‚Star’ im ursprünglichen Sinne wäre dies nie passiert.

Auch die Etablierung des ‚Stars’ in ein Umfeld (Sport oder Musik) entfällt. In nur wenigen Wochen machen wir unsere ‚Stars’ selber. Sie kommen oftmals aus dem Nichts, haben nichts. Durch „DSDS“ bekommen sie Aufmerksamkeit, ihnen wird Beachtung geschenkt, sie werden von Boulevardmagazin zu Boulevardmagazin gereicht und ihre Gesichter schmücken die Seiten der Bildzeitung. Dass sie oftmals einen Seelen-Strip vollführen ist hierbei Nebensache. Quasi über Nacht sind sie zum Thema für scheinbar Jedermann geworden, sie wurden „mit einem Publicity-Katapult in die Öffentlichkeit geschossen“ (Zitiert nach: Tom Sänger, RTL. Zitiert in: DWDL.de 2009). Es gibt extra Zeitschriften über sie und das Fernsehen verkauft die Werbezeit zwischen ihren Auftritten an den Höchstbietenden. Sie sind Durchstarter von Null auf Hundert. Und wenn sie es gesanglich zu keinem passablen Ergebnis in den Mottoshows bringen konnten, ihr privates Umfeld jedoch genügend Stoff liefert, so werden sie von RTL verwertet und ausgeschlachtet, wie ein bei Ebay ersteigertes kaputtes Etwas, das nur noch als Ersatzteillager herhalten kann. Sollen so die Self made ‚Stars’ von heute also aussehen?

Ein ‚Star’ sein zu wollen würde somit auch bedeuten, sich ganz und gar dem Einfluss von RTL und der Jury hinzugeben. Wer in irgendeiner Form aus der Reihe tanzt, sich auffällig verhält oder sonst wie aufmüpfig wird, der ist – dies konnte man in der ersten Liveshow der neunten Staffel sehr schön beobachten – von den Juroren, dem Schrei(l)hals Marco und nicht zuletzt durch unvorteilhaft zusammengeschnittene Filmsequenzen zum Ausscheiden verdammt. Nur wer sich fügt, wer singt, was jeder kennt, was aber niemand mehr hören will, wer tut, was man ihm sagt, nur der wird es am Ende schaffen, trotz diskriminierender Äußerungen der Juroren, vorne weg Dieter Bohlen. Hier fallen Ausdrücke wie „Ich glaube nicht, dass Deutschland auf dich gewartet hat“ oder „Bei dir freut man sich, wenns zu Ende ist“ (dies sind nur zwei harmlosere Beispiele). Scheinbar knallhart wird hier ein Voraburteil über den weiteren Verbleib der Kandidaten in der Show gefällt, auch wenn in der neunten Staffel nur Dieter Bohlen sich explizit zur musikalischen Leistung äußert, seine beiden Mitstreiter ziehen sich mit Bewertungen des Outfits und der Tanzleistung oder mit allgemeinem Blabla aus der Affäre. Der Einfluss des Jurorenurteils auf das Abstimmungsverhalten der Zuschauer ist sehr umstritten. Gerade nach dem Endergebnis aus der 2009er Staffel wurden über eine eventuelle Manipulation gemunkelt. Stern Online schreibt hierzu: „Große Jury-Manipulationen lassen die Zahlen hingegen nicht vermuten. So waren bis auf wenige Ausnahmen die Kandidaten mit den wenigsten Stimmen auch diejenigen, die bis zum Schluss in der Entscheidungsshow ausharren mussten. Einen gewissen Einfluss scheint heftige Jury-Kritik in Form eines Mitleidsbonuses zu haben: So lässt sich beobachten, dass sowohl Kim Debkowski in der dritten Mottoshow, Helmut Orosz eine Woche später und Menowin Fröhlich in der siebten Mottoshow nach einem deftigen Bohlen-Bashing – und trotz durchwachsener Auftritte – zum Teil deutlich zulegen. Ansonsten werden die Möglichkeiten der Jury – siehe die Festlegung auf Menowin im Finale – allem Anschein nach etwas überschätzt.“

Es scheint also nicht mehr allein die Gesangsleistung zu zählen. Mehr noch, und dies zeigen die Jurybewertungen bei den bisherigen Castings, wird hier großes Augenmerk auf pures Entertainment gelegt. Der Kandidat muss optisch ansprechen, unterhalten, eine Show abliefern können. Singen können, das braucht er nicht mehr, denn die schrägen Töne können ohne Weiteres im Studio beseitigt werden. Und wer wirklich singen kann, der braucht „DSDS“ nicht, um auf sich aufmerksam zu machen.

 

Quellen


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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