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Freie Fahrt voraus! Als Blinder auf dem Hamburger Dom – Ein Testbericht

Dass man als blinder Karussell- und Achterbahnfan nicht immer und überall uneingeschränkt mitfahren kann, zeigten unsere bisherigen Testergebnisse. Oftmals wird der Mitfahrt eines Blinden, vor allem, wenn er ohne sehende Begleitung unterwegs ist, durch die Sicherheitsvorschriften ein Riegel vorgeschoben. Doch wie verhält es sich bei Kirmesattraktionen? Gibt es Unterschiede bei der Nutzbarkeit durch blinde Menschen ohne Begleitung zwischen einer fest installierten und parkgeführten Fahrattraktion und einem betreibergeführten Kirmesfahrgeschäft? Wir wollten es genauer wissen und somit testete ich für Parkerlebnis.de an zwei Tagen den Hamburger Sommerdom.

Der Dom ist eine Kirmes, welche drei mal im Jahr für vier Wochen auf dem Heiligengeistfeld stattfindet und durch sein vielfältiges Angebot an Buden und Fahrgeschäften Hamburger und Touristen gleichermaßen anzieht. Der Sommerdom fand vom 24. Juli bis zum 23. August statt, die Testbesuche erfolgten an einem Freitag- und Samstag-Nachmittag im August.

Anfahrt

Den Hamburger Dom erreicht man mit der U-Bahn-Linie U3, Station Feldstraße. Von hier aus sind es nur wenige Gehminuten und man befindet sich schon mitten im Geschehen. Alternativ gelangt man auch über die U-Bahn-Haltestelle St. Pauli (ebenfalls U3) zum Heiligengeistfeld.

Orientierung

Das Gelände ist sehr weitläufig. Zwar gibt es einen Hauptweg, jedoch mit ein paar Abzweigungen. Wer alleine unterwegs ist, hangelt sich am besten an den Buden und den Fahrgeschäften entlang und fragt bei Abzweigungen andere Dombesucher nach dem richtigen Weg.

Was das Auffinden der einzelnen Fahrattraktionen anbelangt, so kommt einem hier die laute Musik und die Rekommandation (Moderation) an den einzelnen Karussells sehr gelegen. Denn viele Fahrgeschäfte kann man, wenn man sich etwas eingehender mit ihnen auseinandersetzt, durchaus an der Rekommandation, spezifischen Fahrgeräuschen (etwa Wasserrauschen bei der Wildwasserbahn, dem Rattern der Achterbahn oder dem röhrenden Motor des Dom Dancers) oder vielleicht sogar der Musik erkennen.

An den beiden Testtagen war viel los und ein wenig Drängelei somit vorprogrammiert. Diesen Umstand konnte ich mir jedoch auch zunutze machen und hatte somit immer jemanden in meiner Nähe, den ich um Hilfe bitten konnte – so ich überhaupt durch den Musiklärm verstanden wurde. Ein wenig Geduld sollte man also schon mitbringen.

Und ab geht’s! Die Fahrgeschäfte im Test

An dieser Stelle fasse ich alle Fahrten der beiden Testtage zusammen; die Reihenfolge entspricht nicht der auf dem Gelände.

Teststrecke (Loopingachterbahn), Steiger:
Diese Achterbahn dürfte inzwischen schon mit zur Dom-Stammbeschickung gehören. Beim Finden des Kassenhäuschens waren andere Dombesucher, beim Ein- und Ausstieg das Personal behilflich, den Blindenstock ließ ich während der Fahrt bei der Aufsicht, die ihn mir nach Fahrtende auch sogleich zurück gab und mich gen Ausgang begleitete.
Höllenblitz (Indoor-Achterbahn, Spinning Coaster), Renoldi:
Und auch hier waren andere Besucher und vor allem das Personal bei allem sehr behilflich. Nur war es nicht sehr praktisch, die Bahn auch wieder durch den Eingang zu verlassen, da das Fahrgeschäft sehr gut besucht war und das Verlassen somit zu einer sehr engen und drängeligen Angelegenheit wurde.
Euro Coaster (Suspended Family Coaster), Buwalda-Fackler:
Eine Neuheit präsentierte sich in diesem Sommer erstmalig auf dem Hamburger Dom. Der Euro Coaster aus Holland ersetzte die von einigen Domgästen schon vermisste ‚Wilde Maus’. Das Personal war auch hier beim Ein- und Aussteigen behilflich.
Atlantis Rafting, Vorlop:
Wo einige Freizeitparks eine Mitfahrt durch Blinde verbieten, gab es hier keinerlei Diskussionen oder Probleme, alles völlig locker und unkompliziert.
Shaker, Wilhelm:
Wenn man von weiter weg schon ein „Schluss mit der Schaukelei… ich will, dass Ihr die Rolle macht!“ hört, weiß man, man ist beim Shaker angekommen. Hier wollte ich mal etwas testen: Bei einigen Attraktionen in Freizeitparks wurde als Argument gegen eine Mitfahrt ja teils angeführt, dass ich den Fahrtablauf gar nicht verfolgen beziehungsweise einschätzen könnte und somit nicht wüsste, was da auf mich zukäme. Doch ist so ein Fahrtablauf überhaupt so einfach zu beschreiben? Ich fragte also einen der umherstehenden Besucher, ob er mir die Fahrt etwas erläutern könne. Der Shaker ist vom Fahrtablauf her bei Weitem nicht das komplizierteste Fahrgeschäft, aber wie sich was wohin dreht auch in Worte zu packen, war auch hier gar nicht so einfach. Die Fahrt selber verlief auch hier wieder ohne Probleme. Das Personal an der Kasse und an den Gondeln war sehr zuvorkommend behilflich.

Dom Dancer (Break Dance), Rüth:
Auch inzwischen ein Urgestein auf dem Hamburger Dom ist der sogenannte Dom Dancer, den man durch die laute Technomusik und das Motorengeräusch ebenfalls sehr gut erkennt. Wie es sich für Breakdance-Fahrgeschäfte gehört, ist nicht nur die Fahrt, sondern auch das Besteigen und Verlassen der Gondeln schnell und rasant. Wer hier zu langsam reagiert, muss bis zur nächsten Fahrt warten. Bei dieser Herausforderung waren mir dieses mal andere Dombesucher behilflich. Der Aufsicht, der ich das Ticket und meinen Stock in die Hand drückte, sagte ich jedoch, dass ich beim Verlassen Hilfe benötige, da ich ohne Begleitung unterwegs sei – was am Ende auch hier kein Problem darstellte.

Hip Hop Jumper (Schunkler 3), Greier:
Und auch hier ließ ich mir vor Fahrtantritt die Fahrt von einem Passanten beschreiben. Dass man sich jedoch an Stangen festhalten muss, während sich die Scheibe dreht und hoch und runter geht, erwähnte er nicht. Dieses Fahrgeschäft ist nicht ganz ohne und man sollte auf keinen Fall den Halt verlieren… gerade, wenn die Aufforderung zum Umdrehen und Hinstellen kommt (siehe Video). Beim Einstieg und Verlassen war auch hier die Aufsicht behilflich.

Skyfall (Free Fall Tower), Goetzke:
Und die ‚Erfolgsserie’ der unproblematischen Fahrgeschäftnutzungen setzte sich auch hier weiter fort. Völlig unkompliziert waren mir auch bei diesem Fahrgeschäft Besucher und Aufsicht behilflich.

High Energy (Star Shape Nr. 1), Jasmin Kaiser:
Für mich karusselltechnisch einer der Höhepunkte auf dem diesjährigen Sommerdom. Nach dem mir das Personal auch hier sehr zuvorkommend beim Einstieg behilflich war, ging es, begleitet von den Sprüchen der Rekommandeurin wie „Und jetzt das Händchen an die Haltestängelchen“, rund 25 Meter in die Höhe. Nach Landung wurde ich auch sogleich wieder in Empfang genommen und zum Ausgang geführt. Ein besonderes Dankeschön an dieser Stelle an die Betreiberin für die Gratisfahrt!
Turbo Force, Schäfer:
Ein weiteres persönliches Highlight auf dem Sommerdom, bei dem mir ebenfalls das Personal behilflich war.

Sky Dance (größter, transportabler Kettenflieger), Nülken:
Nach den ganzen rasanteren Fahrten sollte es zum Abschluss noch mal etwas Ruhigeres sein, auch wenn es der Sky Dance von der Höhe her mit dem eben erwähnten Turbo Force aufnehmen kann. Auch diese Attraktion gehört seit einigen Jahren mit zur Dom-Stammbeschickung und nachdem mir ein Mitarbeiter eine freie Gondel gezeigt hatte, konnte ich mir in 45 Metern Höhe eine steife Brise um die Nase wehen lassen.

Fazit

Bei meinem Dom-Testrundgang testete ich insgesamt elf Fahrgeschäfte. Bei allen Attraktionen wurde mir von anderen Besuchern, aber vor allem durch das jeweilige Personal immer sehr bereitwillig, ohne Diskussionen oder irgendwelche Einwände, geholfen. Dies gilt auch für die Achterbahnen. Gerade hier gab es in den bisher getesteten Parks zum Teil starke Einschränkungen und Diskussionen, was eine Mitfahrt anbelangte; bei den getesteten Kirmesachterbahnen gab es diese nicht.

Lediglich einmal wurde ich nach einer Begleitung gefragt, dies diente jedoch nur zur Klärung, ob seitens des Fahrgeschäfts Hilfe benötigt wird und nicht als Ausschlusskriterium für eine Mitfahrt.

Da stellt sich mir die Frage, warum es in Freizeitparks teils massive Probleme bei der Fahrgeschäftsnutzung gibt, bei einer Kirmesattraktion jedoch nicht? Eine Frage, der weiter nachgegangen wird. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Schausteller der getesteten Fahrgeschäfte für ihre uneingeschränkte Hilfsbereitschaft und im Namen von Parkerlebnis.de somit ein ‚herzlichen Glückwunsch!’ zum sehr guten Testergebnis!

Eine bebilderte Version dieses Testberichts findet Ihr HIER!


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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