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Rheinkirmes als Blinder erleben – Ein Testbericht

Sich blind ins Getümmel eines Volksfestes zu stürzen? Für viele sehende Menschen oftmals ein vermeintliches Ding der Unmöglichkeit. Gerade auch, wenn es dabei um Orientierung und vor allem um die (Be-)Nutzung der zahlreichen Karussells und weiteren Attraktionen geht. Dass jedoch eine Kirmes von einem Blinden besucht und die zahlreichen Fahrgeschäfte auch genutzt werden können, zeigten unsere bisherigen Tests zum Beispiel des Cannstatter Wasen, des Oktoberfest oder des Hamburger Dom. Doch wie verhält es sich bei der Rheinkirmes in Düsseldorf, dem größten Volksfest am Rhein?

An einem Freitag im Juli besuchte ich, ohne sehende Begleitung, das Düsseldorfer Festgelände und testete ausgiebig die dortige Beschickung. Mit dabei auch eine der Kirmes-Neuheiten 2017: „Mr. Gravity“ vom Schausteller Oberschelp. Bei Oberschelps bereits etablierter Attraktion „High Impress“ war eine Mitfahrt auf anderen Volksfesten ohne Begleitung ohne Probleme möglich. Wie verhält es sich bei seinem neuen Fahrgeschäft?

Anreise zur Rheinkirmes

Die Rheinkirmes ist bestens an den öffentlichen Personennahverkehr angebunden. Vom Düsseldorfer Hauptbahnhof aus erreicht man die Haltestelle Luegplatz (zum Beispiel mit der U-Bahn-Linie 74) binnen weniger Minuten. Von hier aus lässt man sich am besten vom Besucherstrom treiben. Ansonsten ist eine Straßenkreuzung zu überqueren, eine Ampelanlage mit Tonsignal ist vorhanden.

Orientierung auf der Rheinkirmes

Im Grunde ist es möglich, bei einem Besuch eine große Runde zu laufen. Es gibt jedoch in regelmäßigen Abständen Seitenwege, um schneller zu bestimmten Attraktionen oder zum Ausgang zu gelangen. Es kann daher gut passieren, dass man aufgrund dessen ein wenig die Orientierung verliert. Am besten merkt man sich markante Punkte beziehungsweise Fahrgeschäfte, an denen man bereits vorbeigelaufen ist, um nicht ganz die Orientierung zu verlieren.

Das Wetter an diesem Testtag war bestens. Strahlender Sonnenschein, keine Wolke am Himmel, die besten Bedingungen für einen Kirmesbesuch. Da ich am frühen Nachmittag die Rheinkirmes besuchte, waren zwar bereits viele andere Besucher auf dem Festplatz, man kam jedoch noch sehr gut voran und ohne viel Wartezeit an den jeweiligen Attraktionen. Man spricht ja immer von der „rheinischen Frohnatur“ – da mag etwas Wahres dran sein. Fast alle Besucher, die ich bei meinem Testbesuch um Hilfe bat, gingen mit dieser Situation sehr locker und gelassen um.

Die einzelnen Fahrattraktionen im Test

Skater (Top Scan), Kaiser:
Der Testauftakt verlief sehr positiv. Nachdem mich ein anderer Kirmesbesucher zur Kasse geleitet hatte, führte mich jemand vom Aufsichtspersonal zu einem freien Platz und nach Fahrtende wieder zum Ausgang. Auch auf die Frage nach dem weiteren Verlauf des Hauptweges bekam ich bereitwillig Auskunft. Dies war jedoch ein äußerst rasanter Testauftakt gewesen. Ich fahre nun sehr viel Fahrgeschäfte und mich kann so schnell auch nichts erschüttern, doch nach dieser Fahrt stieß auch ich ein wenig an meine Grenzen und war nach dem Ausstieg etwas wackelig auf den Beinen.
Break Dance, Bruch:
Weiter ging es mit einem Klassiker, welcher gleich zwei mal auf der Rheinkirmes vertreten war. Wo es oftmals zu späterer Stunde beim Ein- und Ausstieg zügig zugeht, war zu früher Kirmesstunde noch recht wenig Betrieb. Auch hier war mir das Personal beim Finden einer freien Gondel sowie beim Verlassen der Anlage sehr zuvorkommend behilflich.
Circus Circus (Magic Nr. 3), Gründler-Preuß:
Ein ähnliches Fahrgefühl wie beim zuvor getesteten Break Dance, jedoch etwas familienfreundlicher und langsamer, kam auch bei diesem Fahrgeschäft, welches von mir zum ersten mal getestet wurde, auf. Die Erfolgsserie der ersten Fahrten setzte sich hier fort, denn auch hier wurde ich vom anwesenden Personal ohne Umschweife zu einem freien Platz und nach Fahrtende wieder hinaus begleitet.
Hangover the Tower (Freifallturm mit ca. 85 Meter Höhe), Schneider:
Hoch hinaus ging es bei der nächsten Testfahrt. An der Kasse fragte ich auch hier wieder nach, ob mir jemand beim Einstieg behilflich sein könnte. „Nein, so was haben wir hier nicht!“, war die Antwort der Kassiererin. Wie sich jedoch schnell herausstellte, hatte sie den Blindenstock durch die kleine Öffnung des Kassenhäuschens nicht gesehen und zum Schluss doch einen Kollegen gerufen. Nach diesem kleinen ‚Missverständnis’ bekam ich jedoch schnell einen freien Platz zugewiesen und wurde nach erfolgreicher Landung wieder zum Ausgang geführt.
Alpina-Bahn (Achterbahn), Bruch:
Viele Leser unserer Testreihe kennen sicherlich schon die Freizeitpark-Argumentation, nach der ein blinder Fahrgast bei der Nutzung einer Achterbahn eine Begleitung benötigt. Nachdem mir ein anderer Kirmesgast die Kasse gezeigt hatte, wurde mir dort – nach dem Ticketkauf – mitgeteilt, dass man mir nicht beim Einstieg behilflich sein könne und ich doch jemanden bräuchte, der mich nach oben begleitet. Ihr Blick wanderte wohl schon zu dem Mann, der mich zur Bahn begleitet hatte. Er erklärte sich bereit, mich zum Einstieg zu bringen, somit war das Thema für die Kassiererin erledigt – jedoch nicht für die Aufseher. Er müsse mitfahren, ich bräuchte eine Begleitung, hieß es. „Ich muss gar nichts“, konterte meine Kurzzeitbegleitung, „ich habe ihn nur hier rauf gebracht. Außerdem, da unten steht meine 10-jährige Tochter und wartet. Beim Ein- und Ausstieg können Sie ihm ja wohl mal helfen, schließlich hat er für die Fahrt bezahlt!“ Mit diesen Worten kletterte er kurzerhand über den wartenden Achterbahnzug hinweg und verschwand durch den Ausgang nach unten. Die Aufsicht setzte mich schweigend in einen freien Wagen und brachte mich schlussendlich am Ende der Fahrt auch wieder nach draußen – eine Testfahrt, bei der man gerade noch so die Kurve gekriegt hat.
Olympia Looping (Stahlachterbahn mit fünf Loopings), Barth:
Diese Loopingbahn gehört inzwischen auch schon zu den „Klassikern“ – nur schade, dass sie inzwischen nur noch wenige Plätze besucht. Grund genug, ihr einen erneuten Besuch abzustatten. Wo eben bei der zuvor getesteten Bahn die Hilfsbereitschaft ein wenig zu Wünschen übrig ließ, war der „Olympia Looping“ kaum zu toppen: Der Kassierer schloss, nach dem ich mein Ticket gelöst hatte, seine Kasse (es waren ja noch weitere Kassen geöffnet) und führte mich hinauf bis zum Einstieg in einen freien Wagen. Beim Ausstieg war mir mein Sitznachbar behilflich, welcher sich als absoluter Kirmes- und Achterbahnfan outete und auch bereits von unseren Freizeitpark- und Kirmestests gehört hat.
Mr. Gravity (Heavy Rotation), Oberschelp:
Dass blinde Kirmesbesucher ohne Begleitung einen gewissen Wiedererkennungswert zu haben scheinen, merkte ich bei der Kirmes-Neuheit 2017. Denn einige Mitarbeiter von Oberschelps anderer Attraktion „High Impress“ wurden hier auf der Rheinkirmes eingesetzt. „High Impress“ hatte ich in Hamburg vor rund anderthalb Jahren erfolgreich getestet. Nachdem ich mein Ticket an der Kasse gelöst und von einem anderen Gast die Treppe hoch geführt wurde, nahm mich einer der Aufseher bereits in Empfang und ließ es sich auch nicht nehmen, mir einen freien Platz zu zeigen – auch wenn dies eigentlich der andere Gast erledigen wollte. „Ich kenne dich!“, stellte er erfreut fest, „Du warst doch in Hamburg. Da hab ich aber bei einem anderen Karussell gearbeitet.“ Gutes Gedächtnis, dachte ich mir, ließ mich in den Sitz fallen und genoss diese rasante, neue Testfahrt.
Infinity (Inversion XXL), Hoefnagels:
Bereits zum dritten mal testete ich diese 65 Meter hohe Überkopfschaukel. Anders jedoch, als bei den ersten Testfahrten, wurde zum Ende der Fahrt die Gondel gelöst und schwang zusätzlich ein wenig frei hin und her, was der Fahrt einen zusätzlichen, kleinen Kick verlieh. Sowohl das Personal an der Kasse (vielen Dank übrigens für den halben Fahrpreis), als auch die Aufsicht waren mir auch bei meinem dritten Besuch sehr zuvorkommend behilflich. Beim Verlassen des Fahrgeschäfts stellte auch hier ein Aufseher fest, dass er mich irgendwoher kennen würde, er könne nur nicht mehr genau sagen, von wo.
Power Tower 2 (Freifallturm), Schneider:
Und die Erfolgsserie setzte sich auch hier weiter fort. Ich bat an der Kasse um Hilfe und sogleich wurde einer der Angestellten herbeigerufen, welcher mich zu einem freien Sitz beziehungsweise auch wieder hinaus brachte. Sich gegenüber dem großen Konkurrenten „Hangover the Tower“ zu behaupten, war – zumindest an diesem Tag – für diesen, kleineren Freifallturm wahrlich schwer. Auch wenn Familie Schneider mit Kombitickets für beide Türme ein durchaus attraktives Angebot bot, an diesem Freitagnachmittag musste ich recht lange warten, bis die Fahrt endlich losgehen konnte.
Petersburger Schlittenfahrt (Schlittenfahrt), Burgdorf:
Warum immer nur die adrenalingeladensten Attraktionen testen und nicht auch mal was ruhigeres fahren? Die „Petersburger Schlittenfahrt“ ist eine Art Berg- und Talbahn, bei der sich die einzelnen „Schlitten“ jedoch ausbalancieren, so dass man nicht, wie sonst üblich, quasi zu einer Seite gedrückt wird. Als ich an der Kasse ankam, war die Fahrt bereits in vollem Gange. Die Kassiererin bat mich, bei ihr zu warten. Direkt nach dem Halt des Karussells, sollte ich direkt bei der ersten Gondel einsteigen. Nach Fahrtende ließ sie mich genau an der gleichen Stelle, also direkt an der Kasse, wieder anhalten und aussteigen. Beim Verlassen der Anlage war mir ein anderer Gast behilflich, welcher mir zuvor auch bereits die Kasse gezeigt hatte. Er musste eh auf „seine Mädels“ warten und hatte somit ein wenig Zeit.
Condor (Kettenflieger mit 80 Meter Flughöhe), Maier:
Und noch einmal ging es – dieses mal jedoch eher ruhig und entspannt – hoch hinaus. Auch bei meiner letzten Testfahrt war mir das Aufsichtspersonal behilflich, wobei ich, um dieses erst einmal zu finden, die Hilfe eines anderen Gastes benötigte. Denn man teilte mir mit, dass ich einfach die Treppe hochgehen solle, dort oben würde jemand stehen. Doch wo ist die Treppe? Doch der andere Kirmesbesucher organisierte bereits jemanden, der mich nach oben geleitete. Dieser hohe Kettenflieger war der Abschluss meines sehr erfolgreichen Testtages. Vielen Dank an dieser Stelle auch für die Gratisfahrt.

Fazit: Rheinkirmes Düsseldorf – ein voller Testerfolg!

Mit insgesamt elf Testfahrten war der Kirmestest des Düsseldorfer Volksfestes mit einer der bis dato umfangreichsten Testbesuche. Von den elf gefahrenen Attraktionen konnten zehn wirklich uneingeschränkt, eine – die Alpina-Bahn von Bruch – mit leichten Einschränkungen genutzt werden. Trotz der genannten kleinen Schwierigkeiten bei einem von elf getesteten Attraktionen, war auch dieser Kirmestest in Düsseldorf ein voller Erfolg. Ich sage „Herzlichen Glückwunsch und weiter so!“


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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