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„Situationen, die von Sehenden nicht gesehen werden“ – Ein Kommentar zu meinen Foto- und Videoarbeiten

Folgender Kommentar zu meinen Foto- und Videoarbeiten erreichte mich Anfang des Jahres von einer Psychologiestudentin aus München. Es ist interessant zu lesen, wie ein sehender Betrachter meiner Bilder diese interpretieren und in einen Kontext stellen kann. Er verdeutlicht einmal mehr, dass meine Arbeiten mehr sein können, als nur bloße „Knipserei“, als was sie von vielen oftmals auch bezeichnet werden.

Vielen Dank dafür und für die Erlaubnis, diesen kleinen Text hier auch veröffentlichen zu dürfen!

Lieber Christian,
zuerst war ich überrascht, dass Du filmst und fotografierst. Ich fragte mich: Wie kann das gehen? Als ich dann die Fotos gesehen habe, war ich erstaunt und begeistert. Begeistert deshalb, weil die Fotos Menschen und Situationen zeigen, die von Sehenden nicht gesehen werden bzw. nicht auf diese Weise gesehen werden können. Ich hatte den Eindruck, als würden Dinge durch einen Blick von außen – à la Hitchcock – auf den Fotos festgehalten, wodurch die Bilder eine Dimension vermuten lassen, die außerhalb des Gewohnten, ja sogar außerhalb der menschlichen Wahrnehmung liegt. Das hat etwas Unheimliches und Schönes zugleich.

Deine Fotos scheinen mehr Wahres zu zeigen, als Fotos eines Sehenden. Wie komme ich auf diesen Gedanken? Ich erkläre dies so: Der Mensch ist immer Darsteller, er spielt immer eine Rolle. Ganz unbewusst – aber immer. Sobald er in einen Spiegel blickt oder eine Kamera auf ihn gerichtet ist, inszeniert er sich noch mehr. Nun kommst Du. Und die von Dir fotografierten Menschen erwarten nicht, dass sie von Dir fotografiert werden. Deshalb werden sie im Moment der Aufnahme nicht zu Darstellern. Sie rücken sich nicht in Pose.
Somit bewirken Deine Bilder zweierlei. Zum einen zeigen sie den Menschen ohne Maske. Zum anderen – und das finde ich wesentlich – bringen sie ans Licht, dass das Rollenspiel des Menschen tatsächlich existiert.

Ich habe oben erwähnt, dass mich Deine Fotos an die Filme von Alfred Hitchcock erinnern. Sie erinnern mich aber auch an den französischen Psychiater und Psychoanalytiker Jacques Lacan. Er definiert das „Auge“ und den „Blick“ und unterscheidet beides. In seinen Schriften spricht Lacan vom „Blick des Anderen“, vom „großen Unbekannten“, vom „großen Anderen“ und vom „Begehren“, das dem Menschen nicht bekannt und nicht zugänglich ist.
Auf die Existenz des Unbekannten und Unbewussten weisen Deine Fotos hin und sie wirken wie der Blick, dem sich der Mensch, nach Lacan, nicht entziehen kann (wie in einem Panopticon). Das waren meine Gedanken beim Anblick Deiner Bilder.

Ganz herzliche Grüße von
Karolin Danninger


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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