Kategorien
Artikel und Essays Medien Projekte

Kein (Sende-)Platz mehr für starke Kämpfer? Kindersendungen im Fernsehen: Aktuelle Genreschwerpunkte im Überblick

Einleitung

Ist das pädagogisch wertvoll? Seit es Kindersendungen im Fernsehen gibt, zieht sich diese Frage wie ein roter Faden durch die Debatten der Medienkritiker. In den neunziger Jahren stand das Thema Gewalt dabei ganz oben auf der Agenda. Und wenn sich in damals wie heute sehr beliebten Cartoon-Serien wie beim Klassiker Tom und Jerry die Protagonistengegenseitig mit Waffen aller Art traktieren und gerne auch mal in die Luft sprengen, scheint die Besorgnis verständlich: Hilft diese Art von Konfliktlösung Kindern bei der Persönlichkeitsentwicklung?

Heute, rund zwanzig Jahre später, ist es ruhig geworden um dieses Thema. Nur warum? Ist das Kinderfernsehen für die Forschung nicht mehr relevant genug? Sind die Kritikpunkte bezüglich des pädagogischen Wertes von Kindersendungen sowie der geforderten Angebotsvielfalt von Programmmachern endlich erhört und umgesetzt worden?

Dieser Beitrag soll, zunächst rein oberflächlich anhand von Programmdaten aus der 20. und 21. Kalenderwoche 2011, der Frage nachgehen, welche Programmformen und Subgenres im derzeitigen Kinder-Fernsehangebot zu finden sind.

Bei der Programmanalyse wurden besonders serielle Angebote berücksichtigt. Zwar werden (vor allem im Programm des Kinderkanals) auch Filme ausgestrahlt, jedoch ist dieses Angebot (inhaltlich) wechselnd, hingegen eine Serie bedingt durch die regelmäßige Ausstrahlung eine gewisse Zuverlässigkeit im Programm garantiert.

Genres im Kinderfernsehen

Um eine grobe Unterteilung der unterhaltenden Angebote im Kinderprogramm vornehmen zu können, bediene ich mich dem Kategorienschema, welches Theunert et al. in zahlreichen ihrer Publikationen zum Thema “Kinderfernsehen” vorgelegt haben (vgl. z. B. Theunert 1996, S.29ff). Theunert entwickelte dieses Kategorienschema zwar zur ausschließlichen Einteilung von Zeichentrickangeboten, jedoch lassen sich nach meiner Ansicht auch Realfilmangebote, soweit sie sich im fiktionalen Sektor bewegen, größtenteils mit diesem Schema kategorisieren und einteilen.

Demnach lassen sich Kindersendungen in folgende Kategorien unterteilen:

  • ‘Bewegter Alltag’ (Alltagssituationen, welche sich in Familien oder ähnlichen sozialen Gemeinschaften abspielen; Streiche, gemeinsame Unternehmungen, Streitigkeiten, oder die Auseinandersetzung z. B. Kinder vs. Erwachsene)
  • ‘Gerechte Kämpfe’ (Gut vs. Böse, Beschützung der Schwachen und Verteidigung der Welt oder des Universums; der Konflikt wird zumeist durch Gewalthandlungen aus dem Weg geräumt)
  • ‚Kleine Abenteuer’ (Aufregende Erlebnisse, das Neuentdecken des eigentlich Bekannten oder die geschickte Bewältigung von Ereignissen sind hier Thema)
  • ‘Persönliche Scharmützel’ (Dauerhafte Feindschaften, Nachbarschaftskrieg und das nicht Auslassen einer Gelegenheit, den anderen zu (ver)ärgern, sind Inhalt dieses Typs)
  • ‚Erfolgreiche Gaunerjagden’ (Auch die Hauptfiguren in diesem Typ treten für Recht und Ordnung ein, lösen ihre Aufgabe zumeist jedoch eher durch Witz, Charme, Geschick und eine enormen Portion Glück)

Natürlich weisen einige Serien auch Überlappungen zwischen mehreren Typen auf. So kann eine Gaunerjagd durchaus kämpferische Handlungen, der ‘bewegte Alltag’ ‘persönliche Scharmützel’ enthalten.

Gerade der Typus ‘Gerechte Kämpfe’ war, vor allem unter Medienpädagogen, in den neunziger Jahren sehr umstritten. Serien wie “Biker Mice from Mars” oder “Power Rangers” füllten zahlreiche Buchseiten und wurden kontrovers diskutiert (vgl. z. B. den Sammelband von Czaja 1997, welcher sich explizit dem Thema Actionserien widmet und Beiträge mit verschiedensten Sichtweisen bereithält).

In ihren Untersuchungen zur Fernsehrezeption von Kindern fanden Theunert et al. heraus, dass vor allem der Typus des ‘bewegten Alltags’ bei Kindern hoch im Kurs stand. Neben den ‘gerechten Kämpfen’ gehörte dieser Typus von Sendungen zu den unangefochtenen Favoriten, da sich Kinder gerade aus diesem Sendungstyp mit unter Anregungen und Lösungsansätze holen bzw. die gezeigte Handlung zu ihrem eigenen Alltag in Bezug setzen konnten. Bereits in den neunziger Jahren zeichnete sich zudem ein Trend ab, nachdem den jungen Rezipienten eher der Sinn nach realistischeren Handlungen und Personen stand; dies galt vor allem für Kinder ab ca. 10 Jahren. Jüngere Zuschauer ließen sich noch eher von Fantasiegestalten und -welten in ihren Bann ziehen. Im Bereich des unheimlichen Kinderfernsehens, also dem Programm, welches nicht für Kinder gedacht, jedoch von ihnen rezipiert wurde bzw. wird, standen auch Reality-TV-Formate auf der Hitliste (Beispiel “Notruf”). Sendungen des Reality-TV-Genres gehören natürlich nicht zum expliziten Kinderfernseh-Angebot, auch wenn es heute auch für junge Rezipienten Reality-Formate (z. B. Castings) im Programm gibt. Diese Tatsachen lassen einen Trend erkennen, welcher bis zum heutigen Tage im Programm seinen Platz hat, bedenkt man, dass das Reality-TV-Genre seit einigen Jahren boomt. Wie sich im folgenden zeigen wird, überwiegen im Kinderprogramm Serien mit realitätsnahen Geschichten. Ferner, das sei schon vorweggenommen, finden sich nunmehr verstärkt Angebote im Programm, welche unterschwellig oder explizit pädagogische Inhalte zu transportieren versuchen.

Viele der Kritiker forderten nämlich auch einen höheren Anteil an Wissenssendungen für Kinder. Ihr Anteil war in den neunziger Jahren noch sehr gering; dieser Forderung wurde ebenfalls Genüge getan.

Für derartige Angebote ist im Schema von Theunert et al. keine Kategorie vorgesehen. Um jedoch das aktuelle Kinder-Fernsehprogramm in seiner Gänze einteilen zu können, ist somit eine weitere Kategorie für derartige Sendungsformen erforderlich. Quiz-, Mitmach-, Show- und Informationsformate werden von mir in der folgenden Auswertung unter ‚Dokumentarische bzw. informative Sendeformen’ zusammengefasst.

Aktuelle Programmformen im Kinderprogramm von Das Erste, ZDF, Ki.Ka, RTL II, Super RTL, Kabel Eins, Nickelodeon

Für die vorliegende Programmbetrachtung wurden die Sendetafeln vom Samstag 21.05., Sonntag 22.05. sowie Mittwoch 25.05.2011, jeweils von 06:00 Uhr (+- 5 Minuten) bis 20:15 Uhr, herangezogen. Um eine Einteilung in die oben skizzierten Sendungstypen vornehmen zu können, habe ich die Beschreibungen der Serien herangezogen, welche u. A. auf fernsehserien.de oder wunschliste.de zu finden sind.

Zunächst ist festzustellen, dass unter der Woche von den genannten Sendern lediglich Super RTL, Ki.Ka sowie Nickelodeon ein explizites, d. h. ein an Kinder gerichtetes, Kinderprogramm ausstrahlen. An Wochenendtagen werden Dusätzlich auf Das Erste, ZDF, RTL II sowie Kabel Eins explizite Kindersendungen gezeigt, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass RTL II erst seit kurzer Zeit sein Anime-Kinderprogramm umgestellt hat und es seither nicht mehr an Wochentagen um die Mittagszeit, sondern am Sonntagmorgen ausgestrahlt wird.

Was die Kategorien anbelangt, welche derzeit im Kinderfernsehangebot vorzufinden sind, so überwiegt hier der sogenannte ‘bewegte Alltag’. 94 von 168 gezählten Sendungen (Wiederholungen nicht inbegriffen) beinhalten Alltagsgeschichten. Die ‘kleinen Abenteuer’ sind lediglich mit nur 22 Sendungen in den Programmen vertreten. Die so oft kritisierten ‘gerechten Kämpfe’ finden sich mit 10 Sendungen im Programmangebot wieder, ‘persönliche Scharmützel’ sind mit 3, die ‘erfolgreichen Gaunerjagden’ ebenfalls mit 3 Sendungen im aktuellen Programm vertreten. In allen Kategorien finden sich jedoch auch Sendungen, welche von mir aufgrund ihres Plots nicht eindeutig zugeordnet werden konnten. So enthält die Serie “Spectacular Spider Man” durchaus ‘gerechte Kämpfe’; sie ist jedoch aufgrund der auftretenden alltäglichen Situationen des jungen Spider Mans durchaus in die Kategorie des ‘bewegten Alltags’ einzuordnen. Ein ähnliches “Problem” findet sich bei der Serie “Beyblade”, welche aufgrund ihres sportlichen Charakters und der Wettkämpfe, als auch durch die auftretenden kämpferischen Auseinandersetzungen außerhalb des sportlichen Wettkampfes, ebenfalls in beide Kategorien eingeordnet werden könnte. Ich habe daher Serien, bei denen der Schwerpunkt nicht auf den kämpferischen Auseinandersetzungen liegt, den Typus ‘bewegter Alltag’ zugewiesen. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Subgenres des Kinderfernsehens sind fließend, es müsste daher untersucht werden, ob nicht eine neue Kategorisierung der Sendungen erforderlich wäre.

Dies gilt vor allem für den Bereich der Sendungen, welche pädagogische Inhalte vermitteln sollen oder für eher dokumentarische Sendeformen. In einigen fiktionalen Angeboten werden lehrreiche Inhalte mit in die Spielhandlung eingebunden. Gerade im Bereich des Vorschulfernsehens finden sich Serien, welche Kinder zum Mitmachen, Spielen, Sport treiben etc. zu animieren versuchen. Aber auch für ältere Kinder werden lehrreiche und fiktionale Inhalte verknüpft. Dies geschieht beispielsweise in der Serie “Schloss Einstein”, einer sehr erfolgreich laufenden Kinder-Soap, welche zunächst ‘bewegten Alltag’ zeigt, jedoch auch (bedingt durch den Handlungsort Schule + Internat und die zahlreichen Projekte und Interessen der Schüler) Lehrreiches beinhaltet. Vor allem jedoch im Vorschulfernsehen können weitere dieser Mischformen gefunden werden.

Was die ‘Persönlichen Scharmützel’ anbelangt, so belegten diese in der Zuschauergunst bereits bei den Untersuchungen von Theunert die hinteren Ränge. Im aktuellen Programm sind sie lediglich mit drei Sendungen vertreten: “Tom & Jerry”, “Bugs Bunny & Looney Tunes” sowie “Die Superschurkenliga”. “Bugs Bunny” sowie “Tom & Jerry” scheinen Dauerrenner zu sein, zählten sie doch bereits in den neunziger Jahren zu den ‘Klassikern’ des Genres. Wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass ein Teil der ‘Klassiker’-Serien zeitgemäß aufbereitet wurden.

Ebenfalls ins Hintertreffen geraten die ‘Erfolgreichen Gaunerjagden’, welche sich mit “What’s new, Scooby-Doo?”, “Die Pfefferkörner” und “Sally Bollywood” ebenfalls nur dreimal im Programm wiederfinden.

Unter den ‘kleinen Abenteuern’ finden sich zahlreiche neuere Produktionen. Ein Großteil von ihnen ist in die Kategorie des ‘Vorschulfernsehens’ einzuordnen, da sie sowohl unterhaltende als auch bildende Inhalte enthalten. Zu den ‘kleinen Abenteuern’ zählen u. a. Serien wie “Caillou”, “Trotro”, “Planet Max”, “Tom und das Erdbeermarmeladebrot mit Honig”, “Gustavs Welt”, “Pocoyo”, “Die Meeresprinzessinnen”, “Raumfahrer Jim”, “Backyardigans”, “Dora” oder “Ni Hao, Kai-Lan”.

Unangefochtener Spitzenreiter ist der ‘bewegte Alltag’, welcher mit 94 Sendungen die Liste der Sendungstypen anführt. Hierunter finden sich sowohl altbekannte ‘Klassiker’ (wie z. B. “Jim Knopf”, “In einem Land vor unserer Zeit”, “Bibi Blocksberg”, “Das Dschungelbuch”, “Bibi und Tina”, “Benjamin Blümchen”, “Pinocchio”, “DuckTales”, “Käpt’n Balu und seine tollkühne Crew”) als auch in den letzten Jahren entstandene Serien. (bspw. “Neds ultimativer Schulwahnsinn”, “Grufthotel Grabesruh”, “Schloss Einstein”, “SpongeBob”, “Piets irre Pleiten”, “Avatar” oder “Big Time Rush”. Gerade hier, aber auch in den ‘kleinen Abenteuern’ finden sich zunehmend immer mehr Serien und Geschichten, welche noch mehr am Alltag der jungen Zuschauer orientiert ist, d. h. anstatt Fantasie- und Fabelwesen, welche in fernen Welten ihre Abenteuer erleben, sind es inzwischen zunehmender Menschenkinder, welche als Protagonisten ihren Alltag meistern. Einem bereits in den neunziger Jahren begonnenem Zuschauertrend und -Wunsch nach realistischeren Figuren und Geschichten scheint somit Folge geleistet worden zu sein.

Die so oft kritisierten ‘gerechten Kämpfe’, welche mit 10 Sendungen im Programm vertreten sind, enthalten (wie bereits erwähnt) Sendungen, welche durchaus auch in andere Kategorien eingeordnet werden könnten. Die sonst überwiegenden Kampfhandlungen (z. B. bei “Spider Man”) wurden entschärft. Aus dem fantastischen Kämpfer wurde ein ganz ‘normaler’ Jugendlicher, welcher neben seinem Pflichten auch alltägliche ‘Kämpfe’ zu bewältigen hat. Jedoch finden sich in dieser Kategorie immer noch Serien, bei denen eine kämpferische Auseinandersetzung maßgeblich vorhanden sind. Zu nennen wären hier vor allem die Anime-Serien wie “DragonBall”, “Naruto Schippuden” oder “Pokemon”, denen jedoch ein gewisser inhaltlicher ‘Anspruch’ trotz der vorkommenden Kampfhandlungen nicht abgesprochen werden kann. Des weiteren finden sich Serien wie “Real Ghostbusters”, “Gargoyles”, “Super Hero Squad”, “Fantastic Four”, “X-Men” oder “Transformers Cybertron” unter den ‘gerechten Kämpfen’ im aktuellen Kinderprogramm.

Dokumentarische und informative Sendeformen sind inzwischen in zahlreicherer Form (als noch in den Neunzigern) im aktuellen Programmangebot vertreten. Dauerbrenner sind hier “die Sesamstraße”, “Die Sendung mit der Maus”, “Löwenzahn”, “Logo” oder “Der Tigerentenclub”, ergänzt durch Sendungen wie “Das Surfcamp”, “Die Sendung mit dem Elefanten”, “KiKaNinchen”, “Tanzalarm”, “Quiz Express”, “Olis wilde Welt”, “Mit-Mach-Mühle”, “1, 2 oder 3″, “Willi wills wissen” oder “Wissen macht Ah!”. Insgesamt finden sich 34 Sendungen im aktuellen Programm, welche primär der Vermittlung von Wissen dienen, jedoch durchaus auch unterhaltende (Show-)Elemente enthalten können.

Ein sehr auffälliges Phänomen im derzeitigen Kinderprogramm ist die starke Rotation von Sendungen bzw. Serien. „SpongeBob“, „Chalk Zone“ oder „Cosmo & Wanda“ gehören zu den am häufigsten wiederholten Serien im derzeitigen Angebot. Mehrmals am Tag werden diese Serien gezeigt, oftmals in Form von Doppelfolgen.

Fazit: Alltag ist Trumpf, Wissen aber auch

Ein seit Jahren vorherrschender Trend setzt sich auch im derzeitigen Kinderprogramm fort. Der ‘bewegte Alltag’ beherrscht einen Großteil der fiktionalen Inhalte, gefolgt von informierenden Formaten sowie den ‘kleinen Abenteuern’. Es ist jedoch zu beobachten, dass viele der Sendungen aus den eher fiktionalen Bereichen durchaus auch informierende Elemente beinhalten. Diese Beobachtung machten auch Basic et al. in einer Programmanalyse des Kinderprogramms aus dem Jahr 1996 (vgl. Basic/Schell/Schorb/Graf 1997). Dieser Programmtrend hat sich bis heute weiterentwickelt, sodass (wie bereits oben erwähnt) weitere solcher Mischformen im aktuellen Fernsehprogramm für Kinder vorzufinden sind.

Da der Anteil der informierenden und gemischten Sendungen in den letzten Jahren stätig gestiegen ist, stellt sich die Frage, ob Kindern das Recht auf pure Unterhaltung, ohne pädagogischen Hintergedanken und ewig erhobenem Zeigefinger, abgesprochen wird? Natürlich sind Kinder, gerade die Kleinsten, wissbegierig und wollen die Welt erkunden und erforschen (und sei es nur via Flimmerkiste), jedoch ist der Bildungs- und Lerndruck in unserer heutigen Gesellschaft so enorm hoch (Kindergarten, Schule, Hort und ähnliche Angebote), dass den jungen Fernsehnutzern doch auch eine Möglichkeit der reinen Entspannung und Unterhaltung zugestanden werden sollte. Wieso verlangen “wir Erwachsenen” etwas, das “wir” selber nicht einhalten? Wir lassen uns nach einem anstrengenden Arbeitstag doch auch bloß berieseln, fiebern mit unseren Fernsehhelden mit, wenn sie wieder einen actiongeladenen Fall zu lösen haben oder amüsieren uns über das Missgeschick Anderer.

Die Anzahl der Sendungen aus dem ‘bewegten Alltag’ zeigt, dass der Wunsch nach Alltagsabenteuern groß zu sein scheint. Dies belegen u. a. auch die Ergebnisse aus dem Forschungsbericht von Feierabend und Klingler (vgl. Feierabend/Klingler 2011). Viele von diesen Alltagsabenteuern sind ebenfalls actiongeladen und rasant, ein Teil von ihnen jedoch auch, aufgrund ihres pädagogischen Mehrwerts oder der vermittelten Werte (beispielsweise, dass man als Kind bzw. Jugendlicher bereits ein Star, schön und begabt bzw. berühmt zu sein hat) äußerst fragwürdig. Hat man in den neunziger Jahren noch die Gewaltbereitschaft und das stereotype Männer- und Frauenbild stark unter Beschuss genommen, so stellt sich heute die Frage, ob diese Rollenbilder in anderer Form nicht genau so bedenklich und somit zu kritisieren wären?

Und das mag auch mit eine Ursache sein, warum heute kaum mehr ‘gerechte Kämpfe’ im Kinderprogramm zu finden sind. Auch wenn „Spider Man“ (Kabel Eins) sowie „Power Rangers“ (seit August 2011 auf Nickelodeon) in neu aufgelegter Form quasi ein Revival erleben und durch alte Genreklassiker ergänzt werden, ist der Anteil dieses Sendungstyps in den letzten Jahren stetig gesunken. Grund hierfür ist jedoch nicht allein die Kritik der Pädagogen. Auch die Vorlieben der jungen Rezipienten trugen dazu bei.

Denn Spannung, so wurde bei einer Umfrage der Zeitschrift „FLIMMO“ herausgefunden, geht nicht zwangsläufig mit Action und Gewalt einher. Diese Faktoren können auch Spannung hervorrufen und beeinflussen, sind jedoch nicht ausschließlich maßgebend für das Spannungserleben der Kinder. Hier spielen weitere Faktoren eine Rolle (siehe FLIMMO Kinderbefragung vom November 2009). Vor allem das Entdecken des Neuen, Aufregenden und Unbekannten sowie die Angstlust spielen beim Spannungserleben eine große Rolle.

Wissen und Spannung gehen, dies zeigen die eben genannte sowie weitere Kinderbefragungen, inzwischen eng einher und die Programmmacher und Redaktionen reagieren auf diese Wünsche entsprechend. Somit wird deutlich, dass inzwischen auf die Wünsche und Bedürfnisse der jungen Zuschauer eingegangen wird, anders noch, als im kritisierten Kinderprogramm der neunziger Jahre. Dafür ist jedoch die Wiederholungsrate von Serien, vor allem bei Super RTL und Nickelodeon, enorm hoch. Das zunächst vielfältig wirkende Programmangebot weist somit eine gewisse Einfältigkeit auf. Auch wenn „SpongeBob“ eine von Kindern geliebte Serie ist. Viele der Wiederholungsplätze ließen sich sicherlich auch besser, mit anderen spannenden Serien, belegen. Aber hier spielen der Fernsehmarkt, der Verkauf von Werbezeiten und die zur Verfügung stehenden Mittel zur Programmgestaltung mit eine Rolle und tragen, neben der Serienbeliebtheit, mit zur hohen Wiederholungsrate bei.

Ich möchte abschließend noch einmal auf die Frage zurückkommen, was denn so verwerflich an ein wenig mehr ‚gerechte Kämpfe’ im aktuellen Programmangebot wäre? Ist es nicht befreiend, Konflikte mal (in der Fantasie, in der Projektion) so ausgelebt zu sehen, wie sie sich in der Realität eben nicht lösen lassen? Denn genau das Boten zahlreiche Serien im Programm der Neunziger. Und das bieten ja auch noch heute Serien wie „Tom & Jerry“. Warum sollten Kinder nicht für sie bestimmte, kämpferische Angebote nutzen! Sie sind auf jeden Fall besser, als das actiongeladene Erwachsenenprogramm, wo echtes Blut fließt. Und auch schon Jan-Uwe Rogge sprach ja den kämpferischen Kindersendungen einen gewissen Mehrwert zu. Es liegt nämlich letztendlich an der Medienerziehung der Eltern, inwieweit Kinder Gewalt im realen Leben für die Konfliktlösung legitimieren. Auch wenn Gewalt kein Mittel zur Konfliktlösung ist, ist ein wenig Action – so zumindest die Meinung des Autors – immer noch besser, als den Kindern Staralüren vorzuspielen und sie somit auf ihre kommende DSDS- oder GNTM-Karriere vorzubereiten..

Literatur

Basic, Natasa/Fred Schell/Bernd Schorb/Gerhard Graf (1997): Kinder sehen fern. Programmangebot und Präferenzen . München: KoPäd
Czaja, Dieter (1997) (Hrsg.): Kinder brauchen Helden. Power Rangers und co. Unter der Lupe. München: KoPäd
Feierabend, Sabine/Walter Klingler (2011): Was Kinder sehen. Eine Analyse der Fernsehnutzung Drei- bis 13-Jähriger 2010. (In): Media Perspektiven 4/2011, S.170-181
FLIMMO (2005) (Hrsg.) Das Fernseherleben von Vorschulkindern. FLIMMO Kinderbefragung März/April 2005. München: Programmberatung für Eltern e.V., Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM). http://www.flimmo.de/downloads/BerichtVorschulalter.pdf (Zugriff am 13.09.2011)
FLIMMO (2009) (Hrsg.): Spannung im Fernsehen. FLIMMO Kinderbefragung November 2009. München: Programmberatung für Eltern e.V., Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM). http://www.flimmo.de/downloads/File/Bericht_Spannung.pdf (Zugriff am 13.09.2011)
Rogge, Jan-Uwe (1999): Kinder können fernsehen. Vom Umgang mit der Flimmerkiste. 3. vollständig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe. Reinbeck b. Hamburg: Rowohlt.
Theunert, Helga/Magrit Lenssen/Bernd Schorb (1995): „Wir gucken besser fern als Ihr!“ Fernsehen für Kinder. München: KoPäd
Theunert, Helga (1996): Begleiter der Kindheit: Zeichentrick und die Rezeption durch Kinder. München: Bayerische Landeszentrale für neue
Medien (BLM), BLM-Schriftenreihe Band 37


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.