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Blindheit als Aushängeschild und Marketingstrategie???

Am vergangenen Wochenende fand im Wolfsburger Kongresspark die alljährliche Hochzeitsmesse statt, auf der ich mit meinem DJ-Gewerbe in diesem Jahr auch mit einem kleinen Infostand mit Plakaten, Flyern und Visitenkarten vertreten war.
Am ersten der zwei Messetage wurden mir Beobachtungen mitgeteilt, nach denen ich vom vorbeilaufenden Publikum oftmals angestarrt, jedoch in den seltensten Fällen angesprochen wurde. Viele nahmen sich im Vorbeigehen Flyer und Visitenkarte mit – hieran ist nichts verwerflich. Auffällig waren die Blicke vieler wohl schon. Ich schleppte jedoch auch keinen Blindenstock mit mir herum, warum auch, blieb ich doch 8 Stunden lang eh nur an ein und demselben Fleck, die klischeehafte Armbinde trage ich erst recht nicht. Jetzt könnte man aus Sicht des Sehenden argumentieren, dass sie sich vielleicht unsicher waren, nicht genau wussten, ob und wie… und deswegen so reagiert hatten. Den vorangegangenen Zeitungsartikel mit einer Ankündigung wird zudem ja auch nicht jede(r) gelesen haben.

Am Ende des ersten Messetages führte ich eine leicht hitzige Diskussion mit dem Veranstalter, der in meiner Situation die Blindheit als Aushängeschild und Marketingstrategie verwenden würde, ferner noch, er riet mir generell, die Blindheit mehr zu thematisieren, denn potentielle Kunden könnten sich verarscht vorkommen, wenn sie von Anfang an nicht gewusst hätten, woran sie bei mir sind – hierauf gehe ich im weiteren Verlauf noch ein.

Und so änderte ich für den zweiten und letzten Messetag die Plakatierung: „Blinder DJ …“ war nun auf zwei Plakaten zu lesen und das kleine zusätzliche Wörtchen verfehlte seine Wirkung nicht. Die Leute, so wurde beobachtet, blieben öfters stehen, kamen zurück, lasen erneut und, ganz wichtig, sprachen mich vermehrt an diesem Tag an. Auch die Visitenkarten und Flyer gingen hier besser weg als noch am Vortag.

Diese Story soll zur Veranschaulichung für die folgende Diskussion dienen, die gerne durch Kommentare in diesem Blog ergänzt werden kann und auch soll!

BLINDHEIT: EINE MARKETINGSTRATEGIE?

Im Jahr 2005 machte eine blinde Sängerin deutschlandweit von sich Reden und das oftmals nicht ihrer Stimme wegen. Nein. Es war die alleinige Tatsache, dass die Frau blind ist, die viele Radiostationen dazu veranlasste, besonderes Augenmerk auf das Musik-und-Blinde-Klischee zu legen.
Aber in wieweit soll und darf das eigene Handicap (ich spreche mit Absicht nicht von ‚Behinderung‘) zu Werbemaßnahmen herangezogen werden? Aus rein wirtschaftlicher Sicht ist hiergegen nichts einzuwänden, sofern es Kunden anzieht und die Auftragslage dadurch steigt. Aber ist das wirklich der Sinn?

Zugegeben. Die vorangegangenen Zeitungsartikel, die vor allem in den letzten Tagen in Wolfsburg anlässlich meines Messestands erschienen sind, könnten auch (theoretisch!) als solch Marketing- und Werbemaßnahme verstanden werden. Ich sehe diese jedoch nicht als solche. Ich sah und sehe in solchen Artikeln eher eine Art Aufklärungsarbeit und keine Werbung.
Werbung und Marketing, so mein Verständnis, sind von mir initiiert, die Zeitungsartikel waren und sind es definitiv nicht!
Zumal sind Zeitungsartikel kurzlebiger, ein auf meiner Blindheit basierendes Marketing wäre von längerer Dauer.

Doch bin ich durch meine Blindheit gleich ein besserer DJ? Dies könnten Sehende sicherlich so assoziieren, allein schon, weil ja immer noch in unserer Gesellschaft das Klischee des musikbegabten Blinden herumgeistert. Ich möchte jedoch unterstellen, dass es auf der Seite der Sehenden genauso viele Musikbegeisterte, auf der Seite der Blinden bestimmt auch viele musikalische Analphabeten gibt. Dieses Klischee wird nur noch dadurch gefördert, dass man uns Blinden ein viel besseres Gehör nachsagt, was mit dem Musikklischee gut kombiniert werden kann.

Eine DJ-Dienstleistung hat jedoch nichts mit einem Handicap zu tun. Denn das Handwerkszeug, die Musik, das elektronische Gerät, das Eingehen können auf Gäste und deren Wünsche, ist (aus meiner Sicht) nichts, das durch Blindheit in besonderem Maße weder ausgeschlossen noch gefördert wird.
Es erfordert Gespür, welches Blinde wie Sehende entweder haben oder nicht.
Ich lege Musik auf und vollführe keine animierenden Tänze oder sonstige Pantomime. Schließlich verstehe ich mich als „DJ“ und nicht als Hochzeitsclown… 😉

Nun könnte man, wie oben bereits geschehen, natürlich den rein wirtschaftlichen Aspekt betrachten, denn ob ich allein durch musikalische Vielfalt z. B. in einer großen Stadt wie Hamburg punkten kann? Musikvielfalt kann auch der 0815-Laptop-DJ liefern, wenn man ihm nur genügend Vorbereitungszeit gibt, was nicht heißen soll, dass jeder Laptop-DJ illegale Musik herunterläd, das sei klargestellt! Dieses Beispiel bietet sich nur wunderbar zur Veranschaulichung an.
Also wenn es ein anderes Hilfsmittel zur besseren Vermarktung gibt, warum dies nicht ausnutzen? Wurde ich vom Veranstalter am Wochenende gefragt. Meine Gegenargumente habe ich schon offengelegt. Dagegen sprechen jedoch meine Erfahrungen des zweiten Messetages. Also stecke ich in einer Zwickmühle zwischen persönlichen Interessen und der möglichen Vermarktung meines Gewerbes bzw. meiner Dienstleistung.

Ich möchte es nicht hervorheben, sehe jedoch, zumindest auf solchen Messen, dass eine Erwähnung der Blindheit grundlegende Effekte mit sich bringt. In wieweit sich das am Ende in Buchungen umschlägt und in wieweit solche Erwähnungen z. B. auf meiner Website oder zukünftigen Flyern die gleiche Wirkung erzielen können ist ungewiss.
Das Grundproblem ist, dass ich dadurch, dass ich meine Dienstleistung nicht abhängig von meiner Blindheit mache, diese bei Kundenanfragen auch nicht sofort zur Sprache bringe. Der Grund waren bislang negative Erfahrungen bei Buchungsanfragen. Wenn die Buchung zustande gekommen ist, habe ich meine Blindheit meist ins letzte Vorabgespräch mit eingebracht – was auch, bis jetzt, nie zu Problemen führte. Der Messeveranstalter, welcher schon länger auch im DJ-Buisiness tätig ist, führte jedoch an, dass sich Kunden verarscht vorkommen könnten, weil ihnen bei ihrer Anfrage bzw. während des Buchungsprozesses Dinge meiner Person betreffend vorenthalten wurden.
Natürlich habe ich mich vorher schon ausgiebig mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Diskussionen mit Blinden und Sehenden führten zu dem Ergebnis, dass sich die Meinungen (bei beiden Gruppen) die Waage hielten.

Also was tun? Gibt es einen Mittelweg, die Blindheit vielleicht zu erwähnen, ohne sie als Marketinginstrument zu gebrauchen?
Und wenn doch Marketing, in welchem Rahmen sollte sich diese Bewegen?
Sollte Blindheit bei der Buchung einer Dienstleistung, die nichts mit ihr zu tun hat, zur Sprache gebracht werden?

FAZIT

Die Erwähnung von Blindheit löste am vergangenen Wochenende interessante Effekte aus. Erfreulich für’s DJ-Gewerbe, erschreckend jedoch für mich persönlich. So muss das Auftreten meines Gewerbes (vor allem auch im Netz) überdacht werden.

Nur wem bringt es mehr, meine Blindheit zu erwähnen: der interessierten Person, mir oder uns beiden… und bringt es überhaupt was? Führt die Voraberwähnung nicht sogar zum Herabfallen der Scheuklappen bei vielen?
Mir wurde am Wochenende auch gesagt, ich müsse doch Verständnis haben für die Berührungsängste und Unsicherheiten Sehender und könne die starrenden Blicke, als wär ich vom Mond gefallen, nicht so drastisch bewerten.
Nun leben wir jedoch im 21. Jahrhundert, welches als aufgeklärt gilt. Und faktisch ist es nun einmal so: Ich will als Blinder nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, warum gibt es Sehende, die dies von mir erwarten?!
Ich habe Verständnis dafür, dass viele nicht wissen, wie sie mit einem Blinden umgehen sollen, muss jedoch auch sagen, dass es kein Patentrezept gibt (gibt es bei Sehenden aus meiner Sicht ja auch nicht).
Vielleicht waren die Messebesucher am ersten Tag nur verunsichert, weil ich sie nicht direkt anblicken konnte, weil für sie nicht erkennbar war, dass ich der in der Zeitung erwähnte blinde DJ war? Aber dies rechtfertigt nicht die Reaktionen einiger Besucher, welche teils soweit gingen, dass ein Mann seine Frau vom Stand wegzog, als ich sie von mir aus ansprach – gut, dies war eine, wenn auch irgendwo erschreckende, Ausnahme.

Daher wird sich zeigen, was sowohl der erste als auch der zweite Messetag so mit sich bringen. Ich für meinen Teil sollte mich entscheiden, für welchen der beiden Stühle (erwähnen vs. nicht erwähnen) ich mich entscheide oder, ob es nicht sogar einen akzeptablen Zwischenweg gibt.

Vielen Dank an Nils Hübner für die anregende Diskussion am späten Samstagnachmittag!

Ergänzung vom 06.01.2013

Nachträglich lässt sich sagen, dass am zweiten Messetag 2011, also an dem Tag, an dem die Blindheit offen auf einem Plakat erwähnt wurde, nicht automatisch mehr Aufträge zustande kamen. Auf den Messen 2012 und 2013 ließ ich das Wörtchen „Blind“ auf dem Plakat weg, der Standbesucher bekam jedoch durch eine Plakatwand mit Artikelausschnitten (2012) und einer Bildschirmpräsentation mit Bildern und kurzen Videosequenzen (2013) kurze Einblicke in meine Arbeit als (blinder) DJ. Ich fand, dass dies ein guter Spagat ist, denn einerseits mache ich so auf meine Blindheit aufmerksam und sie ggf. bei Kundengesprächen ins Spiel zu bringen, um Ängste und Vorurteile aus dem Weg zu räumen, andererseits nutze ich sie nicht aktiv als Marketing (z. B. durch Erwähnung des Wortes „Blind“ auf Flyern etc.).


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

Eine Antwort auf „Blindheit als Aushängeschild und Marketingstrategie???“

Ich habe den Artikel gelesen und denke, man sollte mit den Besuchern am ersten Tag der Messe nicht so hart ins Gericht gehen, da manche vielleicht am Stand gewesen sind und auf eine Reaktion gewartet haben. Ich kann jetzt nur für mich sprechen: wenn ich auf einer Messe bin und an einem Stand vorbei komme, Blickkontakt mit dem Stand-Personal oder Vertreter aufnehme, dann werde ich meist angesprochen. Ich von mir aus sage meist nix. Darum denke ich, daß ich wahrscheinlich auch unbewusst auf eine Ansprache deinerseits gewartet hätte. Und wenn ich dann, noch dazu, nicht so klar dein Verhalten, ev. Blick einordnen kann, dann geh ich einfach vorbei, weil irgendetwas anders ist und ich mir für den kurzen Moment nicht die Mühe mache, dem auf den Grund zu gehen. Würde ich aber irgendwie die Blindheit erkennen (schriftlich, Stock, Schleife), so wüsste ich, was es ist, das sich anders anfühlt und auch warum mein Blickkontakt nicht erwidert wird. So wäre alles klar und ich könnte agieren. An meinem Interesse bezüglich DJ würde sich nichts ändern. Auch die Stereotypen bezüglich Blindheit würden nicht aufkommen. Ich würde mir einfach denken, ah steil, der macht das! Der traut sich das zu, das heißt, er kann es und so wird das auch funktionieren. Sonst würde er nicht hier stehen. Ich denke man muß dem normalen Passanten auch die Möglichkeit geben, zu wissen woran er ist. Ich glaube, daß in der heutigen Zeit wesentlich mehr Menschen sogenannten „Behinderten“ viel mehr zutrauen. Man weiß, viele Menschen mit Handicap werden optimal gefördert und/oder sind technisch gut ausgerüstet, also wo liegt das Problem? Viele Menschen heutzutage wissen, was sie gelernt haben oder können, egal ob blind oder nicht und versuchen ihre Fähigkeiten zu vermarkten. Da verlasse ich mich auch auf mein Gespür. Unklarheit verunsichert mich eher und ich trete nicht in Kontakt. Ein klares Handicap kann man leichter einordnen. Das bedeutet aber nicht unbedingt, daß einem in weiterer Folge die Blindheit unsicher macht. Klar ist man nicht so vertraut damit, aber man kann ja darüber reden. Und ich denke auch, das Menschen die damit umgehen können geeignete Kunden sind. Also sei stolz auf den, der du bist!

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