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Mediale Verkupplung: Von „Herzblatt“, „Schwiegertochter gesucht“ und Konsorten

Im oder mit dem Fernsehen sucht man, mit dem und im Fernsehen findet man: Hilfe.
Für verschiedenste Lebenslagen hält das Fernsehen als informierenden, bildenden oder unterhaltenden Begleiter etwas parat. Ob nun in passiver Form, so zum Beispiel in zahlreichen Ratgeber-Formaten, oder in aktiver Form, bei der der Zuschauer die Möglichkeit hat, selber als Hilfesuchender am Geschehen teilzunehmen (geschieht unter Anderem in „Bauer sucht Frau“, „Kochprofis“ oder „Supernanny“). Jedoch erhoffen sich Zuschauer auch bei letzterer Gruppe Anregungen für ihre derzeitige Alltagssituation zu finden.

Das Fernsehen begleitet und hilft, jedoch nicht, ohne die eigenen Interessen (Quote, Verkauf von Werbeplätzen etc.) in den Schatten zu stellen. Zwar sind persönliche Schicksale auf der einen Seite interessant, jedoch kann aus ihnen weitaus mehr für die televisionäre Unterhaltung, denn für mehr taugen die Inhalte vieler „Personal Help Shows“ oftmals nicht, herausgeholt werden. Das Fernsehen bedient sich dabei der Emotionen, sowohl der Teilnehmenden als auch der Zuschauer, um die Bedürfnisse (Quote, Werbeeinnahmen vs. Hilfe, Veränderung einer Situation, Sensationslust, Wunsch nach Unterhaltung) zu befriedigen. Dass man dabei noch Menschen helfen kann, obwohl sicherlich ein Teil der Shows bis in die letzte Minute gescriptet sein dürfte, ist ein positiver Aspekt, den sich die Sender auf ihre Fahnen schreiben können.

Eine der wohl ältesten Formen, Menschen im Fernsehen zu „helfen“, dürften die Verkupplungsshows sein, welche sowohl im öffentlich-rechtlichen als auch im privaten Fernsehen vorzufinden sind. Als Klassiker in diesem Bereich zählt unumstritten „Herzblatt“, eine Produktion des Bayerischen Rundfunks, welche knapp neunzehn Jahre in der ARD ausgestrahlt wurde. Aktuell sind es jedoch vor allem die privaten Fernsehkanäle, welche mit zahlreichen „XY sucht …“ -Formaten im Vorabend und Prime-Time-Programm mit den Wünschen der Teilnehmenden spielen und sie sich zu Nutze machen.

Doch wie verzweifelt muss ein Bauer sein, um sich bei Sendungen wie „Bauer sucht Frau“ zu bewerben? Wie einsam muss sich jemand fühlen, der sich von Mama eine „Schwiegertochter“ suchen lässt? Was erhoffen sich Menschen, die übergewichtig sind, wenn sie an ein extra für sie kreiertes Format teilnehmen, obwohl doch eigentlich inzwischen klar sein dürfte, dass gerade diese Personengruppe vom Fernsehen (oftmals negativ) ausgeschlachtet und bloßgestellt wird? Erhoffen sich die Teilnehmer überhaupt etwas oder ist es für sie mehr ein „Spiel“, ein wenig Spaß und Aufwandsentschädigung?

Gerade im letzten Monat stellten sich erneut Kandidaten für „Schwiegertochter gesucht“ vor, in Kürze startet zudem die „Großstadtliebe“, ebenfalls auf RTL.
Schaut man sich jedoch einmal die Kandidaten an, so dürfte sehr schnell klar werden, warum das Fernsehen scheinbar der letzte (Aus)Weg ist, eine(n) Partner(in) fürs Leben zu finden. Denn oftmals scheinen die Kandidaten naiv – sicherlich einer der wenigen Punkte, die hier einmal nicht vorgegeben sein dürften. Es sind Menschen, die vom Charakter her, ohne diskriminierend sein zu wollen, wohl eher einfacher gestrickt sind. Ein normaler Mensch würde sich nie auf solch plumpe Flirt- und Anmachszenen einlassen – oder vielleicht doch?
„Herzblatt“ in der ARD hatte noch Stil. Zwar waren sicherlich die drei Fragen, die den drei möglichen, zukünftigen Herzblättern gestellt wurden, von der Redaktion vorgegeben, aber sie waren oftmals witzig und die Antworten der Kandidaten sorgten nicht selten für ein wenig Gelächter. Hier gingen Unterhaltung und die Hoffnung, dass zwei Menschen zueinander finden könnten, quasi Hand in Hand einher. Zwar befürchte ich, dass nur die wenigsten der „Herzblatt“-Paare über längere Zeit zusammengeblieben sind, dennoch war diese Art von Verkupplung immer noch attraktiver, auch für den Zuschauer, als das heutige Rumgealbere.
Aber wir haben uns anscheinend an derart banaler Unterhaltung sattgesehen. Wir brauchen heute mehr Sex und Crime, mehr Peinlichkeiten und Sensationen, um unsere Gier nach Sensation und Lachanlässen zu befriedigen. Ich glaube jedoch auch, dass sich das Verständnis von Humor in den letzten Jahren massiv gewandelt hat. Ausgeklügelte Comedy-Sendungen, sowohl im Radio als auch im Fernsehen, mussten in den letzten Jahren für albern blödelnde Standup-Comedians ihren Platz räumen. Dieser Wandel schlägt sich sicherlich auch in sämtlichen Unterhaltungsformaten nieder.
Die angenehmste, mediale, Form der Partnersuche war in den 1990er Jahren immer noch die Suche per Radio. In ganzen abendfüllenden Sendungen, ebenfalls sowohl auf privaten als auch auf öffentlich-rechtlichen Kanälen, haben Töpfe nach ihren passenden Deckeln gesucht. Und hier ging es keineswegs um Bloßstellung oder Sensation. Menschen konnten einfach erzählen, sich in wenigen Minuten vor- bzw. darstellen. Es wurde gefragt, wie der Traummann/die Traumfrau sein soll und wie man mit der suchenden Person Kontakt aufnehmen kann – ganz einfach, ganz unkompliziert, jedoch aus heutiger Sicht völlig unattraktiv, uninteressant, sensationslos. Niemand wird runtergeputzt, ist peinlich oder naiv. Ohne diese quotenbringenden Attribute würde eine solche Sendung heute nicht mehr funktionieren. Und wenn es schon keine Peinlichkeiten sind, so sind es tränenreiche Abschieds- oder sonstige Szenen, welche das Publikum interessieren, anrühren und begeistern. Normalität ist schon längst aus dem Fernsehalltag verschwunden. Wie meinte mal ein Professor in einer Vorlesung: Wir würden Medien eh nicht nutzen, um Alltag zu sehen – und er hatte Recht!


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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