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Kinderfernsehen der 90er Jahre. Ein Gespräch mit Wolfgang Buresch (Hamburg) vom 24.03.2010

Wolfgang Buresch, Puppenspieler, Autor, Regisseur, Fernsehredakteur aus Hamburg, schreibt und produziert seit vierzig Jahren Kindersendungen für das öffentlich-rechtliche Kinderfernsehen. Im Rahmen meines Forschungsprojekt zum Kinderfernsehen der 90er Jahre und zur Unterhaltung im Kinderfernsehen führte ich am 24.03.2010 ein ausführliches Interview, in welchem es u. a. um die Veränderungen im Kinderfernseh-Sektor, um die Gewaltdiskussion bzgl. des Kinderfernsehens in den 90er Jahren und um Entwicklungen und Tendenzen zukünftiger Kinder-Fernseh-Programme.

An dieser Stelle danke ich Wolfgang Buresch noch einmal für dieses ausführliche und sehr interessante Gespräch.


Christian Ohrens: Vergleicht man das Programm der 90er Jahre, welches ja noch stark vom Kinderfernsehen der 80er Jahre beeinflusst wurde, da viele in den 80er Jahren produzierte Serien erst in den 90ern ausge-strahlt wurden, mit dem Heutigen Kinder-Fernsehangebot, was hat sich Ihrer Meinung nach verändert? Was ist – wenn es das überhaupt gibt – besser oder schlechter geworden?

Wolfgang Buresch: Ich glaube nicht an ein „besser“ und „schlechter“, ich glaube grundsätzlich an ein „anders“, weil sich die Sehgewohnheiten weiterentwickeln. Aber zwischen den 90ern und Heute hat sich das nicht mehr so gewaltig verändert. Der Lernprozess der Fernsehsprache und das damit verbundene raschere Auffassen war 1990 bei der Mehrheit der Zuschauer bereits vollzogen. In den 70er Jahren war das noch anders. Da hat man erst angefangen, das zu lernen. In den 90er Jahren hatte bereits die erste Eltern-generation fernsehen gelernt und die Kinder sind ganz selbstverständlich damit umgegangen. Sie kannten alle Clips, die erst Mitte der 80er Jahre entstanden sind. Sie hatten sich an diese rasche Folge von Bildern gewöhnt, auch die kleineren Kinder. Das, was sich verändert hat, ist sicher-lich, dass es mehr kommerzielle Angebote gab. Um es auch direkt zu sagen, es gibt mehr „Mist“ auf dem Markt als früher. Die kommerziellen Angebote wie Trickserien sind in Massen produziert worden, weil sie so erfolgreich sind. Man hat festgestellt, dass auch weniger Qualität immer noch erfolgreich ist. Das war bunt, laut, manchmal auch gewalttätig und damit hat es schon gereicht, um Einschaltquoten zu bekommen.

Christian Ohrens: Dieses bunte, laute, teilweise auch gewalttätige lief in den 90er Jahren vor allem auf den privaten Kanälen. Die öffentlich-rechtlichen Kanäle sind ja trotz der Konkurrenz durch die privaten Fernsehsender weiterhin beim eher qualitativen Programm geblieben.

Wolfgang Buresch: Ja, das Öffentlich-Rechtliche hat sich weiter darum bemüht. Viele der preiswerteren Produktionen, über die das öffentlich-rechtliche Fernsehen ja auch verfügte und die schon als Anpassung an den Zeitgeist empfunden worden sind, zählen immer noch zu den qualitativ höherwertigen Sendungen. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass die Privaten inzwischen auch ein Bewusstsein über qualitativ bessere Kinderprogramme entwickelt haben. Es gibt Sender, die sich ausschließlich oder vorwiegend auf Kinderprogramme festgelegt haben. Programme wie Nickelodeon haben unter ihrem Gesamtangebot einige ganz ausgezeichnete Serien eingekauft und das wird mehr und mehr. Es nimmt sowohl der „Mist“, als auch das bewusst qualitativ ausgewählte und eingekaufte Programm zu.

Christian Ohrens: Können Sie solche Beispiele öffent-lich-rechtlicher Produktionen nennen, welche sich an der privaten Konkurrenz orientiert haben?

Wolfgang Buresch: Der im Öffentlich-Rechtlichen vermehrte Einsatz von Zeichentrickserien ist schon ein Hinweis darauf. Wir wissen, das ist die populärere Form. Ein Zeichentrick-film ist populärer als ein realistischer Film, es sei denn, es ist ein Abenteuerfilm und aufwändig produziert. Alte Zei-chentrickserien waren qualitativ ganz anders. „Als die Tiere den Wald verließen“ z. B. ist heute ein eher ruhiges Programm im Gegensatz zu dem, was es heute im Angebot gibt. „Simsalagrimm“ z.B. ist ein populärer Ansatz, der qualitativ jedoch aufwändig ist. Ein diesbezüglicher Ansatz von qualitativ hochwertigem Programm auf den Privaten bietet z. B. auch „Caillou“ Das ist eine der schönsten Vorschulserien aus Frankreich, die es überhaupt gibt. Leider haben das die Öffentlich-Rechtlichen nicht rechtzeitig erkannt und gekauft. Diese Serie läuft jetzt bei einem privaten Konkurrenten.

Christian Ohrens: Sie sagten, in den letzten Jahren haben sich die Privaten bereits bemüht, qualitatives Programm zu zeigen. Mein persönlicher Eindruck war schon damals, dass viele wichtige Themen, z. B. der Umgang miteinander oder Umweltschutz, Freundschaft etc. behandelt worden sind und das trotz der Kritik bzgl. zu viel Action oder Gewalt auf den privaten Kanälen.

Wolfgang Buresch: Das war auch ganz eindeutig so. Ich gehöre auch zu denjenigen Vertretern der Öffentlich-Rechtlichen, die das private Fernsehen als Konkurrenz begrüßt haben. Denn das hat uns geholfen. Wir haben dadurch über unsere Programme nachgedacht und geschaut, was man verändern kann, wie man es zeitgemäßer gestalten kann. Das war für uns auch notwendig, finde ich. Die Gewaltdiskussion hat mich nicht überrascht. Die Argumente waren die gleichen wie 20 Jahre vorher. Wir lernen offenbar nicht aus den Erfahrungen anderer, wir müssen sie selbst machen.

Christian Ohrens: Mein Eindruck war, dass viele Serien, die im Mittelpunkt dieser Gewaltdiskussion standen, auch gewisse Werte vermitteln wollten und diese Werte hatten nichts mit Gewalt zu tun. Das ist allerdings in der Diskussion oftmals untergegangen. Man hat nur das Schlechte gesehen und diskutiert, nämlich die Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung. Als Beispiel nenne ich die „Power Rangers“, die zwar durch sehr viel Action Auf-sehen erregt haben, allerdings habe ich beim Anschauen auch wichtige Themen entdeckt, Themen wie Umwelt und Tierschutz. Nur werden diese Rahmenhandlungen bei diesen Diskussionen unter den Tisch gekehrt. Wie würden Sie das beurteilen?

Wolfgang Buresch: Ich habe nur wenige Folgen gesehen. Aber ich verstehe, was Sie meinen und worauf Sie hinaus wollen. Ich denke, dass es in den 90er Jahren kaum Sendungen mit dem, was wir für Gewalt halten, ohne Alibifunk-tion in der Rahmenhandlung gab. Kein Programproduzent ist so dumm, dass er nicht auf das eingeht, wonach der Zeitgeist fragt. Daher gibt es Rahmenhandlungen, die posi-tive Werte verkaufen sollen, mit Themen wie Umwelt oder Freundschaft, eben Themen, die wir wollen. Die werden dann nur in sehr aufwändige und gewalttätige Geschichten verpackt. Das legitimiert diese Serien aber noch nicht. Die Aufmerksamkeit auf die uns wichtigen Themen sollte ohne die Gewalt erreicht werden. Dann sind die Programme gut. Ich möchte ein Beispiel nennen. Sehr früh habe ich beim NDR angefangen, Abenteuerserien für Kinder zu produzieren, die von der Herstellung sehr aufwändig waren. Das waren Serien wie „Neues vom Süderhof“, „Die Kinder vom Alstertal“ usw. Diese Serien haben die Werte transportiert, die mir wichtig waren. Nur, die standen nicht im Vorder-grund. Die Vermittlung hat über die Identifikation mit den Figuren bei den Kindern funktioniert. Das ist eine Form des Transportierens von dem, was man für wichtig hält, und das finde ich legitim, gut und richtig. „Ich kann nicht für die Jung-fräulichkeit vögeln“. Das ist im Grunde das, was mit anderen Programmen immer gemacht wird. Es wurde Gewalt verkauft, während das Rahmenthema dem Zeitgeist entsprach, um das Alibi für die Gewalt zu liefern. Ich bin etwas drastisch, oder?

Christian Ohrens: Aus Ihrer Sicht ist es also wichtiger, Werte ohne Gewalt zu vermitteln?

Wolfgang Buresch: Ja. Ich bin verpflichtet, in jedem Programm, was ich anbiete, Werte zu vermitteln. Ich denke, das größte Problem bei Kinderprogrammen ist, dass die Macher nicht oder zu wenig darüber nachdenken, was sie unter der Hand mit transportieren. Das ist grundsätzlich ein Problem bei jeder Form von Unterhaltung. Sie hören ganz häufig den Satz „Das ist ja nur Unterhaltung“. Aber die so genannte reine Unterhaltung transportiert viel mehr Werte als jede andere Form. Nur das ist nicht sofort erkennbar. Es gab mal einen sehr populären Moderator, der hieß Kuhlen-kampf. Der machte Unterhaltungssendungen. Kuli war einer der beliebtesten Figuren im deutschen Fernsehen. Dabei hat er ein Frauenbild verstärkt, was ich unterirdisch fand. Doch es entsprach dem Zeitgeist älterer Männer, leider auch mancher Frauen. Das war die kleine, fleissige, freund-liche Hausfrau und Mutter, die mit Komplimenten und einem Handkuss bedient wurde, oder die berufstätige Frau, die auch auf eine subtile Art und Weise von oben herab behandelt wurde. Das hat nur keiner gemerkt. Erst wenn man die Sendung analysiert und schaut, was macht er eigentlich mit den Frauen, merkt man, was damals passiert ist. Das fiel nicht auf, weil, es entsprach dem Zeitgeist. Und das ist auch bei ganz vielen Unterhaltungssendungen so, die wir für Kinder anbieten. Weil wir nicht darüber nachdenken, was wir eigentlich neben der Handlung transportieren, was dahinter steht, wie sich die Figuren, mit denen man sich identifiziert, verhalten, was sie für Werte vertreten.

Christian Ohrens: Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum oft die Diskussion bzgl. der Gewalt in Zeichentrickserien in den 90er Jahren so extrem entbrannte?

Wolfgang Buresch: Ja. Lassen Sie mich mal die beiden Theorien zusammenfassen, die es seinerzeit über die Gewalt im Fernsehen gab. Beide Theorien waren unsinnig. Die eine Theorie besagt, dass die Gewalt beim Zuschauer einen Katharsis-Effekt auslöst. Man sieht also gewalttätige Sendungen und reagiert damit die eigenen Gewaltpotentiale ab. Das war damals tatsächlich eine der wissenschaftlichen Theorien. Ich halte das für absoluten Nonsens. Ich habe noch nie erlebt, dass ich dadurch satt werde, dass ich anderen beim Essen zuschaue. Das funktioniert so nicht. Die andere Theorie besagt, dass man sich beim Anschauen auf-lädt und selbst gewalttätiger wird. Auch diese Theorie lässt sich wissenschaftlich nicht verifizieren, und ich hielt das damals schon für Unsinn. Was man heute zweifelsfrei weiß, und das wissen auch alle Menschen, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, ist, dass es einen Abstumpfungseffekt gibt. Den gibt es gegen das, was man sieht. Die Emotionen, das Mitfühlen wird abgestumpft, nämlich dadurch, dass man mehr und mehr Gewalt sieht. Natürlich wissen Kinder, ab einem gewissen Alter, dass die Indianer wieder aufstehen, wenn sie vom Pferd geschossen worden sind. Aber das Zusehen von zunehmend mehr realer Gewalt stumpft ab, demgegenüber was da passiert. Und das verstärkt das Wegschauen in der Realität. Ich behaupte, dass es dadurch immer weniger Menschen gibt, die couragiert sind und eingreifen, wenn sie Gewalt erleben. Sie sind ein-fach abgestuft. Wenn Sie sich bewußt machen, dass es vor nicht allzu langer zeit Jugendliche im Gefängnis gab, die jemanden umgebracht haben und dann sagten: „wir wollten mal sehen, wie es in echt ist, wenn Jemand stirbt“, dann wissen Sie was ich meine. Aus dem Fernsehen kennen wir es. Und das ist das große Problem. Da gibt es diesen Amerikaner, einen ehemaligen FBI-Ausbilder, mir fällt der Name nicht ein, der einen Feldzug gegen Gewaltvideospiele führt. Er begründet es damit, dass diese Filme entstanden sind, um FBI-Agenten zu trainieren. Daraus sind dann Spiele gemacht worden. Er ist einer derjenigen, der die Agenten geschult hat, jetzt reist er durch die ganze Welt und hält Vor-träge gegen diese Spiele. Er steht für das, was ich meine, wenn ich sage, dass wir die Zuschauer mit der Gewalt, die wir ihnen anbieten, abstumpfen.

Christian Ohrens: Ein Kind weiß z. B. ab einem gewissen Alter, dass es keine Menschen gibt, die durch die Luft fliegen können.

Wolfgang Buresch: Ja, und das Zeichentrickfilme nicht real sind, das wissen sie auch. Eine Figur wird von einer Dampfwalze überfahren und steht anschließend als Flachfi-gur wieder auf und läuft hinterher. Das wird als Witz wahr-genommen. Wenn Gewalt als Slapstick gezeigt wird, ist das auch mehr ein Witz als Realität. Auch wenn Gewalt, wie im ursprünglichen Kasperletheater gezeigt wird, wo der Punch seine Kinder verprügelt und sie und seine Frau dann zum Fenster rauswirft, versteht das kein Kind als Realität. Das ist etwas anderes und mehr eine ästhetische Frage, ob ich das zeige. Schlimm finde ich, wenn seelische Gewalt dokumentiert und vorgeführt wird, Gewalt, die Kinder ohnmächtig macht. Außerdem bin ich auch der Meinung, dass es keinen Kinderfilm mit einem negativen Ende geben dürfte. Ich denke, wir sind als Erwachsene verpflichtet, Kindern Hoffnung zu machen. Realität ist keine Entschuldigung. Es gibt Menschen, die sind der Ansicht, Kinder können nicht früh genug mit der Realität konfrontiert werden. Da bin ich ganz anderer Meinung. Auch die Realitäten machen wir uns selbst. Und um auf das Gewaltthema zurück zu kommen: Die Frage ist nicht, ob Gewalt z. B. in Zeichentrickfilmen dargestellt wird, sondern eher, wie realistisch sie gezeigt wird. Je unrealistischer sie ist, desto weniger kann durch sie eine abstumpfende Wirkung erzielt werden.

Christian Ohrens: Doch wo würden Sie sagen, zieht man die Grenzen zwischen „realistisch“ und „unrealistisch“? Ist es schon unrealistisch, wenn man sprechende, vielleicht etwas tollpatschige Schildkröten oder fünf Teenager, die mit Saurierfahrzeugen gegen Fleisch fressende Pflanzen angehen, sieht? Grenzen sind da sehr fließend.

Wolfgang Buresch: Das sind sie auch. Ich kann nur sagen, wo für mich die Grenze ist. Wenn Gewalt als Lösungsmög-lichkeit erfolgreich ist, bin ich dagegen. Das ist ein ganz ein-faches Statement. Das ist das, was zuschauende Kinder zu Gewalt motiviert, wenn sie Erfolg hat. Das ist meine persön-liche Grenze. Ich habe immer Programme gemacht, die ich verantworten konnte – als Vater und auch als Programmver-antwortlicher. Und ich bin stolz darauf, dass ich mit der Art, wie ich Programme gemacht habe, mit die höchsten Ein-schaltquoten hatte.

Christian Ohrens: Wir hatten vorhin kurz das Thema, warum die privaten Fernsehsender auf diese Gewalt- und Actionschiene aufgesprungen sind. In den 80er und 90er Jahren kamen auch verstärkt Serienangebote für Erwachsene auf den Markt (z. B. „A-Team“), in denen die „Guten“ und die „Bösen“ sich gegenseitig gejagt, verfolgt, bedroht oder mit Waffen aller Art beschossen haben. Das war ja auch sehr gewaltlastig. Kinder kennen diese auch vom Erzählen. Könnte man sogar sagen, dass man mit Actioncartoons für Kinder auf generelle Programmentwicklungen im Fernsehen reagiert hat? War es nicht selbstverständlich, dass man ein Pendant für Kinder finden muss, bevor sie auf diese Erwachsenen-angebote zurückgreifen?

Wolfgang Buresch: Ich glaube das nicht. Ich glaube auch nicht, dass die Gewalt im Angebot zugenommen hat Ich denke, dass das Gewaltangebot immer identisch war. Die Genres waren verschieden.
Früher waren das die Indianer, die gejagt wurden und abge-schossen worden sind. Das wurde abgelöst durch Western und die Western wurden abgelöst durch Krimis. Die Menge der Gewalt hat es immer gegeben. Durch die Zunahme von Sendern, die es plötzlich gegeben hat, nahm die Gewalt nur scheinbar zu. Es ist ein Unterschied, ob man drei Sender zur Verfügung hat oder 12. Die Filme sind ja alle die Gleichen. Sie laufen nur versetzt zu anderen Zeiten bei den gleichen Leuten. Das ist das eine. Das andere ist, denke ich, dass immer dann, wenn sich etwas bewegt, das weiß man aus den Zeichentrickfilmen, wenn etwas zu Boden geht, wenn etwas überwältigt wird, ist das erfolgreich. Und das hat man einfach in vielen preiswerten Formen weitergestrickt. Die Geschichten sind simpel, übersichtlich und auf der ganzen Welt zu verstehen. Man muss sich dabei nicht anstrengen. Durch dieses ständige Wiederholen entstand der Eindruck, dass es mehr geworden ist. Ich glaube nicht daran, dass es mehr geworden ist. Denken wir mal an Amerika. Der Werbeetat von den Firmen, die die Sendungen finanziert haben, hatte nicht zugenommen. Nur der Umsatz der Filme ist größer geworden. Ich kenne Serien, die liefen 60, 70, 80 Mal im deutschen Fernsehen, nur immer zu anderen Zeiten Die wurden auf den Kommerziellen und anderen Sendern immer wieder eingesetzt. Wenn Sie das reali-sieren ist Ihnen klar, dass das Programmangebot nicht größer geworden ist. Es wurde nur häufiger wiederholt.

Christian Ohrens: Werfen wir einen Blick auf aktuelle Tendenzen und Entwicklungen. Es fällt auf, dass das actionreiche Programm in den letzten Jahren etwas zurückgegangen ist.1 Was meinen Sie, womit hängt das zusammen? Oder ist dies vielleicht eher eine Fehlbeobachtung meinerseits?

Wolfgang Buresch: Ich weiß nicht, ob das Actionprogramm zurückgegangen ist. Ich vermute es, aber ich kann das nicht mit Zahlen belegen. ich vermute, dass die bewussteren Programme zugenommen haben und die Wiederholungen von Actionprogrammen geringer geworden sind, weil die anderen, lustigeren, gewaltfreien Angebote zugenommen haben. Man hat gesehen, dass man mit anderen Programmen auch Erfolge erzielen kann. Es ist so, wenn Sie anfangen und z. B. für Kinder Abenteuerserien produzieren und ausstrahlen, die überdurchschnittlich erfolgreich sind, und man dann dahinter kommt, dass diese Sendungen, die sehr viel Geld kosten, letztlich preiswert sind, weil sie immer wiederholt werden können und immer noch Zuschauer finden, die Spaß daran haben, dann wird das ein Trend. Nämlich die Eigenproduktion ähnlicher Produktionen. Bei internationalen Produktionen ist das Angebot auch differenzierter und überlegter geworden. Vielleicht hat das auch mit dem Zeit-geist zu tun. Das macht man sich aber nicht klar, wenn man in der eigenen Periode drin steckt. Ich hole jetzt etwas aus; in den 60er, 70er Jahren habe ich eine Sendung gemacht, die hieß „Der Hase Cäsar“. Das war seinerzeit eines der populärsten deutschen Programme. Es gibt im Internet Fan-clubs von dem Hasen Cäsar, auch heute noch. Der Kinder-kanal hat einmal eine Retrosendung ausgestrahltund da hat der Hase Cäsar noch mal moderiert und ein paar alte Sendungen vorgestellt. Viele Eltern, die damit groß geworden sind, sagten: „schade, dass es diese Sendung nicht mehr gibt, die wäre doch so schön für unsere heutigen Kinder.“ Ich antworte denen immer: „seien Sie froh, dass es die nicht mehr gibt, wenn Sie die den heutigen Kindern vorführen würden, würden die sagen, worüber habt ihr denn damals gelacht?“ Diese Figur entsprach dem Zeitgeist. Der Cäsar hatte keine Angst vor Autoritäten, der war frech, der war all das, was Kinder damals sein wollten. Er war ein Idol für die Kinder. Heute funktioniert das nicht mehr, weil die meisten Kinder heute so sind. Heute funktioniert bei Kindern eine andere Figur, „Bernd das Brot“ vom Kika, nämlich der Verweigerer, der zunächst zu allem „Mist“ sagt. Das ist der Zeitgeist heute. Das ändert sich immer und so ändern sich natürlich auch Programme. Damals war es eine Zeit, wo es zunehmend Abenteuerserien für Kinder gab. Es gab auch mal eine Zeit, wo zusehends Science Fiction und Fantasy für Kinder angeboten wurden, Und da wird es problematisch. Mit den Fantasy-Angeboten, die das Computerspiel oder das Kino produzieren kann, kann das Fernsehen nicht konkurrieren. Es gab bereits solche Versuche, doch das sah ärmlich aus. Das hatte keinen überdurchschnittlichen Erfolg. Das kann man auch nicht mehr bezahlen, denn das sind große internationale Produktionen, wo unglaublich viel Geld investiert wird. Im Moment, so glaube ich, ist man so auf der Suche nach etwas in Richtung Fantasy im Kopf. Man fängt wieder an, Geschichten zu erzählen, bei denen man die eigene Fantasie spielen lässt. Ich glaube, das wird Zukunft haben. Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass die erzählenden Stoffe für Kinder und Jugendliche immer populär bleiben, auch wenn sie heute in einer anderen Geschwindigkeit erzählt werden müssen als zu meiner Zeit. Die erzählenden Stoffe, die fantastischen und verrückten Stoffe, sind wieder im Kommen.

Christian Ohrens: Was glauben Sie, wie wird Kinder-fernsehen in ein paar Jahren sein? Wie wird es sich weiter entwickeln?

Wolfgang Buresch: Ich denke, es wird zwei große Entwick-lungen geben. Die eine Entwicklung wird sein, dass das Vorschulprogramm eine Renaissance erleben wird. Das war schon einmal 1971 bis 1975 der Fall, da gab es diese große Entwicklung im Fernsehen für diese Altersstufe. Das kommt jetzt wieder und das aus unterschiedlichen Gründen. Das hat mit der Frühförderung zu tun und mit den Gedanken, die man sich heute über Kleinkinder macht. Es gibt eine ganze Menge Gründe, wieso dieses Programm wieder in den Vordergrund rücken wird. Das wird ein gezieltes, bewusstes, ausprobiertes und wissenschaftlich begleitetes Programm sein, wo man die Erfahrungen, die man macht, umsetzt. Das wird ein ganz breiter Bereich werden und er wird auch schon bei Kleinkindern ansetzen. Zu meiner Zeit durften keine Programme für Kleinkinder produziert werden, die durften ja auch nicht ins Kino gehen. Wir haben dann heim-lich Programm für Kleinkinder gemacht. Also das erste, was ich produziert habe, war „Stoffel und Wolfgang“, das habe ich dann in der „HÖR ZU“ ausdrucken lassen, als „die Sendung für unsere Kleinsten“. Ich hätte nicht sagen dürfen, dass es für Kleinkinder ist. In der Serie habe ich den Vater einer Puppe, die ein kleines Kind darstellt, gespielt, und zwar so, wie ich mir einen Vater wünschte. Das war damals etwas ganz Besonderes. Später gab es Programm für Kinder im Vorschulalter, das war für die Fünf-, Sechsjährigen. Vor ein paar Jahren gab es dann ja die „Teletubbies“. Das war das erste Programm, welches wirklich auf eine geniale Weise bereits auf Zwei-, Dreijährige zugeschnitten war. Natürlich wurde das von vielen Erwachsenen vehement abge-wehrt. Die, die sich mit den Sendungen auseinandergesetzt haben und die sich mit kleinen Kindern davor gesetzt haben, haben erlebt, wie genial dieses Programm war. Das war das erste psychologische Programm für kleine Kinder. Da wurde das Verhalten von Zweijährigen gespiegelt. Des-wegen haben Zweijährige dieses Programm geliebt, Nichts lieben wir so sehr wie das, was unser Verhalten spiegelt. Wenn wir uns in etwas wieder erkennen, entwickeln wir starke Emotionen dazu. Das hat bei diesem Programm funktioniert. Damit entstand eine Renaissance für das Klein-kinderprogramm. Es gibt jetzt beim Kinderkanal das Kika-ninchen. Das ist das Vorhaben, alle öffentlich-rechtlichen Programme in einen Rahmen mit einem eigenen Programm zusammenzufassen. Das ist sehr vielversprechend und spannend und das wird die eine Tendenz sein. Die andere Tendenz wird, glaube ich, sein, dass es immer weniger spezifische Programme für ältere Kinder geben wird. Ich sehe, es wird jetzt noch mal ein großer Versuch gestartet werden, Programme für Acht- bis Zehnjährige zu machen. Diese Altersgruppe gab es eigentlich als Zielgruppe nicht, die wurde früher u. a. mit Abenteuerfilmen für Ältere mitbedient. Da wird jetzt überlegt, wie man die als Zielgruppe erreichen kann. Aber alles, was darüber hinausgeht, wird, so denke ich, in spätestens fünf oder sechs Jahren vom Erwachsenenfernsehen mit bedient werden. Die älteren Kinder schauen kein Kinderprogramm mehr, außer es handelt sich um Themen, die ihnen unter der Haut brennen. Sie suchen sich bereits gezielt ihre Themen aus. Wenn ihre Themen im Laufe des Tages zu späteren Zeiten , im sogenannten Erwachsenenprogramm, angeboten werden, werden sie das immer präferieren. Wenn ihre Themen abends um 20:00 Uhr angeboten werden, dann schalten sie selbst auf den Kinderkanal. Sie suchen sich aber auch andere Programme aus. Ein Beispiel, als ich im NDR Jugendprogramm gemacht habe, das gab’s in den 70-igern auch mal, das war Programm für 15 bis 21jährige, haben die Jugendlichen auch nicht die Wahrheit gesagt, wenn wir sie fragten, was sie wirklich sehen wollen. Wir haben aber gesehen, dass sie sich Krimis und andere Sendungen angesehen haben und das hat mich dazu gebracht, meine Sendungen mit dem Fernsehspiel zu koproduzieren und zur Hauptabendzeit auszustrahlen. Das waren Sendungen wie „Britta“ oder „Je-rusalem, Jerusalem“. Das wurden große Mehrteiler, die wir produziert haben. Abends zur Hauptsendezeit hatten wir dann überproportional viele Jugendliche, die das schauten, viel mehr Jugendliche, die sich z. B. sonst Krimis angeschaut haben. Und das wird, so könnte ich es mir vorstellen, zunehmend auch mit Programmen für die heutigen 11- bis 13jährigen passieren.

 

1. vgl. hierzu meinen Beitrag Kein (Sende-)Platz mehr für starke Kämpfer? Kindersendungen im Fernsehen: Aktuelle Genreschwerpunkte im Überblick in diesem Blog.


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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