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Gedanken-Gänge I – „Senk ju forr träwweling…“ oder: Die Bahn kommt

Gedanken-Gänge – eine neue Kurztextreihe, welche ich in unregelmäßigen Abständen hier veröffentlichen möchte. Es sind, wie der Name schon verrät, Gedankengänge, kurze Skizzen zu verschiedensten Themen, die mich beschäftigen bzw. beschäftigt haben. Den Anfang macht ein z. T. leidiges Thema, nämlich die Deutsche Bahn.

Gedanken-Gänge I: „Senk ju forr träwweling…“ oder: Die Bahn kommt

Bahnkritik liest man viel und häufig. Meist geht es hierbei um die Preise, die beim Fahrplanwechsel einmal wieder erhoben werden oder um das Preis-Service-Verhältnis. Wenige scheinen sich jedoch mit einem besonderen Teil des Bahnservices auseinanderzusetzen, den Ansagen im Zug bzw. auf den Bahnsteigen.

Wer schon länger regelmäßig mit der Bahn fährt (ich tue dies seit Mitte der 1990er Jahre), dem ist vielleicht aufgefallen, dass sich die Ansagen im Zug bzw. auf den Bahnsteigen in den letzten 15 Jahren gravierend geändert haben. Waren zu Beginn meiner Bahnreiserei die Durchsagen noch individuell, wenn es sie in Regionalzügen und an kleinen Bahnhöfen überhaupt gab, so ist es heute mehr oder weniger ein festgelegtes Einerlei geworden.

„Schuld“ daran waren zunächst die wegen der Expo 2000 aufgekommenen englischsprachigen Ansagen. Da viele der Bahnangestellten über wenige Englischkenntnisse scheinbar verfügten, bekamen sie einen Ansagentext vorgegeben, den sie oftmals einfach vom Papier ablasen. Weiter ging es mit der in vielen großen Bahnhöfen um sich greifenden Einführung der Tonbanddurchsagen (von manch Bahnhofs- und Servicemitarbeiter auch liebevoll als ‚Blechelse‘ bezeichnet), welche zwar langsam und verständlich waren und auch Informationen in Englisch lieferten (und liefern) und so ein gewisses Maß an Perfektheit vermittelten, jedoch Dank Programmierfehler etc. auch so ihre Tücken aufwiesen. Ein Zug, der von Hannover über Hamburg-Harburg und Hamburg Hauptbahnhof nach Hamburg Altona fuhr, wurde schonmal als „ICE nach Hamburg Altona über Hamburg und Hamburg“ angekündigt. Die vom Menschen getätigte Durchsage, wie sie z. B. noch am Hamburger Hauptbahnhof gemacht wird, wurde seither zunehmend durch Bandansagen abgelöst. Vorbei war die Zeit von Versprechern und z. T. unterschiedlichsten Arten, eine Station oder einen Anschlusszug anzukündigen.

Aber auch vor den Zügen machte das Tonbandeinerlei nicht halt! Angefangen auf ausgewählten Regionalzug-Strecken, inzwischen auf flächendeckend fast allen Strecken im Regionalverkehrnetz hörbar, wurde auch seit Ende der 1990er Jahre das Tonband eingeführt. Vorher lag es an der Willkühr der Lokführer, ob und wie eine Station angesagt wurde. Und in den Schnellzügen (IC und ICE)? Hier spricht noch der Zugchef zu seinen Fahrgästen, jedoch sind auch inzwischen seine Informationen äußerst dürftig geworden! Die vorgesehenen Anschlusszüge werden alle erreicht und befinden sich eh im Faltblatt, dem „Reiseplan“, welcher ja an jedem Platz schließlich ausliegt – und selbst dieser Hinweis wird gerne Mal weggelassen.

Viele Fahrgäste mögen diese Veränderungen begrüßen, wurden sie doch seither nicht mehr so stark von der Lautsprecherstimme zugequasselt und bekamen in der Vergangenheit doch Züge und Bahnhöfe so endlich quasi eine Stimme. Aber so serviceorientiert, wie es scheint, ist diese Veränderung nun auch wieder nicht.

Wer den Fahrplan, sofern er denn ausliegt, nicht lesen kann und Informationen über einen Anschlusszug wünscht, muss sich darauf verlassen, dass entweder ein Schaffner das Abteil besucht oder jedoch die Anschlüsse für den Umsteigebahnhof durchgegeben werden. Ist man an besagtem Bahnhof angelangt, so wurde früher Ankunftsgleis sowiedie Anschlusspalette von einer hastigen Stimme schnell runtergerattert – manchmal zu schnell, aber man hatte ja auch wenig (Umsteige-)Zeit. Wer wirklich wissen will, wann und von wo sein Zug fährt, der muss sich heute die Zeit nehmen. Bis das Band in Hannover oder Berlin mal die Anschlüsse verkündet hat, können Minuten vergangen sein, zumal aufgrund der wenigen Zeit viele Anschlüsse gar nicht mehr durchgegeben werden können, denn die Ansage mit dem Bummelzug nach Hintertupfingen muss ja schließlich noch unbedingt in Englisch erfolgen, bevor das Signal zur Abfahrt erklingt. Ein „Herzlich Wilkommen an Gleis XYZ“, was noch zu Beginn der 2000er üblich war, wurde wegrazionalisiert. Da muss Passagier halt Abstriche machen, es gibt ja schließlich noch die Anzeige am Bahnsteig. Außerdem könnte man sich als blinder Passagier ja schließlich auch eine Umstiegshilfe vom Bahnservice oder der Bahnhofsmission bestellen, dann hätte man dieses Problem nicht.

Aber ist es wirklich so einfach? Denn Spontanreisende müssen sich des öfteren anhören, sie hätten ihre Reise ja früher planen und so dem Bahnservice früher den Umstieg ankündigen können, damit die Umsteigehilfe besser geplant werden könnte. Außerdem hätte sich der Passagier vorher auch via Internet oder Bahnschalter über seine Anschlüsse informieren können. Was aber tun, wenn die Züge verspätet sind und Anschlüsse nicht mehr erreicht werden? Woher soll ich wissen, dass ich aufgrund einer Gleisänderung eben nicht an Gleis 9, sondern an Gleis 21 angekommen bin, wenn es mir – weder im Zug, noch am Bahnhof – irgendjemand (mal von anderen Mitreisenden, die ich fragen könnte, abgesehen) sagt?
Zwar bin ich auch ein Smartphone-Nutzer, jedoch möchte auch ich ganz entspannt im Sessel sitzen und mich darauf verlassen können, dass ich alle benötigten Infos zu meiner Reise, so wie früher, vom Schaffner oder der Ansage am Bahnhof bekomme und auch mal nicht ewig mein Gerät zwecks Fahrplanüberprüfung und Zuginformationen in der Hand halten muss.

Die Bahn betont immer wieder, dass sich ihr Service verbessert hätte. Betrachte ich jedoch die speziellen Veränderungen im Durchsagen-Sektor, so kann ich dieser Aussage nur wenig Zustimmen.

„Senk ju forr Träwweling wiss Deutsche Bahn, gutt bei!“


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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