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Gedanken-Gänge III: Duzen oder Siezen – Notwendige Umgangsform oder überflüssiger, alter Tobak?

Es gehört zum „guten Umgangston“, wenn man sich, entweder, weil man sich noch nicht lange kennt oder, weil es der Berufsalltag erfordert, siezt. Aber warum? Ist das Sie wirklich erforderlich oder ist es eher ein Relikt aus urdeutscher Korrektheit?

Selbst innerhalb Deutschlands musste ich feststellen, dass es regionale Unterschiede gibt, wie schnell oder langsam man sich das Du anbietet. Nach meinem Schulaufenthalt in Mittelhessen war ich über den teils lockeren Umgangston und das schnell vorgebrachte „Du“ überrascht – positiv übrigens, im Gegensatz zu vielen Anderen. Dem Norddeutschen sagt man ja die gewisse Kühle nach, da jedoch in einer Weltmetropole wie Hamburg die Bewohner inzwischen aus unterschiedlichsten Regionen kamen und jetzt hier leben, kann dies mit der „norddeutschen Kühle“ ja nicht mehr zu 100% stimmen.

Die Regel sagt: Der Ältere bietet das Du an. Schön und gut. Bedeutet demnach, dass ich denjenigen duzen darf, wenn er es mir angeboten hat, sprich, wenn er mich zuvor geduzt hat. Es gehört ferner zum guten Umgangston, wenn man sich als Fremder zunächst siezt, selbst, wenn man sich zum Teil mit Vornamen anspricht.

Gerade im Berufsalltag gehört ein Sie zum kundenorientierten Umgangston, selbst wenn Kunde und Mitarbeiter im gleichen Alter sind. Apple trotzt jedoch in seinem Store und auch bei der Support-Hotline diesen altdeutschen Geflogenheiten. Hier wird geduzt. Ob dies die Regel ist, vermag ich nicht zu beurteilen, jedoch sind dies meine bisherigen Erfahrungen.

Das Du vermittelt, so zumindest aus meiner Warte, etwas Vertrautes. Es hat den Anschein, als wäre der Umgang miteinander lockerer, weniger verklemmt und formell. Viele sprechen in diesem Zusammenhang auch davon, dass sie sich beim Du auch jünger fühlen.

Doch ist eine Trennung zwischen Du und Sie wirklich von Nöten?

Stellt man diese Frage z. B. im Freundeskreis, so kommt häufig der Einwandt, dass man sich ja schließlich nicht von jedem duzen lassen wollen würde. Verhielte es sich mit dem Du und Sie jedoch so, wie in Großbritannien, dann hätten diese Leute eh keine Wahl.

Ein Sie bedeute aber auch Respekt. Ist ein Du somit respektlos? Oder anders: Schafft das Duzen einen weniger respektvolleren Umgang miteinander? Ich habe erlebt, dass an der Uni einige Dozenten ihre Studenten geduzt haben. Haben sie oder der geduzte Dozent somit weniger Respekt voreinander? Er ist weiterhin der Dozent, der Inhalte vermitteln und den Studenten etwas beibringen möchte. Am Ende muss auch er, ob nun per Du oder Sie, eine Note für die abgegebene Hausarbeit vergeben. Oder sollten Umgangston und Anredeform etwa Einfluss auf die Notenvergabe haben? Ziemlich weit hergeholt.

Es gibt ja auch noch dieses komische Mittelmaß, bei dem man sein Gegenüber zwar mit Vornamen anredet, dabei jedoch bei Sie bleibt. Skuril klingt die umgekehrte Variante, Nachname und Du.

Für viele im Ausland sind wir Deutschen immer noch zu korrekt, an alten Werten und Normen festhaltend, werte- und regelorientiert, verkrampft, verschlossen, kühl. Im Umkehrschluss bewundert so mancher Deutsche die offene und freundliche Art mancher Bürger anderer Länder, das unbefangene aufeinander Zugehen, die Hilfsbereitschaft und die Unvoreingenommenheit. Wenn wir dies jedoch doch so bewundern, wieso halten wir dann weiter an so verstaubten Regeln fest? Wieso legen wir die Regelwerke eines Herrn Knigge immer wieder neu auf, erweitern diese für Praktikanten, Bewerber und sonstige Gruppen und verehren diese, wie der Gläubige Christ die Bibel? Weil unsere Angst zu groß ist, irgendetwas falsch zu machen, angefangen bei der richtigen Anrede?

Meine Grundregel ist eigentlich: Duzt mich jemand, duze ich zurück. Oder wenn ich merke, dass mein Gegenüber im gleichen Alter ist, versuche ich auch, eher zu duzen. Dass dieser Schuss gewaltig nach hinten losgehen kann weiß ich, mit dieser Gefahr lebe ich jedoch.

Schwierig und gleichermaßen interessant wird es jedoch bei Jobbewerbungen: „Wenn du der Meinung bist, dass du gut in unser Team passt, dann freuen wir uns über deine aussagekräftige Bewerbung.“, liest man sehr häufig. Schön. Wenn ich es dem Schreiberling jedoch gleich tue und meine Bewerbungsunterlagen an der Schreibweise der Stellenausschreibung anpasse, wird, da bin ich fest überzeugt, meine Bewerbung gleich in den Papierkorb befördert. Denn ein gepflegtes Du in einer Bewerbung ist genauso unangebracht, als würde ich beim Geschäftsessen einen Hähnchenschenkel mit den Fingern essen.


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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