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Bloß kein falsches Wort! Über die Berührungsängste gegenüber blinden Menschen

Den folgenden Text habe ich vor einigen Jahren bereits in einer Textsammlung auf meiner Homepage veröffentlicht gehabt. Es war zudem mein erster, größerer Schreibversuch, was Artikels und Essays anbelangt. Ein Teil meiner alten Texte veröffentliche ich jedoch nach und nach auch hier, in meinem Blog; denn sie sind viel zu schade, um einfach im „Archiv“, in hintersten Winkeln einer Website quasi zu verstauben und nicht mehr gelesen zu werden…

Einleitung

Vielleicht war der Eine oder Andere ja schon einmal in eine der folgenden Situationen. Man sitzt entweder an der Uni in einem Seminar oder in lockerer Runde bei einem Bekannten, steht an der roten Ampel oder befindet sich irgendwo anders mitten in der Stadt und jemand taucht auf, der nur eingeschränkt oder sogar gar nichts sehen kann. „Benötigt die Person vielleicht Hilfe?“ oder „Soll ich sie ansprechen oder doch lieber nicht?“, wird man sich dann fragen. Viele entscheiden sich für die letzte der beiden Möglichkeiten (doch nicht ansprechen), was ja verschiedene Ursachen haben kann. Entweder die blinde Person findet selber den Weg und man kommt quasi gar nicht mehr dazu zu fragen oder aber, und das ist leider sehr häufig der Fall, man weiß weder genau, ob die blinde Person eigentlich Hilfe im Moment benötigt (auf der Straße), noch ob sie überhaupt angesprochen werden möchte (Party). Wenn man sich fürs Ansprechen – beispielsweise auf der Party – entscheidet, wie dies am besten tun?

Dies ist kein Ratgeber, ob und wie man jemanden ansprechen soll oder wie man seine Berührungsängste, sofern man denn welche hat, los werden kann. Die Frage, woher solche Scheu und Ängste kommen könnten und wie man sie vielleicht abbauen könnte, geprägt von eigenen Erfahrungen und Erzählungen von und mit sehenden Menschen, ist lediglich ein Gedankengang. Es ist nichts durch Quellen belegt oder bewiesen. Der Text soll den Leser lediglich zum Nachdenken anregen. Vor allem im Zeitalter von Chatrooms, Internetforen etc., in denen die unterschiedlichsten Menschen zu finden sind und wo sich viele Leute gegenseitig kennenlernen, könnte dies schon von Bedeutung sein. Denn wer weiß schon so genau, ob sein Chatpartner nicht in irgendeiner Form gehandicapt ist? Egal ob Blindheit oder welche Behinderung auch immer. Viele treten dieser Tatsache oftmals zurückhaltend entgegen – ob nun im Internet oder im „Real Life“. Vor allem, um noch einen Schritt weiter zu gehen, wenn es irgendwann darum geht, jemanden kennenzulernen und einen Partner/eine Partnerin zu finden.

Die Ursachen für Berührungsängste können vielfältig sein und variieren. Eine generelle Antwort auf die Frage, woher sie kommen, kann ich pauschal daher nicht geben.

            

Über Berührungsängste und Vorschläge, wie man diese abbauen könnte

Erste Erfahrungen im Alltag, Klischees und Ängste sorgen oftmals dafür, dass ein falsches Bild eines Blinden im Kopf vieler (sehender) Menschen entsteht. Jeder von uns verallgemeinert gerne, die Medien liefern Stereotypen und so ist es im Grunde all zu verständlich, dass sich solche Bilder in den Köpfen festigen können. [1]

Wer hatte bislang schon mit einem Blinden zu tun? – das sind wohl eher die wenigsten, denn es gibt in ganz Deutschland ja nur 165.000 blinde Menschen (die Anzahl an Rollstuhlfahrern mag höher sein). Viele treten zudem auch nicht in Erscheinung, weil ein Großteil auf Grund ihres Alters erblindet sind und somit eher weniger in der Stadt unterwegs sind – dies ist nur eine mögliche Ursache. Das bedeutet, das Sammeln an Erfahrungen klappt, einfach gesagt, somit nicht immer.

Viele der typischen Klischees sind veraltet und stimmen nicht. Nicht jeder Blinde trägt eine dunkle Sonnenbrille, hat einen Führhund, hat ein absolut feines Gehör, ist eher nachdenklich/zurückgezogen, empfindsam und so weiter. Vor allem, dass wir Blinde eher schüchtern und zurückhaltend sein sollen, hörte ich indirekt sehr häufig von Leuten. Mag ja bestimmt auf Einige zutreffen. Und, das ist ganz wichtig: Nicht jeder Blinde ist wie der Andere! Klingt logisch? Na klar. Dennoch zeigte die Realität mir sehr häufig, dass dem wohl doch nicht so zu sein scheint. Wenn ich Person X auf der Straße begegne, sie ihren schlechten Tag hat und mir auf die Frage nach dem Weg schlecht gelaunt antwortet, so käme es mir nicht in den Sinn, jetzt zu verallgemeinern (alle Sehenden sind so). Währenddessen sich einige Sehende, wenn sie eine eher ruppige Antwort eines Blinden bekommen, beim nächsten mal zweimal überlegen, ob sie eine andere blinde Person ansprechen sollen oder nicht.

Und wenn ansprechen, wie am besten? Man will ihn doch nicht verletzen. Vielleicht ist es ihm nicht recht?
So lange man nicht die erste Frage stellt, wird man diese Fragen nie beantwortet bekommen. Ich kann verstehen, dass niemand mich auf meine Blindheit reduzieren möchte, dennoch weiß ich, dass viele so gut wie gar nichts über blinde Menschen und darüber, wie sie ihren Alltag meistern können, wissen; also, warum nicht fragen? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt und ich werde schon sagen, wenn ich eine Frage nicht beantworten möchte bzw. ob ich Hilfe benötige oder ob nicht. Außerdem, um noch mal auf die Beispiele vom Anfang zurückzukommen, Ich weiß ja nicht unbedingt immer, ob gerade grün ist und ob gerade neben mir noch Leute stehen, die ich fragen könnte. Oder: Auf einer Party verliert man ja ziemlich schnell den Überblick. Wer unterhält sich mit wem und so weiter… Klar ist in vielen Fällen auch Eigeninitiative gefordert, denn wenn ich feststelle, da sind noch Leute (an der Straße, im Seminarraum oder wo auch immer), liegt es auch an mir, den ersten Schritt zu tun und sie anzusprechen; aber wie gesagt, in vielen Situationen ist es für mich oftmals nicht erkennbar, ob sich in der Umgebung noch Leute aufhalten. Ich kann ja wohl kaum mit dem Stock großräumig die Gegend um mich herum abtasten… 😉

Man muss aber auch sagen, dass viele blinde menschen ihre Behinderung teilweise dermaßen verbergen, dass die Blindheit für einen Sehenden oftmals auf den ersten Blick nicht unbedingt erkennbar ist. Sei es, dass der Blinde eine dunkle Sonnenbrille trägt, was aber bei Weitem nicht bei Allen der Fall ist) oder durch was auch immer. [2]

Beim Party-Beispiel kommt für den Sehenden noch erschwerend hinzu, dass der Blinde nicht immer unbedingt einen Stock bei sich trägt (wenn man beispielsweise in einer lockeren Runde zusammen sitzt und sich nicht groß bewegt). aber selbst wenn ein weißer Langstock getragen wird, wird selbiger unter Umständen manchmal von Vielen für etwas völlig Anderes gehalten – dies kommt aber eher seltener vor.

 

Die Tatsache, dass vieles in der menschlichen Kommunikation über Blickkontakt, Mimik und Gestik abläuft, trägt indirekt natürlich auch dazu bei, dass ein Ansprechen (beispielsweise auf einer Party) nicht stattfindet oder stattfinden kann, weil es im Vorfeld keine nonverbale Kommunikation via Augen-Blicke gegeben hat – und gezielt auch nicht geben kann.

Man kann also nur wissen, ob jemand Hilfe benötigt, ob jemand einer Unterhaltung nicht abgeneigt ist, ob man etwas fragen darf und so weiter, wenn man die Person wirklich anspricht. Auch wenn dies beim ersten Mal Überwindung kostet und vielleicht beim Angebot von Hilfe ein „Nein“ zurück kommen könnte, wer weiß, was eine zweite blinde Person antworten wird. Dies gilt ja nicht nur im Bezug auf Blindheit.

Und noch ein Wort zur nonverbalen Kommunikation und Blindheit. Was gesagt werden soll, kann man auch wirklich sagen und in Worte fassen, auch wenn viele der Meinung sind, dass ein Blick mehr als tausend Worte sagt, obwohl diese tausend Worte doch auch sehr schön sein können, oder?

Es ist aber, das soll abschließend an dieser Stelle natürlich nicht unerwähnt bleiben, manchmal leider auch der Fall, das einige blinde oder sehbehinderte Menschen sehr verbissen und schlecht gelaunt wirken und natürlich somit erst Recht Unsicherheit beim Sehenden hervorrufen, zumal man ja auch um schlecht gelaunte Menschen gerne einen Bogen macht. Durch ein offenes und freundliches Auftreten von blinden und sehbehinderten Menschen könnte die Hilfsbereitschaft noch weiter gefördert und Ängste somit abgebaut werden. Es ist im Übrigen keine Schande, sich helfen zu lassen, eher im Gegenteil. Es zeugt ein Stückweit von Selbstständigkeit, wenn man Hilfe gezielt in Anspruch nimmt, anstatt sie oftmals schroff zurück zu weisen – dies gilt übrigens nicht nur für blinde Menschen.

 

  1. Christian Ohrens (2007): Vom Sehen und Nicht-Sehen blinder Menschen. Ein Radiobeitrag.

  2. Bei vielen Menschen kann das Tragen einer dunklen Brille aber auch unterschiedliche Gründe haben: Da ein Großteil aller Blinden noch Licht sehen können und oftmals sehr blendempfindliche Augen haben, tragen sie meist eine dunkle Sonnenbrille. Gleiches gilt für Menschen, die entweder wissen oder nur befürchten, dass man ihnen ihre Sehbehinderung ansehen könnte. Was mich anbelangt, so trage ich persönlich keine Sonnenbrille, habe mir aber auch schon von einigen sagen lassen, dass man mir dennoch nicht immer sofort meine Blindheit ansieht.

 

Ein Dankeschön an alle Diejenigen, die durch ihr Feedback mitgeholfen haben, diesen Text zu ergänzen.


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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