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Gedanken-Gänge XVII: Alles digital oder was? oder: Warum ich (privat und als DJ) immer noch CD’s kaufe

Eigentlich müsste man über dieses Thema überhaupt nicht diskutieren oder irgendein Wort verlieren. Nicht, weil der Wunsch, alles überall, in digitaler Form, verfügbar zu haben, aus unserem Alltag nicht mehr weg zu denken ist, sondern, weil es einem jeden von uns überlassen sein sollte, wie er seine Sammlungen, ob nun Musik, Bilder, Videos, Dokumente oder was auch immer, verwalten und archivieren möchte.

Lustigerweise (oder erschreckenderweise) ist es eben nicht jedem selbst überlassen, dies bewiesen mir in der Vergangenheit zahllose Diskussionen und Debatten, die ich mit Freunden, Bekannten und Kunden immer und immer wieder führen durfte.

Egal, ob nun im privaten Bereich oder bei meiner Arbeit als DJ: Digital ist scheinbar Trumpf und wer sich dem trend nicht beugen mag, der ist out oder, in den Augen der digitalen Anhänger, ein unbelehrbarer Nostalgiker!

Seit meiner Jugend sammle ich CD’s. Ich stöberte anfangs mit meinen Eltern auf zahlreichen Flohmärkten und erweiterte so meine Sammlung. Später dann, als Ebay und immer mehr Kleinanzeigen- und Second-Hand-Portale das Internet eroberten, verlagerte sich die musikalische Schatzsuche auf das Internet; jedoch auch, weil sich das Auffinden von fehlenden CD’s auf Floh- und Trödelmärkten als immer schwieriger erwies. Ich profitierte und profitiere noch heute vom der Schnelllebigkeit, mit der viele mit Kulturgütern wie Büchern und Musik (in diesem Fall der CD) umgehen: Einmal gehört, einmal kopiert, wieder verkauft.

Und aus dem Hobby des CD sammelns ist später auch meine Arbeit als DJ quasi entstanden. Ich würde eine Leidenschaft verleugnen, wenn ich nur noch auf einen Laptop nebst externer Festplatten vertrauen würde. Nur können (oder wollen?( dies scheinbar viele nicht verstehen. Ich müsse doch mit der Zeit gehen, CD’s ließen sich ja auch digitalisieren, warum kaufe ich überhaupt noch diese platzverschwendenden Silberlinge, gerad bei meiner Arbeit als DJ wäre ein Laptop doch unabdingbar und würde weniger Platz wegnehmen… und so weiter und so fort. Mal von der Verfügbarkeit von noch mehr Titeln, als ich jetzt derzeit zu meinen Einsätzen mitbringe, ganz zu schweigen. Aber ein DJ ist, in meinem Augen, eben auch keiner, der unbedingt jeden hinterletzten Titel haben muss. Bedenke ich, wie oft ich bei Einsätzen schon nach YouTube, Spotify & co. gefragt worden bin, scheint dem jedoch inzwischen so zu sein… leider.

Diese Diskussion führe ich jedoch auch mit eventuellen Kunden. Es gibt da draußen immer wieder Menschen, die auch niemanden mehr auf ihrer Feier haben wollen, der noch herkömmlich arbeitet und sich nicht hinter einem Monitor, Mouse und Tastatur versteckt. Einerseits denke ich mir dann ob sie, wenn sie einen Handwerker nach Hause bestellen oder irgendeine andere Dienstleistung inanspruch nehmen, auch so wählerisch sind und vorab bestimmen, welche Bohrmaschine der Handwerker verwenden, welcher Nationalität der Taxifahrer haben oder mit welcher Bratpfanne der Koch des zu besuchenden Restaurants gekocht haben darf? Übertriebener Vergleich? Vielleicht, auf dem ersten Blick, aber im Grunde verhält es sich ja genau so: Die wenigsten würden dies tun, sie empfinden aber einen DJ, der eben nicht mit Laptop und Controller (eine Art digitales Mischpult, über das die Musik gesteuert und angepasst werden kann) nicht zeitgemäß. Und man kann es vielen, vor allem jüngeren, noch nicht einmal verübeln. Denn sie haben auch nichts anderes mehr kennengelernt, sie sind mit MP3-Player, Playlist, Laptop, YouTube und Streamingdiensten aufgewachsen.

Aber es ist nicht nur das Handling bei meiner Arbeit als DJ, das mich immer wieder dazu bewegt, weiter an der CD festzuhalten. Es hat auch was mit dem Umgang mit Musik imm allgemeinen zu tun. Ich glaube nämlich, dass wir, im Zeitalter von Streamingdiensten und MP3-Playlists, es auch schlicht weg verlernen, uns gezielt einem Album für rund einer Stunde zu widmen. Jetzt, wo man sich die Songs eines Albums nach vorheriger, maximal einminütiger Vorabbegutachtung im MP3-Shop seines Vertrauens, digital kaufen und somit nur die Songs auswählen kann, die einem wirklich gut gefallen, ist sowas wie Durchhören auch nicht mehr von Nöten. Bedenkt man allerdings, dass oftmals die Hörproben eines Albums mehr als unglücklich gewählt wurden, ist das, was man da zu hören bekommt, mehr als nicht aussagekräftig. Einen Song mit fünf Minuten Länge auf dreißig Sekunden herunter zu brechen, ist – nach meinem Empfinden – eigentlich unmöglich. Aber Moment, wo gibt es überhaupt noch Songs mit derartiger Länge! Wir scheinen im Digitalwahn nicht nur den Umgang mit CD’s verlernt zu haben, sondern können gegebenenfalls ja noch nicht mal einem Song, welcher der sich derzeit etablierenden Radiolänge von drei Minuten nicht entspricht und länger ist, nicht mehr zuhören. Musik ist schnelllebig und warum sollte ich noch einem kompletten Album lauschen? Der Streamingdienst meines Vertrauens wird mir schon, passend zu meinen Hörgewohnheiten, das perfekte Musikprogramm zusammenschustern. Also, warum da überhaupt noch Musik kaufen? YouTube & co haben ja fast alles im Repertoire. Nur ist das Gemecker groß, wenn im U-Bahn-Tunnel mal die mobile Internetverbindung abreißt und die Verbindung zum Musikversorger kappt. Statts sich eine Alternativlösung zu überlegen, wird auf die Stadt, die Bahn, das Land und deren sinnflutlichen Ausbau der WLAN- und Netzverbindungen geflucht – schon kurios, oder?

Für unterwegs nutze ich durchaus auch MP3s, keine Frage, ich verzichte jedoch auf diese unsäglichen Streamingdienste, die, für nen Apple und ’n Ei, einem einen ganzen Monat mit Musik aller Art versorgen. Ich verteufel die MP3 nicht. Gerade für Künstler, deren Veröffentlichungen es nicht auf eine CD schaffen oder die aus eigenen Mitteln versuchen, ihre Songs zu vertreiben, sind digitale Formate im heutigen Zeitalter unabdingbar geworden. Trotzdem. Es gibt, wenn man nach getaner Arbeit oder an einem freien Tag daheim ist, nichts schöneres, als sich vors Regal zu stellen und zu überlegen, welches Album man sich – in voller Länge – mal wieder anhören könnte und nicht, wie wahrscheinlich inzwischen die meisten, hinter den Rechner zu klemmen und sich eine Playlist zusammen zu klicken. Am Ende landen doch eh wieder dieselben Songs dort, da kann man dann auch Radio hören, das spielt auch immer wieder die gleichen Songs.

Skuril ist ja auch, dass viele herkömmliche Medien, ob nun Buch oder CD, immer mehr als „Belastung“ ansehen. „Willst du dich damit noch belasten? Willst du dir das alles noch in die Wohnung stellen? Du kannst die Bücher/die CD’s doch eh nicht alle lesen/hören…“ – ja, stimmt, aber die 100.000 MP3s, mit denen sich viele ja brüsten, kann ich genauso wenig auf einem Schlag konsumieren. Was soll also diese Nonsensdiskussion überhaupt?

Ein Lichtblick im Digiwahn scheint auch übrigens der inzwischen wieder aufkeimende Vinylboom zu sein, welcher jedoch vor allem im alternativen Musikbereich um sich greift. Ja, das gibt es noch, diese schnell zerkratzten, knacksenden, riesigen Scheiben, die man auf so eine Art Drehteller legt, damit sich ein Arm mit befestigter Stecknadel über die feinen Rille der Schallplatte bewegt. Für die schnellen MP3-Player-Bediener und Songspuler ein Graus, denn mit der Feinmechanik dieses, aus Opas Krimskramskiste anmutenden Abspielgerät aus musikalisch technischer Urzeit können viele wahrscheinlich gar nicht mehr umgehen. Gescratcht wird schließlich im digitalen Zeitalter auch nur noch über das Joggwheel des vorhin erwähnten Controllers. Damit kann man wenigstens nichts kaputtmachen und zerkratzt auch nichts.


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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