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Was der Gast nicht kennt… oder: Warum wir immer wieder zu den gleichen Liedern tanzen

Seit nunmehr elf Jahren bin ich als mobiler DJ aktiv und unterwegs. Ich begleitete zahlreiche Partys, Events, Hochzeiten, Geburtstage, Gartenpartys, Vereinsjubiläen, Sommerfeste und weitere Events und sorgte für die musikalische Untermalung oder für volle Tanzflächen.

Bei meiner Arbeit als DJ ist es mir stets wichtig, sowohl den Geschmack der Gäste zu treffen, als auch ein Stück weit – so es mir die Vorlieben und Vorgaben ermöglichen – auch zu experimentieren. Nicht nur die bekanntesten Lieder von Interpret XY spielen, sondern auch ein wenig abseits des Bekannten zu suchen, zu finden und vorzustellen, ist mir ein ebenso wichtiges Anliegen. Denn Popmusik ist weitaus mehr, als nur die Top 100 der angesagtesten Titel der aktuellen Woche, die im Radio größtenteils sowieso schon rauf- und runtergedudelt werden.

Doch wie weit können Experimentierfreudigkeit und der Wunsch der Masse, mit tanzbarer Musik versorgt zu werden, gehen?

Die Antwort ist – nach jetzt elfjähriger Erfahrung – zum Teil wirklich ernüchternd: Nämlich so gut wie gar nicht!

Frei nach dem Motto, „Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich“, ist die Tanzlust bei vielen bei ihnen unbekannten Titeln eher gering. Ob nun aus Gründen des Nichtgefallens oder des Nichtkennens bleibt mir als DJ in den meisten Fällen verborgen. Es sei denn, es äußert sich doch mal ein Gast zum gerade gespielten Titel und gibt mir somit einen ersten Anhaltspunkt.

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Gedanken-Gänge IV – Die Sechste Jahreszeit: Über den Fußball-Karneval

Alle zwei Jahre wieder … nein, da kommt nicht das Christuskind, auch nicht die medial hochgepushte Grippewelle, ein Lebensmittelskandal oder dergleichen. Alle zwei Jahre wieder, beginnt die sechste Jahreszeit!

Moment, Moment, sechs Jahreszeiten? Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Karneval… und dann?

Immer auf einer graden Jahreszahl, meist zur Sommerzeit, beginnt sie, die Fußball-Welt- oder -Europameisterschaft. Die Narren und Närrinnen sind in diesen ein/zwei Monaten außer Rand und Band und das bloß nur, weil das Runde in das Eckige muss und einer am Ende verlieren wird?

Aber ist es nicht so? Eine Fußball-Meisterschaft, ob nun EM oder WM, gilt für viele als Ausnahmezustand und sorgt auch für selbigem. Wo man sich tagsüber auf der Arbeit, Abends mit Freunden, am Telefon mit alten Klassenkameraden noch „normal“ unterhalten konnte, herrscht während der sechsten Jahreszeit vieler Orts ein Ausnahmezustand, der von Nicht-WM-Fans nur schwer nachzuvollziehen ist. Wie gebannt sitzt man vor den Fernsehschirmen oder der nächstbesten Großleinwand. Wie hypnotisiert verfolgt man das Geschehen der heimischen Mannschaft und wie beim Karneval trifft man sich nach gewonnenem Spiel auf den Straßen, um ausgelassen zu grölen, zu hupen und zu feiern. Daher darf eine Fußball-Weltmeisterschaft den Vergleich mit der vor allem in westlichen Gefilden so gefeierten Karnevalszeit nicht scheuen. Der Bierkonsum steigt, die Stimmung ist ausgelassener denn je und scheinbar vorhandene Probleme im eigenen Land werden, zumindest für einen kurzen Zeitraum, bei Seite geschoben, sind medial oftmals gar nicht mehr so präsent. Denn es gibt viel wichtigeres, über das es sich lohnt zu reden, zu debattieren und zu berichten.

Der Fußball-Karneval erhält auch im kommenden Jahr wieder Einzug in unsere Häuser. Viele sind derweil nicht mehr ansprechbar, sie sind wie in Trance und dem Fußball-Wahn verfallen. Werden wir es nächstes Jahr schaffen? oder werden wir es auch dieses mal wieder vergeigen? Eigentlich egal. Das, was am Ende zählt, ist das Gefühl der Zugehörigkeit, das „Wir“-Gefühl, das viele verspüren, auch wenn sie sonst überhaupt keine Fußball-Gucker sind. Erstaunlich, oder? Wie stark doch eine Weltmeisterschaft es schafft, Menschen und ihre Einstellung zum Sport zu (ver)ändern? Oder geht es wirklich nur um das gemeinsame Zelebrieren eines besonderen Ereignisses? Ist unser Leben inzwischen so deprimierend, dass wir zum Feiern uns nur alle zwei Jahre aus dem Kämmerlein trauen, um wieder einmal ausgelassen Party zu machen? Wenn dem so ist, so ist dies kein Zustand, den man begrüßen sollte, sondern eher ein Armutszeugnis.

Verwunderlich ist in diesem Zusammenhang übrigens, dass diese Feierei ausschließlich dem Männerfußball vorenthalten ist. Wenn die Frauen spielen und dann am Ende noch gewinnen, so wird dies mit einem Augenzwinkern scheinbar hingenommen; feiern und auf die Straßen gehen tut deswegen jedoch niemand.