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Gedanken-Gänge XXII – Was? Wann? Wo? Wieviel? oder: Digitale Hilfe zur Selbsthilfe oder technikgestützter Verlust der Selbstwarnehmung?

Schon erstaunlich, was wir, gestützt durch die neuen Medien, alles erfassen, protokollieren, ja sogar kontrollieren können. Ich rede hier nicht von der vielseits diskutierten Kameraüberwachung an öffentlichen Orten, eher geht es mir um die „digitale Selbstvermessung“ oder „Lifelogging“, zwei Begriffe, die in Deutschland u. A. vom Wissenschaftler Stefan Selke etabliert wurden.

Egal, ob am Arbeitsplatz oder im privaten Umfeld, ob bei uns selbst oder bei Kindern, Partnern o. Ä., viele Lebensaktivitäten, Gewohnheiten etc. lassen sich heutzutage digital erfassen und protokollieren. Und der Trend setzt sich weiter unaufhaltsam in diese Richtung fort.

Wieviele Schritte bin ich gelaufen im Vergleich zu gestern? Wenn ich einen Burger, eine Tafel Schokolade, Salat mit etwas gehaltvollerem Dressing esse und somit x Kalorien zu mir genommen habe, was darf ich dann morgen noch essen, um den BMI-gestützten Kalorien- und Gewichtshaushalt nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen? Ich habe nur 3 Stunden geschlafen, ist mit mir alles in Ordnung oder hätte ich besser schon um 2:30 Uhr aufstehen sollen, als ich kurz wach war? Hilfe, mein Kind schreit bereits seit 25 Minuten, meine App meldet, ALARM!

Vier kleine, wenn auch prägnante Beispiele, welche verdeutlichen sollen, wieweit es inzwischen in unserer Gesellschaft um die Selbstprotokollierung bestellt ist. Nicht wir wissen, was wann für uns das beste ist, sondern unser digitaler Lebenspartner Smartphone. Apps regeln unsere Gesundheit, die Krankenkassen unterstützen dieses seltsame Verhalten auch noch durch Bonusprogramme. Laut Selke erkennen spezielle Apps beim Telefonieren auch schon anhand unserer Stimme unseren Gemütszustand und vereinbaren im Hintergrund schon einen Arzttermin – dies allein ist krank. Unsere Health-App weiß, wann es Zeit für uns ist, wieder einmal etwas Sport zu treiben – lustig allerdings, dass viele Apps einer Fehlprogrammierung unterliegen und diesen Hinweis gerne mal nach dem Treppenerklimmen ausspucken. Apps helfen uns beim Fitnesstraining, beim Abnehmen, sie wachen über unseren Schlaf und protokollieren anhand Geräuschaufzeichnung, wie ruhig oder unruhig wir die Nacht überstehen. Unser Smartphone weiß immer wie ein Erzieher, wann es für uns wieder an der Zeit ist – für was auch immer.

Etwas provokant könnte man jetzt hinterfragen, wie dumm wir eigentlich werden, dass wir unseren Alltag, unser Leben, unsere Gesundheit immer mehr dem digitalen Wächter anvertrauen und somit immer mehr uns selbst gegenüber unsicherer werden? Ist uns das Ansehen anderen gegenüber, die Angst, zu wenig Anerkennung zu bekommen oder den Anschluss an den Mainstream zu verlieren, so enorm wichtig geworden, dass wir so blindlinks in unser Verderben rennen? Und die Antwort lautet: JA. Viel zu wichtig ist in den letzten zwei Jahrzehnten die Vergleichbarkeit mit anderen geworden, viel zu wichtig scheint es zu sein, mit dem Gros der Gesellschaft eins zu sein und Konformität und Normen anstatt Individualität zu leben.

Wozu dieses blinde Vertrauen in digitale Selbstvermessungsmethoden gipfeln kann, beschreibt Selke u. A. in einem Aufsatz wiefolgt:
„Die gesellschaftlichen Folgen der umfassenden Selbstverdatung sind dramatisch. Denn umso mehr der Mensch zum numerischen Objekt wird, desto stärker wird die Vermessung durch Lifelogging zum Organisationsprinzip des Sozialen – und führt zu neuen Formen sozialer Diskriminierung: „Rationale Diskriminierung“ basiert nicht mehr auf rassistischen oder sexistischen Formen der Aberkennung, sondern auf vermeintlich objektiven und rationalen Messverfahren. […] Schon jetzt führt Lifelogging dazu, dass immer mehr Lebenssituationen nur noch abstrahiert wahrgenommen werden. Zudem verändert sich die Wirkung der Daten: Deskriptive, also beschreibende Daten werden allmählich zu normativen Daten, die soziale Erwartungen enthalten. Diese Informationen formen dann einen Korridor zwischen dem „Gipfel der Perfektion“ und dem „Sockel der sozialen Respektabilität“. Die Selbstvermessung erzeugt damit einen wachsenden sozialen Anpassungsdruck und moralische Konformität. Die entscheidende Frage lautet dann: Wie sieht die Norm künftig aus, und wie weit darf man künftig noch von ihr abweichen?“ (Selke, Stefan (2015): Lifelogging oder: Der fehlerhafte Mensch. (In): Blätter für Deutsche und Internationale Politik. Mai 2015. Online Abrufbar; letzter Zugriff: 13.10.2017).

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Gedanken-Gänge XIII – Krebserregendes Fleisch? oder: Es grüßt der Gesundheitswahn…

Ein weises Sprichwort besagt: „Was nicht tötet, härtet ab“!

Ob es nun bloßes Herunterspielen schlimmer Tatsachen oder das Scherzen über gewisse Dinge war, Fakt ist, heute ist wichtig, dass Es uns töten könnte – von Abhärtung will keiner mehr was wissen.

Ausgangspunkt zum heutigen Gedanken-Exkurs waren Meldungen aus der vergangenen Woche, nach denen Würstchen und Schinken, mehr noch als andere Fleischprodukte, krebserregend sein sollen. Die mitlesenden Veganer werden sich in ihrem Lebenswandel nun bestätigt fühlen und der eingefleischte Wurstesser wird fragen, ob das wirklich so bedenklich ist? Denn ‚früher‘, als noch kein Hahn nach Inhaltsstoffen, Nährwerten und Geschmacksverstärkern gekräht hat, sind wir auch nicht der Reihe nach tot umgefallen – etwas überspitzt? Egal!

Hat sich nach Lasagne mit Pferdefleisch, BSE und krebserregendem Schinken eigentlich je jemand einmal die Frage gestellt, ob diese Reinlichkeitskultur uns und vor allem unserem Organismus nicht sogar eher schaden könnte, als das es etwas nützt? Warum sind denn unsere Großeltern und Eltern so alt geworden. Wenn man das peinlich kleinliche Aufspüren nach Dingen, die nicht da zu sein haben, doch damals in dieser Form nicht praktiziert hatte, hätten sie doch gar nicht so lange (über)leben können, oder?

Woher kommen denn auf einmal diese ganzen Alergien und Unverträglichkeiten? Sind sie Ausgeburten der Nichteinhaltung der Reinheitsgebote oder leben wir nicht sogar am Ende doch viel zu gesund?

Schlimmer jedoch, als diese ‚Schreckensmeldung‘ und vor allem die daraufhin veröffentlichten Reaktionen, ist noch ein ganz anderes Thema. Wir haben es langsam verlernt, unser Essen zu genießen. Stattdessen müssen wir es, wie bei einem Medikament, bei dem man vorab genauestens die Packungsbeilage studiert, auseinandernehmen, analysieren und mit anderen ausdiskutieren: Wenn ich Hamburger mit Fritten um 14:30 Uhr zu mir nehme, darf ich dann heute Abend dann nur noch einen Salat essen? Darf ich um 14:30 Uhr oder ab 20:45 Uhr überhaupt noch etwas derartig fettiges zu mir nehmen? Darf ich heute überhaupt noch essen, nach dem ich gestern auf der Betriebsfeier richtig zugelangt habe?…

Gut – bei dieser Art der Diskussion spielt der immer noch anhaltende und immer stärker werdende Gesundheitswahn eine nicht mindere Rolle. Und Meldungen von Krebserregender Wurst und Schinken gießen – bildlich gesprochen – diesen Leuten nur noch mehr Öl ins Feuer…

Natürlich sollte man derartige Meldungen nicht ganz bei Seite wischen. Natürlich ist es gut, wenn jemand kontrolliert, ob auch das drin steckt, was auf der Verpackung steht – alles keine Frage. Nur sollte die Kirche dabei immer noch schön im Dorf bleiben. Denn sich ewig über Dinge Gedanken zu machen, die einen krank machen könnten, ist auf Dauer auch ungesund.

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Fastfood-Verbot und höhere Steuern auf Schokolade? Wir leben im Gesundheitswahn!

Deutschland ist mal wieder zu dick. Das haben wieder einmal Studien bewiesen, Aussagen von Politikern und Medienangeboten unterstreichen dies und vermitteln dem angeblich Dicken, jetzt unbedingt abnehmen zu müssen. Dies gilt vor allem für die Jugend, welche – angesporn durch Mitmenschen – schon eh unter einem „Schönheitsdruck“ stehen. Dieser Beitrag setzt sich ein wenig mit der Frage auseinander, was Schönheit eigentlich ist, wer festlegen darf, was wir als schön zu empfinden und wie wir uns zu ernähren haben.