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Der K(r)ampf mit dem Wörtchen SEHEN: Warum Blinde es gebrauchen und Sehende es unbedingt vermeiden wollen…

Unsere Sprache ist visuell geprägt: Fernsehen, auf Wiedersehen, schauen wir mal! In sehr vielen Floskeln und Phrasen verwenden wir das Wort Sehen, auch wenn viele davon nur im übertragenen Sinne etwas damit zu tun haben.

Ich beobachte immer wieder, dass sich Leute mir gegenüber oft sehr schwer tun, solche Floskeln zu gebrauchen – aber warum? Bloß, weil ich nicht sehen kann und weil sie nicht auf dieser Tatsache herumreiten möchten? Weil sie befürchten, dass ich in irgendeiner Form beleidigt oder gekränkt sein könnte?

Letzteres wäre dann der Fall, wenn ein Blinder mit seinem Handicap nicht zurecht kommen würde. Aber das ist doch nicht das Problem der sehenden Person, sondern des einzelnen Blinden. Es kann nicht sein, dass Leute nur wegen der Tatsache, dass wir nicht! sehen können, gleichzeitig auch die Sprache umkrempeln wollen, bloß um einem eventuellen Fettnäpfchen aus dem Weg zu gehen; den Rollstuhlfahrer frage ich auch, wie es ihm GEHT und nicht, wie denn das werte Wohlbefinden ist. Ich glaub, er würde mich etwas schräg anschauen.

Aber nehmen wir mal an, Menschen würden einem Blinden gegenüber komplett auf das Wort Sehen verzichten. Nehmen wir an, wir würden versuchen, jede Phrase, die irgendeine visuelle Ausdrucksform enthält, durch ein Synonym zu ersetzen. Was käme dann dabei heraus? Würde nicht so eine eigene ‚Blindensprache‘ entstehen?

Das Nicht verwenden visueller Ausdrücke gegenüber einem Blinden könnte man auch als falsche Zurückhaltung sehen. Denn dieser Umstand verdankt, dass die offene und freie Kommunikation in seiner Vielfalt zuweilen gehemmt wird.
Und das ist etwas, dass wohl niemand von uns will!

Fernseher wird zum Fernhörer?
Dies klingt wie Radio oder Telefon (Fernsprechapparat). Der Fernseher übermittelt nun einmal Bilder, egal, ob ich sie nun sehen kann oder nicht. Es ist ein feststehender Begriff. Würde man diesen ändern, so wäre es ein falsches Wort, das dem Medium nicht mehr gerecht wäre. Demnach schaut ein Blinder auch fern und hört sich nicht bloß einen Film an. Etwas verwirrend ist da jedoch die Tatsache, dass Filme, welche mit einer Audiodeskription (Bildbeschreibung) ausgestattet sind, als sog. „Hörfilme“ bezeichnet werden.

Auf Wiedersehen wird zu: Auf Wiederhören oder Auf Wiederfühlen?
Klingt komisch: Wiederfühlen? Man tastet den anderen ja nicht ab, wenn man sich erneut begegnet. Man tastet sich generell nicht ab, wenn man sich auch zum ersten mal begegnet; es mag Blinde geben, die dies durchaus praktizieren, diese bilden jedoch eine Ausnahme!
Und auf Wiederhören? Dies ist doch eine Floskel, welche eher beim Telefonieren verwendet wird. Eine persönliche Begegnung ist jedoch viel mehr als ein reines Telefonat. Man bekommt doch, auch wenn man die andere Person nicht abtastet, viel mehr von ihr mit, als wenn man nur am Telefon die Stimme hört (z. B. ein Händedruck oder eine Umarmung bei der Begrüßung). Aber kann man deswegen gleich von „Wiederfühlen“ sprechen?

Schauen wir mal, sich umschauen… werden zu: Hören wir mal? Fühlen wir mal? Sich umhören?
Sich umhören ist ein ebenfalls feststehender Begriff, der nicht meint, dass man sich im Sinne des Sehenden umschaut. Beim sich Umhören versucht man doch, explizit etwas herauszufinden, was beim reinen Umschauen ja nicht der Fall ist; Umschauen ist viel allgemeiner. Umfühlen ist ebenfalls falsch, dies würde bedeuten, dass alles und jeder abgetastet wird.
Schauen wir mal… ist ebenfalls eine Floskel, die nicht transformiert werden kann: Hören wir mal? Fühlen wir mal? Klingt komisch, da wüsste niemand etwas mit anzufangen!

Und was ist, wenn wir den Tatsachen ins Auge blicken? Oder ganz simpel einen Blick auf etwas werfen?
Wenn wir beginnen, uns in jemanden zu verlieben und ein Auge auf die Person geworfen haben?
Fassen wir dann der Tatsache ins Auge (oder etwa noch ins Ohr)? Werfen wir mit Fingern und Ohren auf etwas oder eine Person?

Eines wird anhand der wenigen Beispiele deutlich: Es hat keinen Sinn auch gegenüber blinden Menschen alles wortwörtlich zu nehmen! Auch ich verwende Floskeln, welche das Wörtchen Sehen beinhalten und tue dies auch im gleichen Umfang, als es Sehende tun. Bei mir fällt dies nur gleich wieder auf, denn ich kann ja nicht sehen. Oft stößt dies auch auf Unverständnis, warum ich denn nicht nach Alternativen suche? Aber warum?

Es sind und bleiben feststehende Begriffe. Und wir wollen nicht, dass man verkrampft nach der Nadel im Heuhaufen sucht, nach einem anderen Ausdruck – wir Blinde tun dies nämlich auch nicht!

Und wer kennt nicht den Satz, dass man nur mit dem Herzen gut sieht? Hat das Herz Augen?
Muss es ja, wenn ich doch als Blinder lieber Phrasen ohne Sehen verwenden sollte… 😉

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Blindheit als Aushängeschild und Marketingstrategie???

Am vergangenen Wochenende fand im Wolfsburger Kongresspark die alljährliche Hochzeitsmesse statt, auf der ich mit meinem DJ-Gewerbe in diesem Jahr auch mit einem kleinen Infostand mit Plakaten, Flyern und Visitenkarten vertreten war.
Am ersten der zwei Messetage wurden mir Beobachtungen mitgeteilt, nach denen ich vom vorbeilaufenden Publikum oftmals angestarrt, jedoch in den seltensten Fällen angesprochen wurde. Viele nahmen sich im Vorbeigehen Flyer und Visitenkarte mit – hieran ist nichts verwerflich. Auffällig waren die Blicke vieler wohl schon. Ich schleppte jedoch auch keinen Blindenstock mit mir herum, warum auch, blieb ich doch 8 Stunden lang eh nur an ein und demselben Fleck, die klischeehafte Armbinde trage ich erst recht nicht. Jetzt könnte man aus Sicht des Sehenden argumentieren, dass sie sich vielleicht unsicher waren, nicht genau wussten, ob und wie… und deswegen so reagiert hatten. Den vorangegangenen Zeitungsartikel mit einer Ankündigung wird zudem ja auch nicht jede(r) gelesen haben.

Am Ende des ersten Messetages führte ich eine leicht hitzige Diskussion mit dem Veranstalter, der in meiner Situation die Blindheit als Aushängeschild und Marketingstrategie verwenden würde, ferner noch, er riet mir generell, die Blindheit mehr zu thematisieren, denn potentielle Kunden könnten sich verarscht vorkommen, wenn sie von Anfang an nicht gewusst hätten, woran sie bei mir sind – hierauf gehe ich im weiteren Verlauf noch ein.

Und so änderte ich für den zweiten und letzten Messetag die Plakatierung: „Blinder DJ …“ war nun auf zwei Plakaten zu lesen und das kleine zusätzliche Wörtchen verfehlte seine Wirkung nicht. Die Leute, so wurde beobachtet, blieben öfters stehen, kamen zurück, lasen erneut und, ganz wichtig, sprachen mich vermehrt an diesem Tag an. Auch die Visitenkarten und Flyer gingen hier besser weg als noch am Vortag.

Diese Story soll zur Veranschaulichung für die folgende Diskussion dienen, die gerne durch Kommentare in diesem Blog ergänzt werden kann und auch soll!