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Findet ein blinder DJ den besseren Beat? Ein kleiner Rückblick auf zwölf Jahre DJ-Tätigkeit

Egal, was du als Blinder auch tust – du erntest von Seiten der Sehenden entweder absolutes Erstaunen oder aber sie empfinden das, was du machst, als selbstverständlich. Als DJ auf Partys und Feiern unterwegs zu sein, ist ein Mittelding aus beidem: Einerseits das Erstaunen über die Bewältigung der Technik, andererseits die Selbstverständlichkeit, denn Blinde machen ja alle irgendetwas mit Musik – so sagt es das immer noch vorherrschende Klischee.

Grund genug, nach über zehn Jahren aktiver DJ-Tätigkeit meine Arbeit einmal etwas Revue passieren zu lassen.

Alles begann, natürlich auch bei mir, auf Schul- und Internatsfeiern Anfang bis Mitte der 90er, gefolgt von kleineren Auftritten auf Familienfeiern. Einerseits machte es mir damals schon Spaß, Menschen mit Musik zu begeistern, doch mangels technischer Mittel oder einem Mentor, der mir die damaligen Möglichkeiten des DJings einmal aufzeigt, schlief diese Begeisterung auch recht schnell wieder ein.

Als ich jedoch 2000 begann, bei einem kleinen, nichtkommerziellen Lokalradio in Marburg erste, eigene Musiksendungen zu gestalten, wuchs auch so langsam wieder das Interesse, mich intensiver mit Musik oder der Zusammenstellung der solchen auseinanderzusetzen.

Nach über neunjähriger Radiotätigkeit, zunächst in Marburg, später dann in Hamburg, nach einigen wenigen DJ-Auftritten im Studentenwohnheim oder auf Familienfeiern, entschloss ich mich dann doch, mein Radio-Hobby dahingehend auszuweiten, indem ich mich als DJ selbstständig machte – ganz blauäugig, ohne -, wie es heute ja üblich ist, mich durch Tutorials oder YouTube-Videos in irgendeiner Form anleiten (oder beeinflussen?) zu lassen.

Und so kaufte ich mir 2010 meine erste Technik, damals noch Doppel-CD-Player, Mixer und PA-Anlage und sammelte erste Erfahrungen auf kleineren Feiern.

Da ich seit meiner Jugend bereits CDs sammele, stand für mich von Anfang an fest, dass die CD das Arbeitsmittel der Wahl bei meiner DJ-Arbeit sein sollte. Der Laptop war für mich viele Jahre lang nur eine Backup-Lösung, ein Mittel zum Zweck, sollten die CD-Player einmal ihren Dienst versagen. Lange sträubte ich mich dagegen, meine Player gegen einen Controller, die CDs gegen MP3s auszutauschen. Das Alleinstellungsmerkmal sollte eben nicht meine Blindheit, sondern noch das „richtige“ Handwerk sein und kein bloßes hin- und herschieben von MP3s in einer Playlist.

Doch auch ich kann nicht immer gegen die Zeit arbeiten. Zumal auch nicht überall, in jeder Location, genügend Platz vorhanden ist, um viel Equipment und CD-Koffer aufzustellen. Auch wenn ich mich Jahre lang erfolgreich gegen digitales DJing gewehrt hatte, 2018 erhielt auch das digitale Equipment in Form eines Midi-Controllers Einzug in meine Arbeit. Doch ganz ohne „handfeste“ Arbeitsmittel verlasse ich auch heute nicht das Haus und somit übernehmen der „Notfallkoffer“ und ein CD-Player die Aufgaben, die einst der Laptop für mich inne hatte.

Und dieser Umstieg von analog auf digital war eine wahre Herausforderung. Nicht der Technik wegen, also ob die Programme für mich als blinden Nutzer zugänglich waren, sondern in eher ganz pragmatischer Sicht: Während der Titel einer CD lief konnte ich in meiner selbst angelegten CD-Datenbank bereits nach dem nächsten Titel recherchieren oder, sollte ich den „Aufenthaltsort“ (also die CD) bereits wissen, diese heraussuchen, einlegen und den nächsten Titel anwählen. Dies fällt größtenteils bei der Arbeit mit einem Laptop weg. Der Titel muss zwar auch herausgesucht werden, dies geschieht jedoch in viel kürzerer Zeit und man weiß mit der neugewonnenen „Freiheit“, nämlich der Zeit, die man sonst zum CD raussuchen gebraucht hätte, erstmal nichts so richtig anzufangen. Aber auch heute verwende ich oft meine Titeldatenbank. Ich habe teils ein schlechtes Titel-Gedächtnis. Ich weiß, wo, auf welcher CD, welcher Titel zu finden ist, kann mir aber oftmals Interpreten oder Tracknamen nicht merken und verwende die Datenbank quasi als Stütze.

Ein weiterer Grund, am Ende doch auf digitale Technik umzusteigen, war auch ein gewisser Druck von außen. Viele, vor allem jüngere, wollen nicht, dass jemand mit CDs auf ihrer Feier auflegt. Sie empfinden diese Arbeitsweise als zu altmodisch, vor allem im Zeitalter von MP3, Streaming & Co. Du wirst heutzutage ja schon schräg angeschaut, sollte dein Laptop keinen Zugang zu YouTube oder Spotify haben, um den neuesten Song irgendeines Hiphop-YouTube-Sternchens oder den jüngst hochgeladenen Song einer der Gäste zu spielen. Aber die Kunst des DJings ist eben nicht, jeden hinterletzten Track zu kennen geschweige denn auch zu haben. Die wahre Kunst ist, sich soweit und so gut mit Musik auszukennen, um gegebenenfalls Alternativen zu dem gewünschten Titel zu finden.

Denn eines merkte ich sehr schnell: DJ zu sein, bedeutet für viele pures Handwerk und Handwerk ist, so will man es uns seit Jahren erklären, einfach erlernbar. Doch Musik aufzulegen ist nicht einfach nur Handwerk. Du kannst zwar lernen, deine Technik zu bedienen, sich das nötige Knowhow anzueignen, ist ein Jahre andauernder Prozess. Du musst Musik aktiv konsumieren, selbst immer wieder auf Entdeckungsreise gehen und dabei jedoch nicht nur ausschließlich in den von dir geliebten Genres unterwegs sein. Fachidioten gibt’s nämlich im DJ-Sektor mehr als genug.

Und wenn es etwas gibt, das einem auf fast jeder Feier begegnet, dann sind es Leute, die einem von schlechten DJ-Erfahrungen anderer Partys berichten. Davon nämlich, wie wenig Kollegen in der Lage waren, auf Wünsche einzugehen und einfach nur stumpf ihr Ding durchzogen.

Ob ich denn nicht auch das Publikum unbedingt sehen müsse, um Stimmungen zu bewerten, wurde ich häufig – auch von DJ-Kollegen – gefragt. Meine Antwort seit Beginn meiner DJ-Tätigkeit: Eine Party ist nun mal eine Party und keine Trauerfeier, wo alle in Lethargie versinken und kaum einer ein Wort spricht. Es wird getanzt, gestampft, die Leute unterhalten sich (lautstark) weiter, Stimmen bewegen sich und alles das ist auch durchaus hörbar; es sei denn, man verschanzt sich in irgendeiner DJ-Kanzel, auf einer Bühne, halt mit viel Abstand zwischen den Gästen und sich. In dem Nichtsehen der Stimmung sehe ich jedoch auch eine große Chance. Wer visuell erkennt, dass Titel X gut ankommt, ist vielleicht am Ende sogar weniger zum Experimentieren bereit und wandert da lieber auf sicheren Pfaden. Letzten Endes sind es aber vor allem die Gäste, die bestimmen, wohin stimmungstechnisch eine Party steuert. Wer sich nichts wünscht, der darf sich am Ende auch nicht beschweren, wenn die Party glinde gesagt Scheiße war. Als Blinder hast du beim Thema Musikwünsche sogar noch gewisse Vorteile: Dir ist es total egal, ob dir ein weiblicher Gast schöne Augen macht, damit du schneller ihren Musikwunsch spielst. First come, first serve – lautet hier oftmals mein Hobby, schließlich versucht man als DJ ja auch, die gewünschten Titel in eine vernünftige Reihenfolge zu bringen, damit es am Ende kein musikalisches Kuddelmuddel wird.

Spannend wird es auch bei der Frage nach einer sehenden „Assistenz“ oder „Begleitung“. Natürlich ist jemand da, der mir bei Transport und Aufbau der Technik hilft. Jedoch gehen viele automatisch davon aus, dass ich somit den ganzen Abend jemand vor Ort hätte, der mich „unterstützen“ (sich um mich „kümmern“) könnte. Dies lehne ich jedoch vehement ab. Wie ich weiter unten noch erläutern werde, haben viele auch ein großes Problem damit, wenn ihr Dienstleister eine Behinderung hat. Eine sehende Begleitung wäre für diese Leute nur das perfekte Alibi, mich nicht ansprechen zu müssen. Egal ob bei einfachen Fragen oder bei Musikwünschen, ein anwesender Sehender wird immer als erstes angesprochen – da kann ich noch so oft erzählen, dass es „nur“ mein Fahrer sei, schnell dahingeschmierte und oft auch in Bier getränkte Musikwunschzettel landen trotzdem bei ihm, anstatt dass mich jemand direkt anspricht.

Eingangs hatte ich es erwähnt, dass viele sehende Menschen annehmen, das DJing sei aufgrund meiner Blindheit entstanden. Ich bin kein besserer DJ, bloß weil ich blind bin. Und ich weigere mich auch strikt, die Blindheit als absolutes Aushängeschild und Werbestrategie zu missbrauchen. Menschen sollen mich meiner Fähigkeiten wegen buchen, von mir aus auch, weil sie mich sympathisch finden, aber bitte nicht, weil ich blind bin.

Aber genau das war es jedoch oft auch, was vielen Aufträgen im Wege stand. War ich nämlich zu offenherzig und habe meine Blindheit im Vorgespräch gleich angesprochen, fielen sogleich bei vielen Endkunden, aber auch durchaus DJ-Agenturen natürlich wieder die Scheuklappen und die Buchung kam nicht zustande – selbstverständlich nicht aufgrund meiner Blindheit, wie immer gesagt wurde, aber wer sollte denen das dann noch glauben? Und war man tough genug und verschwieg die Blindheit, fühlten sich viele sogleich überrumpelt, ja sogar manchmal hintergangen. Dabei habe ich nur meinen Job gemacht, ihn sogar zu aller Zufriedenheit erledigt, aber trotzdem stand die Behinderung wie ein bitterer Nachgeschmack im Raum. Man hätte sich doch auf meine „besonderen Bedürfnisse“ einstellen müssen – oh, wie ich dieses „besonders“ hasse, das viele neuerdings ja gern als Behinderungs-Synonym verwenden. Denn wenn ich eines definitiv nicht sein möchte als DJ, dann ist es „besonders“, also in Hinblick auf meine Blindheit.

Ich würde diesen Job nicht schon mehr als zehn Jahre machen, wenn der Großteil der bisherigen Kunden in puncto Umgang und Verhalten nicht völlig unvoreingenommen, also „ganz normal“ eben, mit der Situation umgegangen wäre. Am Ende zählt nämlich nicht, wer du bist oder was du hast, sondern ob es für alle Anwesenden ein gelungener Abend war. Und da sollte es, um das Technik-Thema von weiter oben nochmal aufzugreifen, letzten Endes sogar auch egal sein, ob ich nun mit Vinyl, CD oder rein digital gearbeitet und die Gäste „versorgt“ habe.

Natürlich gab es in all den Jahren auch komische Vorfälle, angefangen bei vergessenen Gagen, geklauten CD-Koffern, bis hin zu Falschgeld. Aber wer im Dienstleistungssektor arbeitet, wird leider, so traurig es auch ist, um solche oder ähnliche Querelen nicht herumkommen. Irgend ein Arsch ist immer unterwegs und macht einen gelungenen Abend zunichte. Ob nun in Form eines Langfingers, eines Betrügers oder – wie im Falle eines Gasts auf einer polnisch-italienischen Hochzeit – eines betrunkenen Raufboldes, der seinem Unmut über die nicht seinem Geschmack entsprechende Musik nur in Form von Handgreiflichkeiten Luft machen konnte. Ein Kollege meinte dazu mal, dass eine große Feier ein gutes Abbild unserer Gesellschaft sei – auch, wenn man auf vieles davon gut und gerne verzichten mag finde ich, dass er durchaus recht hat.

Warum ich meistens nur auf privaten Feiern und Partys unterwegs bin und nicht den Kontakt zu größeren Clubs etc. suche, werde ich oft gefragt. Das Publikum auf Privatveranstaltungen empfinde ich oftmals als offener, ja sogar ehrlicher und weniger arrogant. Während im Club jeder Glaubt, der King zu sein und den DJ auch gerne mal herumkommandieren zu können, weil er ja schließlich Eintritt bezahlt hat, sind Gäste einer Privatfeier da weitaus offenherziger unterwegs. Beide haben gemeinsam, dass in beiden Fällen der Gastgeber (ob nun Barbetreiber oder Hochzeitspaar) mich bezahlt. Trotzdem scheint die Grundeinstellung mancher Gäste im Club eine andere zu sein. Hinzu kommt noch die genretechnische Einfalt, die in vielen Clubs vorherrscht. Da mit einem Namen meist auch ein einziger Musikstil verbunden wird (frei nach dem Motto: Schuster bleib bei deinen Leisten), dürfte es hier nur sehr schwer sein, musikalisch zu experimentieren. Während ich auf einer Hochzeit, je nach Geschmack der Gäste, die unterschiedlichste Musik am Abend spiele – ob sie mir nun gefällt oder nicht, das sei mal dahingestellt. Im Club lege ich vorab fest, in welche Richtung mein Set geht – der Kunde bzw. Besucher braucht schließlich Verlässlichkeit. Natürlich ist es auch schön, Sets nur in einem festen Genre zu spielen, aber für mich wäre dies kein immerwährender Dauerzustand.

Aber das tolle am DJ-Dasein ist ja auch, dass du nie weißt, wohin dich die musikalische Reise einmal führen wird. Gerade jetzt, wo die Streaminglandschaft förmlich aufblüht, dürfte es umso interessanter werden, wie sich die Party- und Clubkultur – ob nun öffentlich oder privat – entwickeln wird. Glaubt man den Auswertungen einiger Befragungen, so dürfte die Streamingparty mit social Distancing auch zukünftig absolut im Trend liegen. Andere wiederum – und das ist zu hoffen – beschwören das genaue Gegenteil herauf, mit einer neuen Partykultur das Ende der Pandemie irgendwann einmal einzuläuten.

Egal was kommt, ob nun im stillen Kämmerlein als Stream oder in den Clubs, Bars und Gasthäusern unserer Welt als richtig laute Party, sodass am nächsten Tag die Ohren klingeln, als DJ musst du stets die Ohren offen halten, wenn dich der Ruf der Feierwütigen nach neuen Beats ereilt.


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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