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Gedanken-Gänge 46 – Ist Weniger am Ende wirklich Mehr? oder: Eine Hommage an das Sammeln

Das Jahr ist jung, aber noch bevor wir 2021 einläuteten, warb ein bekanntes Online-Auktionshaus damit, sich von Altem zu trennen, Platz für Neues zu schaffen und Dinge zu verkaufen, was wir nicht mehr „brauchen“. Das ist zwar kein direkter Aufruf, minimalistischer zu leben, eignet sich aber hervorragend, über das genaue Gegenteil zu sprechen!

Minimalismus – ein Trend, welcher durch Personen wie Marie Kondo salonfähig geworden ist. „Manchmal ist weniger mehr“ heißt es ja auch so schön.

Dahinter steckt, sich zu überlegen, welche Dinge einem wirklich wichtig sind. Was brauchen wir wirklich, was macht uns glücklich? Diesem neuen Lifestyle-Gefühl verdanken wir es, dass wir liebgewonnene Dinge wie Bücher, CDs, Comics oder Konsolen- und Gesellschaftsspiele auf einmal als Balast empfinden. Dinge, die durchaus ihren Nutzen haben, anders vllt als leere Feuerzeuge oder Kugelschreiber.

Und auch wenn vieles, was wir sammeln, am Ende auch – theoretisch – genutzt werden kann, scheint das Minimieren zum absoluten Hype zu avancieren. Wie wild trennen sich Menschen in meinem Umfeld von Dingen. Und wenn man sie fragt, warum, so klingt es, als würde man sich nicht von einer Reihe Bücher, DVDs oder Dekofiguren trennen, sondern von einer viel tiefer liegenden Last, die einem Trauma gleich wie Blei auf der Seele liegt. Belasten uns liebgewonnene Dinge so sehr? Oder ist es wieder dieser unterschwellig verspürte Druck, weils halt alle machen und es hip ist, brauch ich das jetzt auch?

Hinzu kommt der scheinbar unbendige Drang, alles, was irgendwie digital erhältlich ist, eben gegen diese Formate auszutauschen.

Ist Sammeln also etwas „Böses“?

Ich bin Sammler aus Leidenschaft. CDs, DVds, gewisse Arten von alten Konsolenspielen. Dinge, die ich alle hätte digital haben können – digital und platzsparend; vielleicht sogar kostensparend. Aber ich verzichte bewusst auf den digitalen Hype, kaufe aktiv CDs, Bücher etc. Und natürlich werde ich die ein oder andere CD im Regal haben, die ich jetzt über mehrere Jahre nicht mehr gehört habe – was beim Minimalisten für Schweißausbrüche und Panikattacken sorgen würde, hätte er sich von diesem „Balast“ doch schon längst befreit.

Denn ist es nicht auch der Zeitgeist unserer Wegwerfgesellschaft, dass alles, was wir nicht regelmäßig (ge)brauchen, auch genauso gut „weg“ kann und ausgemustert gehört? Den Sammler wird es freuen, dass Menschen Dinge aussortieren und er somit seine Sammlung erweitern kann – ein Vorteil des Minimalismuses, von dem wir Sammler durchaus profitieren. Jedoch blutet mir auch teils das Herz, wenn ich dabei feststellen muss, wie wenig Menschen Dinge heutzutage wertschätzen: Einmal genutzt, gelesen, gehört oder gespielt und schon landet es als Gebrauchtware im Netz oder auf dem Flohmarkt. Haben wir es vielleicht verlernt, Dinge wertzuschätzen? Und aus dieser Misere soll uns am Ende der Minimalismus retten?

Denn genau das ist es, was Sammeln am Ende zu einer liebenswerten und nicht etwa schrecklichen Eigenschaft macht: Sammeln bedeutet auch ein Stück weit Wertschätzung. Natürlich geht es vielen um das reine Besitzen, es gibt aber ebenso Sammler, die zwar viele Dinge angehäuft haben, diese jedoch nicht wahrlos, sondern nach gewissen Kriterien für sich auswählten.

Für andere wiederum ist Sammeln eine Art Wertanlage, denn bei bestimmten Dingen steigt der Wert mit dem Alter – ob es nun Hörspielkassetten in der Erstauflage, alte Computer- oder Konsolenspiele oder Comics sind. Allerdings steht hier die Auflösung der Sammlung schon so gut wie fest. Denn wenn ich schon noch beim Sammeln darüber nachdenke, was die Sammlung einmal Wert sein wird, habe ich mich ja schon quasi mit deren Auflösung angefreundet.

Gerade jedoch beim Musik sammeln scheiden sich die Geister. Gerade Jüngere sind es gewohnt, dass der Algorithmus des Streamingdienstes die Playlist, die neue Musik auswählt und nicht man selbst, z. B. vorm eigenen CD-Regal. Alles muss sofort und überall erreichbar und nutzbar sein – auch so eine neumodische Erscheinung, dem eine Bücher- oder Plattensammlung wohl kaum standhalten kann.

Sammler stehen bei vielen auch von Grund auf in der Kritik. Denn für viele hat Sammeln auhch etwas mit Konsumieren zu tun. Und da die Anhäufung von Besitzgütern heutzutage verpönt ist und bei vielen nicht mehr gern gesehen wird, shaben auch Sammler einen etwas schwereren Stand.

Aber warum muss ich mich für ein Hobby überhaupt verteidigen? Der Grund ist ganz einfach: Überall liest man von den großartigen Vorzügen des „Minimierens“. Aber kaum jemand bricht eine Lanze für die, die nicht auf diesen Zug aufspringen wollen. Für uns ist Wertschätzung keine Datei, die man auf seinem Rechner ablegt. Je nachdem, was es ist, kann man es fühlen, anfassen und einen Hauch von Nostalgie spüren. Wer Bücher sammelt, kennt auch diesen einzigartigen Geruch, den vor allem neue Bücher beim Aufschlagen verströmen können. Zum Spielen an einer alten Konsole gehört es auch, das Modul oder die Diskette einzuschieben und nicht bloß mit der Mouse im Spieleordner eine Datei anzuklicken. Und wer es liebt, auch mal durch ein Booklet einer neu erworbenen CD zu blättern, der wird bei vielen digital erworbenen Alben in die Röhre gucken, da ist nämlich ein solches Booklet häufig erst gar nicht mehr dabei – wäre ja auch unnötiger Dateibalast.

Also ist am Ende „weniger“ wirklich „mehr“? Eine Frage, die wohl ein jeder von uns nur für sich selber beantworten kann.


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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