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Sollte man den „Umgang mit blinden Menschen“ googeln können?

Egal, ob wir nun ein Handbuch für ein Gerät, medizinischen Rat, ein Programm, ein Rezept oder eine Anleitung für irgendetwas suchen. Tante Google hilft weiter und hat meist die passenden Links parad. Wer selber eine Homepage betreut und Zugriff auf seine Aufrufstatistiken hat, kann sehen, durch welche Suchbegriffe die eigene Seite gefunden wird

– und dabei können teilweise interessante Dinge herauskommen. Aber es können auch Dinge (Suchbegriffe) sein, die mich im Großen und Ganzen seit geraumer Zeit etwas nachdenklich stimmen. Denn sehr häufig wird die Frage, wie man denn mit blinden Menschen umgehen solle, gegoogelt.

Kann man Umgang mit einer Personengruppe googeln? Was erwartet man, wenn man dies tut? Was kommt dabei heraus? Und hilft es einem wirklich weiter? Sollte man, und das halte ich für die wohl wichtigste Frage in diesem Zusammenhang, „Umgang“ wirklich googeln können, wie eine Anleitung für irgendetwas, wie ein Patentrezept?

Zugegeben. Durch meine Texte, die auf meiner Homepage und auch in meinem Blog zu finden sind und die sich auch mit dem Thema „Umgang mit Blinden“ sowie „Berührungsängste“ auseinandersetzen, biete ich all denjenigen, die unsicher sind, eine Möglichkeit der Information. Jedoch keine Pauschalanleitung. Es sind meist rein persönliche Statements, Meinungen und Gedanken, also wohlmöglich alles das, was der Sucher vielleicht nicht finden will.

Aber kann man pauschale Antworten zum „Umgang mit blinden Menschen“ überhaupt geben? Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt, seitdem ich beim Projekt „Dialog im Dunkeln“ hier in Hamburg tätig bin. Da ich kein Freund der Verallgemeinerung bin, da ich den Gästen versuche deutlichzumachen, dass es „DIE! BLINDEN“ nicht gibt, habe ich für mich schnell festgestellt, dass – auch wenn es viele oft und gerne versuchen – es auf viele Fragen keine Pauschalantwort gibt, so wie sie manche vielleicht erwarten würden und vielleicht auch erhoffen. Ich könnte sagen, dass „WIR BLINDEN“ es nicht toll finden, wenn uns jemand einfach über die Straße zerrt, ohne uns vorher zu fragen, wo „WIR“ denn überhaupt hinwollen. Vielen ist soetwas natürlich äußerst unangenehm. Oder ich könnte anführen, dass „DER BLINDE“ in der Regel viele Sachen nicht macht, die Sehende in seinem Alter vielleicht tun würden. Doch vermeide ich so gut es geht das „WIR“, da ich nie komplett ausschließen kann, dass es unter den 150.000 blinden Menschen in Deutschland nicht doch einen gibt, der in dieser Hinsicht vielleicht ganz anders tickt.

Man könnte es auch anders herum formulieren. Denn sehr oft geschieht es, dass eine Eigenschaft, die ein einzelner Blinder aufweist, vom Sehenden gleich auf die Allgemeinheit projeziert wird. Da wären z. B. die altbekannten und altbackenen Klischeegeschichten mit der Sonnenbrille, dem absoluten Gehör, der besonderen Begabung für Musik, der Tatsache, dass ein Blinder (angeblich!) nicht nur blind, sondern gleichzeitig auch zartbesaitet sein soll… und diese Liste könnte noch so weitergehen. Dies sind Eigenschaften, die vielleicht auf manch einen zutreffen mögen, jedoch nicht auf alle.

Und genau so verhält es sich auch bei anderen Fragen den Umgang mit blinden Menschen betreffend. Auch wenn es in der Vergangenheit schon einige Bemühungen von verschiedenen Blinden gegeben hat, auf Webseiten und in Büchern eine allgemeine Antwort auf diese Frage zu finden und auch zu geben. Sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen ist zwar löblich, jedoch bleibt die Frage im Raum, ob und wem es etwas nützen kann?

Für Einrichtungen und Betriebe, die vielleicht (in Zukunft) viel mit blinden Menschen zu tun haben werden, denen allgemein gefasste Aussagen vorerst genügen, mögen diese „Anleitungen“ vielleicht eine Hilfestellung sein. Doch gebe ich zu bedenken, dass solche „Anleitungen“ auch zu einer weiteren Verunsicherung Seitens des Sehenden führen könnten. Wer Anleitungen liest und sich irgendwann einmal in der Situation befindet, das Gelesene anwenden zu wollen/müssen, könnte sich erst recht überfordert fühlen. Denn gerade bei der „Erstanwendung“ hat man erst recht Angst, nichts verkehrt zu machen und versucht krampfhaft, sich an die meisten Inhalte aus der „Anleitung“ zu erinnern, um sie möglichst zielgenau umzusetzen. Wäre es da nicht besser, man geht unbefangener (ohne „Anleitung“) an die Sache heran, fragt denjenigen, ob und inwieweit man Hilfe benötigt oder dergleichen? Einziges Hindernis könnten hier die Berührungsängste sein, welche jedoch auch nach Lesen einer „Umgangs-Anleitung“ vorhanden sein könnten – denn in der Theorie ist schließlich alles schön und einfach.

Und noch ein zweites Beispiel möchte ich hier anführen. Es ist schon vorgekommen, dass mir Sehende, die ich neu kennengelernt habe, erzählten, sie wollten im Internet ein wenig googeln und zum Thema „Blindheit“ nachlesen, teils auch zum Thema „Umgang“. Der Grund für diese Vorgehensweise war, dass sie das Kennenlernen nicht auf Fragen meiner Blindheit betreffend reduzieren wollten. Aber, das gab ich zu bedenken, gehören beim Kennenlernen nicht auch solche Fragen dazu, auch wenn sie für den Sehenden anfangs vielleicht unangenehm sein mögen? Und wer sagt ihnen, dass das, was sie im Netz zum Thema Blinde lesen, auch auf diese eine blinde Person am Ende zutrifft?

Es gibt keine pauschale Lösung, kein Nonplusultra, wie man mit Menschen mit Handicap allgemein umgehen soll/kann, außer vielleicht, dass man keinen Unterschied machen sollte, ob der Andere z. B. nun blind ist oder nicht. Alles andere ist so individuell, dass nur jeder einzelne seine ganz persönliche Umgangs-Anleitung für sein Umfeld schreiben könnte. Zwar gibt es beispielsweise Anmerkungen darüber, wie man einen Blinden zu führen hat (dass z. B. der Blinde sich nicht unterharkt sondern den Ellenbogen des Sehenden ergreifen soll), aber ich weiß von sehr vielen Blinden (mich hier eingeschlossen), dass sie dies (wer auch immer sich dies ausgedacht hat) nie so in die Tat umsetzen; das nur als weiteres Beispiel für eine „Anleitung“.

Mir ist bewusst, dass es da draußen genügend Sehende gibt, die im Umgang mit Blinden unsicher und unbeholfen sind, die wenig über blinde Menschen wissen. Aber eine allgemein gültige Antwort auf ihre Fragen halte ich zumindest als wenig ratsam. Es gibt ja auch keinen Ratgeber, wie wir Blinden mit Euch Sehenden umzugehen haben. 😉


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

2 Antworten auf „Sollte man den „Umgang mit blinden Menschen“ googeln können?“

Hallo christian,

Es liest sich sehr schön was du geschrieben hast und ich muss dir recht geben das man bei tantegoogle nicht die richtige Antwort finden kann wie man mit einem Blinden menschen umgehen kann, da jeder Blinde seine eigene art hat seinen Alttag zu gestalten und genau deshalb kann man die richtige Antwort nicht im web finden.Ich bin zwar ein sehender mensch aber wenn ich ehrlich bin würde ich es gar erst probieren nach antworten im netz zu suchen und dann doch lieber die person direkt ansprechen die dieses handycap hat.

lg manu

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