Ab dieser Woche ist es wieder so weit. Wir dürfen endlich wieder Gesicht Zeigen, uns zu unserem Land bekennen und einmal (alle zwei bzw. vier Jahre wieder) patriotisch sein, denn die Fußball-Weltmeisterschaft steht vor der Tür!
Immer auf einer graden Jahreszahl, meist zur Sommerzeit, beginnt sie, die Fußball-Welt- oder -Europameisterschaft. Die Narren und Närrinnen sind in diesen ein/zwei Monaten außer Rand und Band und das bloß nur, weil das Runde in das Eckige muss und einer am Ende verlieren wird?
Aber ist es nicht so? Eine Fußball-Meisterschaft, ob nun EM oder WM, gilt für viele als Ausnahmezustand und sorgt auch für selbigem. Wo man sich tagsüber auf der Arbeit, Abends mit Freunden, am Telefon mit alten Klassenkameraden noch „normal“ unterhalten konnte, herrscht während der sechsten Jahreszeit vieler Orts ein Ausnahmezustand, der von Nicht-WM-Fans nur schwer nachzuvollziehen ist. Wie gebannt sitzt man vor den Fernsehschirmen oder der nächstbesten Großleinwand. Wie hypnotisiert verfolgt man das Geschehen der heimischen Mannschaft und wie beim Karneval trifft man sich nach gewonnenem Spiel auf den Straßen, um ausgelassen zu grölen, zu hupen und zu feiern. Daher darf eine Fußball-Weltmeisterschaft den Vergleich mit der vor allem in westlichen Gefilden so gefeierten Karnevalszeit nicht scheuen. Der Bierkonsum steigt, die Stimmung ist ausgelassener denn je und scheinbar vorhandene Probleme im eigenen Land werden, zumindest für einen kurzen Zeitraum, bei Seite geschoben, sind medial oftmals gar nicht mehr präsent. Denn es gibt viel wichtigeres, über das es sich lohnt zu reden, zu debattieren und zu berichten.
Etwas, das mich, von Mal zu Mal, immer mehr anödet. Nicht, weil ich mich nicht für Fußball begeistern kann, sondern eher wegen des zwanghaften Mitverfolgens und Mitfieberns der Spiele der heimischen Mannschaft. Wer sonst nichts mit dieser Ballsportart am Hut hat, avanciert in dieser Zeit zum Fußballprofi und diskutiert, was das Zeug hält, über die verlorenen oder gewonnenen Spiele.
Denn diese Häuchlerei bedeutet auch, sich einmal, für rund vier Wochen, zu seinem Land bekennen zu können, ja sogar – je nach Fußballleistung – auch Stolz zu sein. Wir dürfen wieder Deutsch sein, dürfen Fahnen vors Fenster hängen oder uns bei einem Deutschlandspiel mit ihnen bemalen, ohne Angst haben zu müssen, gleich sofort in die rechte Ecke gestellt zu werden. Ist die WM vorbei, verschwinden Patriotismus und Nationalstolz wieder, die Fahnen werden für mindestens zwei Jahre eingemottet und frühestens zur nächsten Europameisterschaft, spätestens jedoch erst wieder zur WM 2022, aus der Mottenkiste geholt – es lebe die Doppelmoral.