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Gedanken-Gänge XXVII – Behinderte Studenten essen Negaküsse im Vaterland oder: Über sprachliche Befindlichkeiten und angebliche Diskriminierungen

In letzter Zeit häufen sich Diskussionen und Meldungen z. B. in den sozialen Medien, in denen die sprachliche Diskriminierung diskutiert wurde. Bereits schon seit Jahren ist ein Trend dahingehend zu erkennen, Begriffe und Formulierungen so zu verändern, dass sich durch die reine Verwendung bestimmte Personengruppen weder ausgegrenzt noch diskriminiert fühlen (Beispiel 1: Aus „Studenten“ wurden „Studierende“; Beispiel 2: Aus „Negerkuss“ wurde „Schokokuss“, Beispiel 3: Aus „Zigeunerschnitzel“ wurde „Schnitzel nach Zigeuner Art“).

Jüngst war zu lesen, dass selbst die Frage und somit das unterschwellige Kompliment an einen Imigranten, woher er/sie denn so gut Deutsch könne, bereits als Diskriminierung aufgefasst werden könne, da man so dem Anderen indirekt unterstellen würde, aufgrund seiner Herkunft kaum Sprachkenntnisse zu besitzen – wohl auch „positiver Rassismus“ genannt.

Und ganz zu schweigen von der immer häufiger werdenden Duzerei, von der sich viele Menschen ebenfalls persönlich angegriffen fühlen.

Krampfhaft versuchen wir, es allen sprachlich Recht zu machen. Nur stellt sich mir hier die Frage, ob wir uns mit dieser typisch Deutschen Übervorsicht nicht unsere eigene Grube schaufeln, in die wir immer und immer wieder zu fallen drohen, weil wir zukünftig immer mehr auf der Hut sein müssen, was wir, wann, wo, wie und zu wem sagen?


Einerseits mag es ja den bewussteren Umgang mit Sprache fördern, aber da wir uns eh schon schwer tun, gewisse Dinge im Beisein Betroffener auszusprechen, wäre diese Übervorsicht somit nicht sogar eher kontraproduktiv. Ein gelassenerer Umgang mit Sprache, ein nicht immer alles auf die Goldwage legen, ist – nach meinem Dafürhalten – sogar erstrebenswerter, als dieses ewige Schauen, wie man was zu wem sagt. Wir verlernen es, miteinander zu reden, durch derartige Befindlichkeiten wird dieses Verhalten nur noch weiter gesteigert.

Sollten wir nicht vielleicht auch an uns selbst arbeiten, Gesagtes nicht kleinkrämerisch zu zerhackstücken, um unbewusst nach einer möglichen Diskriminierung zu suchen? Wer sucht, der wird auch immer finden. Nur dann sollten wir besser gar nicht mehr reden oder wenn, dann nur noch in hochtrabendem Amtsdeutsch, wobei es sicherlich auch dort die eine oder andere sprachliche „Diskriminierung“ geben wird.

Bei diesem ewigen Pochen auf geschlechtsneutrale Formen und Formulierungen, die Überlegung „Vaterland“ aus dem Text der Nationalhymne zu streichen, das Umschreiben von eigentlich festen Ausdrücken, um jemanden nicht auf seine Herkunft, Haarfarbe oder Behinderung zu „reduzieren“… und womöglich werden in Zukunft noch viele weitere Dinge zur Liste sprachlicher Befindlichkeiten hinzukommen -, fragen sich manche zu Recht: was darf ich eigentlich überhaupt noch sagen? Darf ich noch „Vaterland“ sagen, vor allem jetzt, wo es ja das „dritte Geschlecht“ gibt? Darf ich – als Mann – überhaupt Muttersprache sprechen? Und wenn ich dem Imigranten nicht sagen darf, dass er gut Deutsch spricht, weil dies „positiver Rassismus“ ist, dann darf ich mir als Blinder auch nicht mehr von einem Sehenden sagen lassen, dass dieser es ach so toll findet, wie ich mein Leben meistere, denn dies wäre ja dann auch schließlich „positive Diskriminierung“. Was für eine Farce. Denn natürlich sprechen auch Männer Muttersprache und auch Frauen leben im Vaterland und ein Lob oder ein interessiertes Nachfragen birgt nicht immer gleich unterschwellige Unterschätzung in sich.

Denn den Rollifahrer frage ich ja schließlich auch, wie es ihm GEHT oder wie die Prüfung LIEF, einem Menschen mit Glasknochen wird auch noch der Schreck oder die letzte Fete in den Knochen stecken, der Gehörlose findet etwas UNERHÖRT und auch ein Blinder hat den Durchblick und sagt „auf WiederSEHEN“. Alles Sprachbeispiele, bei denen ich – streng genommen – jegliche Verwendungen vermeiden sollte, um einer etweiligen Verletzung und Diskriminierung aufgrund der Behinderung aus dem Weg zu gehen. Die lapidare Aussage, dass rechts dort ist, wo der Daumen links ist, könnte für mich als Blinden, der nicht sieht, dass sein Gegenüber überhaupt keinen linken Daumen mehr hat, ja schon zur Falle werden. Und selbst, wenn wir in solch eine Sprachfalle tapsen, wir blicken beschämt zu boden, flüchten uns in tausendfachen Entschuldigungen, immer mit der Angst im Nacken, dem eindäumigen Gegenüber gerade vielleicht gehörig auf dem nichtvorhandenen Fuß getreten zu sein…

Selbst das Wort „Behindert“ wird mehr als „Belastung“, als Schimpfwort und als sprachlicher Klotz am Bein betrachtet. Lieber flüchten wir uns in Denglische Ausdrücke wie das inzwischen eingedeutschte Handikap, das nicht so negativ behaftet ist, wie die „Behinderung“. Passend hierzu werden derzeit ja auch Überlegungen angestellt, den „Schwerbehindertenausweis“ umzubenennen, weil wir zwar eine „Behinderung“ haben, diese in vielen Fällen jedoch nicht „schwer“ bzw. „schwerst“ ist. Behinderung empfinde ich persönlich weniger als Anmaßung, als das auch sehr häufig gebrauchte „geschädigt“.

Und was ist dann eigentlich mit Witzen? Für viele, nicht nur Nichtbetroffene, ist es pietätlos, einen Gehörlosen- oder Blindenwitz zu machen („Was ist gemein? Den Blinden an die Litfaßsäule zu stellen und zu sagen, er möge immer an der Wand langlaufen.“).Oftmals stößt die Nutzung von Blindenwitzen z. B. durch ebenfalls blinde Menschen auf Unverständnis. Viele können scheinbar nicht begreifen, dass wir mit unserer Situation leben und sie nichtimmer nur mit dem Mitleidsblick betrachten. Und selbiges wäre bei anderen Gruppierungen genau so wünschenswert.

Blicke können manchmal töten, Worte sind verletzend – wissen wir alles. Nur verrennen wir uns gern in unserer eigenen Sprache. Enthält Ausdruck X eine Anspielung auf …, könnte es eine enthalten, was ist die weibliche Form von …, gibt es überhaupt eine, müssen wir eine kreieren, müssen wir an jeder Ansprache bzw. Bezeichnung (Kollegen, Lerer, Studenten, Autofahrer) immer die Nachsilbe „Innen“ anhängen, obwohl doch jedem klar sein sollte, dass unter – wie von mir eben verwendet – „Rollifahrer“ natürlich auch die FahrerINNEN gemeint waren oder sind wir solche Erbsenzähler geworden, dass wir es immer punktgenau formuliert brauchen? Sarkastisch gesagt, hat aber noch niemand für die weibliche Form des Menschen plädiert, denn DER Mensch ist ja schließlich auch männlich und ein Ausschluss somit vorprogrammiert. Menschin klingt jedoch wirklich komisch…

Aber ein persönlicher „Sprachenangriff“ erfolgt ja inzwischen nicht nur durch die Verwendung von Wörtern oder Phrasen. Selbst bei der persönlichen Ansprache ist Vorsicht geboten. Alles, was man nicht kennt, ist zu siezen. Und der Ältere bietet dem Jüngeren das „Du“ an, nicht umgekehrt. Das dieser Deutsche Grundsatz vielerorts inzwischen aufgebrochen und zum Glück verändert wurde, ist löblich, wird aber von vielen gar nicht so positiv aufgenommen. „Du“ ist persönlich und in gewisser Weise intim. Das „Du“ ist wie ein gehütetes Geheimnis, das man auch nicht jedem erzählt. Hingegen man mit dem „Sie“ dem Gegenüber Respekt zollt – was doch für ein Quark. Demnach wären wir, die wir gerne und oft das „Du“ verwenden, respektlos, unhöflich und unachtsam. Wer jedoch einmal in den Skandinavischen Ländern unterwegs war, der weiß, dass das so nicht stimmt. Auch wenn man duzt, kann ein höflicher Umgang erfolgen und nur, weil man seinen Chef, den Dozenten an der Uni oder den Lehrer vielleicht duzt, bedeutet das noch lange nicht, dass man – wie viele ja immer gerne argumentieren – weder die Authorität des Anderen untergräbt noch in irgendeiner Weise bevorzugt behandelt oder bewertet wird. Aber wir sind Interpretierer und dichten dem Duzer gleich Eigenschaften an, die er gar nicht hat.

Und so verhält es sich auch, wenn man irgendeine Floskel oder Phrase verwendet, die eine Behinderung, eine Herkunft oder sonst etwas erahnen lässt.

Böse gesagt ist es nämlich vor allem auch an uns und nicht nur an der Gesellschaft, mit unserer Behinderung oder Herkunft (oder was auch immer) umzugehen. Wenn einer einen Spaß macht, einen Ausdruck verwendet und wir damit nicht umgehen können, liegt es an uns, dies zu lernen und nicht bei der anderen Person, dies zu unterlassen und sich quasi für uns zu schämen. Denn wenn man so will, kann jedes Wort im richtigen Kontext als Schimpfwort verwendet werden, ob nun „Bayer“, „Friese“, „Türke“, „Deutscher“, „Ausländer“, „Hauptschüler“ oder eben „Behindert“. Auf die Art, wie es gesagt wird und durchaus auch auf den Kontext kommt es nämlich an und nicht auf ein Generalverbot. „Deutsche Sprache, schwere Sprache“ heißt es so schön, durch Befindlichkeiten und die Suche nach der Nadel im Heuhaufen wird es aber nicht leichter, gerade wenn man sich – durch was auch immer – von allem und jedem gleich sprachlich angegriffen fühlt bzw. hinter jedem Wort einen Angriff vermutet.

Also. Nicht immer alles auf die Goldwage legen – viele von Euch haben überhaupt kein Gold. Und lasst doch mal die sprachliche Kirche im Dorf, auch wenn das Dorf, in dem Ihr vielleicht wohnt, überhaupt keine Kirche mehr hat oder Ihr selbige nie besucht… Ich denke, Ihr habt verstanden, was ich meine. 😉


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

Eine Antwort auf „Gedanken-Gänge XXVII – Behinderte Studenten essen Negaküsse im Vaterland oder: Über sprachliche Befindlichkeiten und angebliche Diskriminierungen“

Ich bin mit der arabischen Sprache aufgewachsen. Hier gibt es kein „sie“. Respekt wird durch Formen der Anrede gezeigt. Wenn Araber Deutsch lernen, stellt dieser sprachliche Unterschied eine große Herausforderung dar. Und wenn dann noch gegendert wird, dann wird es richtig lustig.

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