Heute, am Tag der Menschen mit Behinderung (03.12.), nutze ich die Gelegenheit, einmal ein wenig über den Begriff „Behindert“ zu sprechen. Denn gerade in jüngster Zeit musste ich in Gesprächen immer wieder feststellen, wie negativ besetzt dieses Wort immer noch ist – oder sollte ich sagen: immer wieder?
Behinderung ist für viele ein Schimpfwort („Ey man, biste behindert?!“), obwohl sich mit diesem Wort eigentlich genau das punktgenau wiedergeben lässt, worauf es ankommt. Nämlich dass die Person eben nicht „krank“ ist, auch wenn Behinderung gerne mal mit Krankheit gleichgesetzt wird.
Viele empfinden sich selbst nicht als behindert oder ihre Behinderung nicht als solche. Auch ich habe in all den Jahren meiner Bloggertätigkeit viel über „Behinderung“ geschrieben und anfänglich auch versucht, dieses Wort zu umschreiben bzw. zu vermeiden und durch andere, scheinbar positivere Wörter (wie „Handikap“), zu ersetzen. Doch warum eigentlich?
Auch wenn ich mich durch mein Handikap nicht „behindern“ lasse und ein aus meiner Sicht selbstbestimmtes Leben führe, ist die Blindheit ja nicht zu leugnen. Da sie hierzulande zu der Gruppe der „Behinderungen“ zählt, zähle auch ich zu dem Kreis der Menschen mit „Behinderung“ oder, um es nicht ganz so hochtrabend zu formulieren, zu den „Behinderten“ (Menschen). Daran gibt es auch erst mal nichts zu Rütteln.
Da helfen – zumindest mir persönlich – auch keine Schönrederei, kein Suchen und scheinbar auch Finden von Ersatzausdrücken – man denke an die Diskussion um den sog. „Schwerbehindertenausweis“, den ein 14jähriges Mädchen in „Schwer in Ordnung Ausweis“ umbenennen wollte. Zu den Wortschöpfungen, wenn es – gerade bei nicht behinderten Menschen – darum geht, Behinderungen nicht beim Namen zu nennen, später mehr.
Schwer tue ich mich persönlich jedoch genau mit diesem kleinen, wenn auch prägnanten Zusatz: Blindheit scheint auch zu den „schweren“ „Behinderungen“ zu zählen, warum sonst wären wir Inhaber eines solchen „Schwerbehindertenausweises“? Allein die scheinbar von außen vorgenommene Eingrenzung, ob und ab wann eine Behinderung als „schwer“ gilt, sollte als erstes einmal hinterfragt werden, anstatt den Behinderungsbegriff an sich krampfhaft wettmachen zu wollen. „Schwer“ impliziert auch gleichzeitig eine Art Leidensweg, den jemand beschreitet. Bei vielen, egal mit welcher Behinderung, trifft dies jedoch wohl eher weniger zu.
Wenn man das Kind nicht beim Namen nennen mag, entstehen im Kopf vieler, wie gesagt vor allem Nichtbehinderter, sehr unterschiedliche Wort- und Phrasenschöpfungen, dass bei einem Linguisten oder Germanisten das Wasser im Munde zusammenlaufen müsste. Da liest und hört man von „anderswahrnehmend“, wenn es z. B. um Blindheit geht. „Mensch mit besonderen Bedürfnissen“ ist ein weiterer Sprachenauswuchs, den ich in letzter Zeit hören bzw. lesen durfte. Dass einem natürlich auch die „Klassiker“ wie „Andersartigkeit“ begegnen, dürfte den meisten klar sein. Gerade bei den „Anders“-Begriffen beginnt man die Wahrnehmung Außenstehender ein wenig zu hinterfragen: Wirken wir in unserer Wahrnehmung wirklich soviel anders auf andere? Nehme ich z. B. als Blinder wirklich so unterschiedlich, also „anders“, wahr, als es ein normal Sehender tut, dass es eine solche Formulierung rechtfertigt? Ich kann „nur“ nichts sehen, der Rest funktioniert genauso gut, wie er beim Sehenden – theoretisch – auch funktionieren könnte.
Wenn es jedoch einen Begriff gibt, mit dem man sicher die meisten von uns eher kränken, wenn nicht sogar beleidigen könnte, schlimmer noch, als mit dem Wort „Behindert“, dann dürfte es unumstritten der Ausdruck „Geschädigt“ sein. In vornehmlich älteren Verordnungen und Schriften, wohl auch abhängig teilweise vom Bundesland, ist nämlich auch von den „Schwergeschädigten“ die Rede. Indirekt wird hierbei ja den Nichtbehinderten eine gewisse Perfektheit unterstellt, die wir Behinderten nicht haben – zweifelslos durchaus richtig, aber sind wir deswegen gleich „geschädigt“?
In einem meiner ersten Texte zum Thema stellte ich in der Headline schon die Frage, ob Blindheit eine Behinderung sei oder nicht auch einfach nur das, was man daraus macht? Dies lässt sich auch prima auf das Wort „Behinderung“ an sich übertragen: Ist „Behinderung“ wirklich so „böse“, dass wir das Wort wirklich ersetzen sollten? Oder ist es nur so negativ, wie wir es am Ende verwenden? Sich mit dem Wort „Behinderung“ auseinanderzusetzen, dies merkte ich ganz deutlich auch an mir selber, kann auch bedeuten, sich einmal mit seiner eigenen Behinderung auseinanderzusetzen und nicht vor ihr davonzulaufen.
Auf einer Veranstaltung konnte ich vor kurzem einen kurzen Ausschnitt aus dem Programm des bemerkenswerten Kabarettisten Rainer Schmidt lauschen, welcher sich, teils auf sehr humorvoll sarkastische Weise, mit seiner eigenen Behinderung, aber vor allem auch mit dem Behindertenbegriff im Allgemeinen befasst. Unter Anderem gab er dort zum Besten, dass Behinderung und das Empfinden der solchen nicht nur von körperlichen Faktoren abhängt sondern auch, wie wir von der Gesellschaft wahrgenommen werden; ob wir also in gewisser Weise auch von ihr „behindert“ werden. Dem kann ich mich nur anschließen. Was nützen einem Wortgefechte und -Klaubereien, wenn sich durch sie zwar die sprachliche Auseinandersetzung mit dem Begriff ändert, im Kopf jedoch null Umdenken stattfindet.