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Blind durch den Movie Park Germany – Ein Testbericht

Kann man als Blinder, ohne sehende (Dauer-)Begleitung einen Freizeitpark und die sich in ihm befindenden Fahrgeschäfte nutzen?

Dieser Frage versuche ich seit letztem Jahr, gemeinsam mit Parkerlebnis.de, nachzugehen. Bereits der Allgäu Skyline Park bekam von uns das Prädikat „Sehr Gut!“, was die Nutzung durch blinde Besucher anbelangt; der Europa-Park ist leider, wie in unserem letzten Testbericht zu lesen ist, komplett durchgefallen.

Da wir uns einen möglichst umfassenden Überblick über die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit Deutscher Freizeitparks verschaffen wollen, testeten wir am 05.06.2015 den Movie Park Germany in Bottrop. Frei nach dem Titel einer der dortigen Shows, gestalteten wir jedoch unseren Testlauf: BREAK THE RULES! Denn eigentlich, so das Ergebnis unserer Vorabrecherchen aus dem vergangenen Jahr, dürfen blinde Menschen zwar ohne Begleitung den Park betreten, jedoch dann keine der dortigen Fahrgeschäfte nutzen. Blinde Besucher bräuchten eine sehende Begleitung, die ihnen im Falle einer Evakuierung behilflich ist. Dies erscheint unlogisch: Kinder dürfen ohne Begleitung fahren, ein (blinder) Erwachsener nicht? Ob diese Regelungen im Livebetrieb auch wirklich so umgesetzt werden, galt es am vergangenen Freitag zu testen!

Anreise

Die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln gestaltet sich sehr einfach: Ab Essen Hbf entweder mit dem Zug bis zum Bahnhof Feldhausen, von dort sind es noch 10 Minuten Fußweg oder man nimmt, ebenfalls ab Essen, den Schnellbus SB16, welcher einem quasi direkt vor die Haustür fährt. Wer den Schnellbus nimmt, sollte jedoch vorher nachfragen, ob die Stationen angesagt werden! Da noch zum Teil alte Fahrzeuge auf den Schnellbuslinien verkehren, sind nicht immer Vorrichtungen für automatische Stationsansagen installiert, dies soll sich jedoch laut der Aussage eines Busfahrers im September mit der Einführung neuer Fahrzeuge ändern.

Einlass

Der Einlass in den Park gestaltete sich als vollkommen unkompliziert. Blinde Besucher erhalten freien Eintritt, eine Begleitung würde nur den halben Eintrittspreis zahlen. Ich war, wie auch schon im Fall des Skyline-Park-Tests, offiziell alleine, ohne Begleitung unterwegs. Parkerlebnis-Redakteur Thomas Frank folgte, quasi in kognito, um die Reaktionen des Personals und der anderen Besucher besser beobachten zu können.

An der Kasse wurde mir, nach kurzer Kontrolle meines Schwerbehindertenausweises, meine Eintrittskarte ausgehändigt. Um den Park jedoch endgültig zu betreten, muss man eine elektronische Ticketkontrolle nebst Drehkreuz passieren. Das Ticket wird dabei unter einem Scanner gehalten und das Drehkreuz wird entriegelt. Hier war mir das Personal sehr zuvorkommend behilflich. Es gab, weder an der Kasse noch hier beim Einlass, Rückfragen bezüglich einer eventuellen Begleitung.

Orientierung

Die Orientierung im Movie Park gestaltete sich als angenehm. Es gibt verschiedene Anhaltspunkte, die ein blinder Parkbesucher zur Orientierung nutzen kann. Ob nun mit Hilfe des dortigen Straßensystems und den Bordsteinen (Vorsicht, es gibt einige wenige Filmrequisiten in Form von alten Autos, die auf der Straße stehen, die man sich aber unbedingt mal anschauen sollte), oder die stetige Präsenz von Musik, welche durch über den Park verteilte Lautsprecher zu hören ist und sich quasi wie ein roter (Leit-)Faden durch den Park zieht. Nicht zu vergessen die vielen Parkbesucher an diesem Tag, die beim Auffinden der einzelnen Attraktionen sehr behilflich waren. Und wenn man einmal den Eingang zum nächsten Fahrgeschäft gefunden hat, wird man eh durch die Queue-Lines bis zum Einstieg geleitet und kann sich am wartenden Vordermann orientieren.

Einsteigen… und los! Die einzelnen Fahrattraktionen im Test

Van Helsing’s Factory: Achterbahn/Themenfahrt

Da aufgrund des sonnigen Wetters (30°C Toptemperatur) der Park mehr als gut besucht war, hieß es hier, wie auch an einigen anderen Attraktionen, anstehen und warten. Nach gut 45-minütiger Wartezeit, die (für Sehende mit Lichteffekten), mit atmosphärischer Musik und einem zur Themenfahrt passenden, gesprochenen Text untermalt wurde, war ich an der Reihe. Das Personal war mir beim Ein- und Ausstieg sowie beim Wiederauffinden meiner zurückgelassenen Sachen (Blindenstock und Rucksack) behilflich und geleitete mich zudem am Ende der Fahrt noch zum Ausgang.

Crazy Surfer: Disco Coaster, große, auf einer Wellenschiene rotierende Scheibe, bei der der Fahrgast mit dem Gesicht nach außen sitzt und von einem Bügel im Rücken gehalten wird

Ein wenig Abkühlung durch Fahrtwind versprach diese Attraktion. Nach kurzer Wartezeit wurde ich auch hier vom Aufsichtspersonal eingelassen und zu einem freien Platz begleitet. Am Ende der Fahrt geleitete mich der Mann zum Ausgang und erklärte mir den Weg zu meiner nächsten Station.

The High Fall: Free Fall Tower

Hoch hinaus sollte es mit dem nächsten Fahrgeschäft gehen. Am Einlass angekommen, wurde ich von der Aufsicht nach einer vorhandenen Begleitung gefragt. Jedoch war dies keine Voraussetzung, um den Tower betreten und nutzen zu dürfen, es diente lediglich, um festzustellen, ob ich Hilfe vom Personal benötige. Beim Ein- und Ausstieg sowie beim Verlassen des Fahrgeschäfts wurde mir völlig unkompliziert geholfen – so, wie man es sich wünscht.

MP-Xpress: Suspended Coaster, Hängeachterbahn mit Looping

Nachdem im Jahr 2006 der “Cop Car Chase“ geschlossen und abgebaut wurde, ist der MP-Xpress die einzige noch verbliebene Looping-Achterbahn des Parks und zählt somit auch zu eine der Hauptattraktionen. Nach wieder etwas längerer Wartezeit stand ich vor der Schranke, welche in Kürze den Weg zum Wagen freigeben sollte. Als die Schranken geöffnet wurden, war zu diesem Zeitpunkt niemand vom Aufsichtspersonal zur Stelle. Doch der geübte, blinde, Achterbahnfahrer weiß natürlich: Wenn die Schranke sich öffnet, geradeaus durch, bis zum Wagen, einsteigen und Bügel schließen! Wo und wie ich Rucksack und Stock verstauen konnte, erfragte ich bei einem der hinter mir stehenden Besucher bzw. übergab den Blindenstock später dem „Bügelkontrolleur“, der mir nach Fahrtende, gemeinsam mit einem anderen Gast, meine Sachen zurückgab und mich zum Ausgang brachte. Beim Verlassen hörte ich von hinten noch die Stimme eines ca. 8-jährigen Jungen: „Der ist ja blind! Cool, dass der sich das so traut!“

NYC Transformer: Top Spin

Bis hier hin lief alles zu unserer Zufriedenheit. Wir wussten natürlich, dass wir uns auf etwas brüchigem Eis bewegen, da ich ja eigentlich eine Begleitung hätte für die Fahrten mitbringen müssen. Die Aufsicht beim Top Spin nahm es (leider) auch recht genau mit dieser Regelung. Als ich nämlich an der Reihe war, wurde ich sogleich aufgehalten. In allen Parkachterbahnen sowie dem NYC Transformer bedarf es einer sehenden Begleitung. Die Begründung war nicht nur der all zu gern genommene Sicherheitsaspekt und die (angeblichen) TÜV-Vorgaben, sondern auch, dass es beim NYC Transformer hohe Stufen gäbe! Eine klasse Begründung, über die ich doch etwas schmunzeln musste, denn „hohe Stufen“ gibt es überall, nicht nur im Movie Park. Ich ließ mich nicht beirren und meine Diskussion mit der Aufsicht erregte bei den sowohl bereits eingestiegenen als auch den hinter mir wartenden Fahrgästen Aufsehen. Ein anderer Besucher kam nach vorne und nahm mich kurzer Hand unter seine Fittiche. Nach Fahrtende eilte die Aufsicht sogleich herbei, um mir mitzuteilen, er hätte noch einmal in den Parkregeln nachgeschlagen, ich bräuchte unbedingt eine Begleitung! Aber halt! Er hat im Regelwerk gelesen, während das Fahrgeschäft lief und er eigentlich hätte die Fahrt beaufsichtigen müssen? Diese Annahme wurde mir später auch bestätigt. Klarer Punktabzug für den Movie Park: Nicht nur wegen den Erfahrungen und wirklich unnötigen Diskussionen. Wenn ich öffentlich jemandem die Fahrt quasi verweigere, mich auf Regelungen zur Sicherheit beziehe, dann jedoch die Fahrt zum Teil nicht richtig beaufsichtige, spricht das nicht wirklich für die angeführte Sicherheit, egal für welche Fahrgastgruppe.

Ghost Chasers: Wilde Maus

Auch bei der wilden Maus kam es zu kurzen Diskussionen, die aber bei weitem nicht so „wild“ abliefen. Zwar wurde ich auch hier auf eine fehlende Begleitung hingewiesen, auf eventuelle Evakuierungen etc, ich führte jedoch an, dass man einem Kind auch die Fahrt gestatten würde und dies ohne Begleitung, bei einem blinden Erwachsenen es jedoch leider zu so unnötigen Diskussionen kommen muss. Die Aufsicht, nun sehr verunsichert, lenkte ein: Wenn ich mir sicher bin, ich schaffe das, „dann bitte!“ Also Stock und Rucksack der Aufsicht übergeben und nichts wie los! Am Ende der rasanten Fahrt stand die Aufsicht schon bereit und begleitete mich, ohne weitere Diskussionen, zum Ausgang.

Splat-O-Sphere: Großkarussell

Nach den actionreichen Fahrten und Diskussionen, wollte ich mir mal etwas ‚ruhigeres’ gönnen. Und ruhig wurde es in der Tat. Wie schon bei den Fahrten zu Beginn des Testlaufs, gab es auch bei diesem Fahrgeschäft keinerlei Probleme, weder beim Ein- und Ausstieg, noch beim Verlassen der Attraktion.

Mystery River: Rafting

Schnell und unkompliziert verlief auch diese Fahrt, bei der ich zunächst einmal durch den Ausgang reingeschleust und in eine Gondel gesetzt wurde. Stock und Rucksack konnte ich mitnehmen. Trotz erschwerter Ein- und Ausstiegsbedingungen durch die sich drehende Plattform, erhielt ich vom Personal sehr engagiert Hilfe.

Bandit: Holzachterbahn

Hier verhielt es sich beim Einstieg, wie bereits beim MP-Xpress geschildert. Da beim Einstieg niemand vom Personal zur Stelle war, orientierte ich mich zunächst an den Wartenden vor mir. Als ich dann vor der Schranke stand und diese sich nach Halt des Wagens öffnete, brauchte ich wieder nur geradeaus zu laufen und in den direkt vor mir wartenden Wagen einzusteigen. Rucksack und Stock wurden bei der Bügelkontrolle abgenommen und mir nach Fahrtende zurückgegeben. Die Aufsicht war mir auch am Schluss beim Verlassen dieser Attraktion behilflich.

 

Fazit: Herzlichen Glückwunsch!

Müssten wir unser Testergebnis bzw. die Zugänglichkeit des Movie Parks für blinde Achterbahnfans benoten, so hat es „nur“ für eine Zwei gereicht, was allerdings, bedenkt man die eigentlich zu beachtenden Vorgaben bei der Fahrgeschäftnutzung, ein mehr als nur gutes Testergebnis ist!

Mir war es, als blinder Parkbesucher ohne sehende Begleitung, möglich, alle von mir ausgewählten Fahrgeschäfte zu besuchen bzw. zu fahren. Auch wenn bei zwei Attraktionen (MP-Xpress und Bandit) niemand als „Einstiegshilfe“ zur Stelle war, werten wir dies nicht negativ. Denn wer es sich als Blinder zutraut, alleine einen Freizeitpark zu besuchen, sollte auch über gewisse Grundkenntnisse über z. B. Aufbau eines Achterbahnwaggons oder das Schließen der Bügel mitbringen, um, so wie es ja auch von einigen Parkbetreibern gewünscht und auch vorgeschrieben wird, eben auch mal selbstständig ein- und aussteigen zu können. Nur dass eben diese Parkbetreiber diese Selbstständigkeit immer im Zusammenhang mit einer Begleitung sehen – hierzu aber gleich noch mehr.

Lediglich bei zwei Attraktionen kam es zu Diskussionen mit dem dortigen Aufsichtspersonal. Uns ist natürlich bewusst, dass in diesem Fall die Aufsicht durchaus im Recht war, nichts desto trotz begrüßen wir sehr die Unkompliziertheit, mit der alle anderen Mitarbeiter mir gegenübertraten. So wie ich manchmal auch anderen Blinden sage, es ist keine Schande, Hilfe in Anspruch zu nehmen – eher im Gegenteil -, gilt es im umgekehrten Fall für Parkbetreiber: Selbstständigkeit ist nämlich nichts, was nur vom Besucher ausgehen sollte. Die Hilfsbereitschaft des Personals und auch die Bereitschaft, sich neuen Situationen und Herausforderungen zu stellen, tragen dazu bei, dass ein solcher Test wie der hiesige gelingen konnte und nicht, wie im Falle des Europa-Park-Tests, zu einem frustrierten, vorzeitigen Abbruch des Besuchs führen muss.

Es gibt derzeit keine konkreten Vorgaben Seitens des TÜVs, was die Sicherheitsbestimmungen eines Parkbesuchs bei blinden Menschen anbelangt. Dies zeigten uns deutlich die sehr unterschiedlich ausgefallenen Reaktionen im Vergangenen Jahr auf eine kurze Mailumfrage, ob es einem Blinden im jeweiligen Park möglich sei, ohne Begleitung die Attraktionen zu nutzen. Wir würden es daher sehr begrüßen, wenn der Movie Park nach diesem guten Testergebnis sein Sicherheitskonzept bezüglich blinder Parkbesucher noch einmal überdenken und überarbeiten würde.

Vor allem ist es uns sehr wichtig, dass die Mitarbeiter, die mir einen uneingeschränkten Zugang zum jeweiligen Fahrgeschäft gewährten, mit keinen negativen Konsequenzen zu rechnen brauchen! Denn genau diese Mitarbeiter haben mit der Nichtbeachtung ihrer Vorgaben für mich maßgebend zu einem Erlebnis, welches mir sonst in dieser Form verwehrt geblieben wäre, beigetragen. Nicht zu letzt haben sie dadurch auch ihrem Arbeitgeber zu dieser formellen guten Note verholfen, denn sie haben Courage bewiesen. dies ist sehr löblich und nichts, das es – aus Sicht des Betreibers – zu „bestrafen“ gälte!


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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