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Zu Gast unter Wölfen: Blind in der Volkswagen-Arena – Ein Erfahrungsbericht

Sich Blind ins Getummel zu stürzen kann, egal ob auf Weihnachtsmarkt, Kirmes, Konzerten oder ähnlichen Veranstaltungen, manchmal doch eine wahre Herausforderung sein. Selbst sehenden Menschen ist das Gewusel und das Gedränge oftmals schon zu viel des Guten; gerade jetzt nach den diversen Corona-Lockdowns und -Beschränkungen, fühlt sich für viele der Besuch von vollen Restaurants, Konzerten oder Fußballstadien immernoch „falsch“ an.

Seit einigen Wochen sind Fans bei Fußballspielen wieder zugelassen! Zwar dürfen die Vereine, je nach geltenden Bestimmungen, ihre Stadien noch nicht vollauslasten, aber einem Besuch eines Spiels der Lieblingsmannschaft steht nichts mehr im Wege!

Und so führte mich mein Weg am vergangenen Samstag (02.10.21) in die Volkswagen-Arena, um mir – gemeinsam mit 12.844 Heim- und Gästefans – das Spiel gegen Borussia Mönchen-Gladbach anzuschauen.

Ich wollte außerdem herausfinden, ob es mir, als blinden Stadionbesucher ohne sehende Begleitung, möglich ist, das Wolfsburger Stadion ohne Probleme oder Einschränkungen zu besuchen? Wie hilfsbereit sind Fans oder Personal?

Der Besuch beim vFL Wolfsburg war jedoch nicht mein erster Stadiontest dieser Art. Bereits positive Erfahrungen konnte ich bei einem Besuch im Hamburger Volksparkstadion machen.

Ich stehe, bekleidet mit einem VFL-Trikot, einem Schal sowie einer Cap, vor dem Eingang der Volkswagen-Arena

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Als Blinder auf der Düsseldorfer Rheinkirmes 2019 – Der Testbericht

Sommerzeit ist vielerorts gleichzeitig auch Kirmeszeit. Gerade im Juli und August finden deutschlandweit viele kleine und große Volks- sowie Schützenfeste statt. Eines der Kirmes-Highlights dürfte auch dieses Jahr wieder unumstritten die Rheinkirmes in Düsseldorf sein, die gerne auch als „Größte Kirmes am Rhein“ bezeichnet wird.

Bereits 2017 konnte ich die Rheinkirmes für Parkerlebnis.de bei einem elf Fahrgeschäfte umfassenden Besuch ausführlich testen; rund zwei Jahre später stand nun ein Folgetest auf dem Programm. Gleich am ersten Kirmes-Wochenende stattete ich der „Größten Kirmes am Rhein“ einen erneuten Besuch ab – diesmal begleitet von Alexander Louis, einem Kollegen bei Parkerlebnis.de, der das ganze Geschehen inkognito im Hintergrund beobachten wollte.

Rheinkirmes 2019 von oben | Bild Copyright Alexander Louis, Parkerlebnis.de

Wir hatten uns vorweg darauf verständigt, dass er – soweit es eben ging – sich aus dem Geschehen heraushalten und nicht eingreifen sollte, selbst wenn ich in einer Situation vielleicht Hilfe benötige. Denn nur so kann ein solcher Testbesuch all seine positiven als auch negativen Facetten aufzeigen. Eines sei zudem auch gleich vorab verraten: Auch wenn alle Testfahrten zustande kamen, verließen wir den Festplatz am Ende mit gemischten Gefühlen.

Der Schwerpunkt bei dem ausführlichen Kirmestest lag in diesem Jahr nicht nur auf den rasantesten und adrenalingeladensten Attraktionen. Ich habe mich diesmal nämlich bemüht, sowohl familiengerechte als auch schnellere Karussells mit in meinen Test einzubeziehen.

Der Break Dancer des Schaustellers Bruch auf der Rheinkirmes 2019 | Bild Copyright Alexander Louis, Parkerlebnis.de

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Blind auf dem Hamburger Frühlingsdom 2019 – Ein Testbericht

Frühlingszeit. Das bedeutet für viele auch der Startschuss zur Freizeitpark- und Kirmessaison – so auch seit vielen Jahren in Hamburg, wo von Ende März bis Ende April der Frühlingsdom seine Pforten öffnet und ein attraktives Programm für junge und junggebliebene Kirmesbesucher bietet.

Dass man es als blinder Karussell- und Achterbahnfan, was die Hilfsbereitschaft und Nutzbarkeit (vor allem auch ohne anwesende, sehende Begleitung) auf Deutschen Kirmesplätzen scheinbar einfacher hat, die Angebote ohne Einschränkungen zu nutzen, konnte ich für meine für Parkerlebnis durchgeführten Testbesuche regelmäßig unter Beweis stellen. Der Frühlingsdom 2019 war, mehr noch als frühere Domveranstaltungen, auf Familien als Zielgruppe ausgerichtet – dies bedeutete weniger Überkopf- und adrenalingeladene Fahrgeschäfte und Achterbahnen als zuvor. Zudem feierte die „Geisterfabrik“, eine interaktive Geisterbahn, ihre lang angekündigte Premiere. Ein Grund, bei einem sehr ausführlichen Domtest, die Nutzbarkeit von Attraktionen verschiedenster Art wieder einmal unter die Lupe zu nehmen.

Getestet wurde an insgesamt zwei Tagen; ich war, wie auch schon bei unseren früheren Testbesuchen, zumeist ohne sehende Begleitung auf dem Gelände unterwegs.

Ich sitze in einer Gondel des Dom Dancers (Bild Copyright Parkerlebnis.de)

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Gedanken-Gänge XXX – Inklusion? Aber nur, soweit die Nichtbehinderten es zulassen!

Inklusion – für viele gehört sie inzwischen zu einem der wichtigsten Güter in unserer modernen Sozialgesellschaft, für andere wiederum ist sie wie ein belastender Klotz am Bein. Diese „Belastung“ bekommt man indirekt vor allem dann zu spüren, wenn man sich die zahlreichen Negativmeldungen von überforderten Lehrern und dergleichen anschaut.

Böse Zungen sagen, dass Inklusion nur dann akzeptabel und umsetzbar ist, wenn sie dem Nichtbetroffenen nichts kostet, weder Aufwand, Nerven, Umdenken oder Geld: Bloß nichts verändern oder anders machen, schon gar nicht, wenns was kostet!

Wie ich in einem früheren Beitrag bereits schrieb, kann Inklusion teilweise auch gar nicht funktionieren, so lange wir Behinderung immer nur als solche, also als eine Einschränkung, betrachten. Denn in der Diskussion schwingt bei Nichtbetroffenen immer der unterschwellige Wunsch mit, dass es irgendwann einmal der Medizin möglich sein sollte, Behinderungen gar nicht erst auftreten zu lassen oder sie später dann zu beseitigen. Bis dahin mögen wir uns bitteschön weiterhin unterbuttern lassen.

Gerade im vergangenen Jahr sorgte ein Vorfall hier in Hamburg, zumindest kurzzeitig, mal für ein wenig Wirbel im Inklusionswasserglas. Der Fall hat sich inzwischen, wenn auch nur annähernd, geklärt, ist aber ein perfektes Paradebeispiel dafür, wie Menschen heute über Teilhabe denken.

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Zwölf Tage blind durch den Balkan: Ein Reisebericht aus Belgrad, Sarajevo und Zagreb

Frühlingszeit ist für viele Menschen zugleich auch Reisezeit – so auch wieder für mich! Nach kürzeren Trips nach London, Paris, Dresden oder Düsseldorf, jeweils immer in Begleitung, stand mir dieses Mal wieder der Sinn nach Abenteuer!

Zwar ist das Reisen in Begleitung von Freunden oder Partner auch immer ein besonders schönes Erlebnis, da man das Erlebte quasi sofort mit anderen teilt, aber wer mich kennt bzw. meine bisherigen Reiseberichte gelesen hat, der weiß, dass ich sehr häufig nie den einfachsten Reiseweg wähle. Mich reizt das Abenteuer, die Reise (in gewisser Weise) ins Ungewisse, der Kontakt mit anderen Menschen vor Ort. Gerade letzteres entfällt sehr oft, da man – gewollt oder ungewollt – sich eher mit den Leuten unterhält, mit denen man unterwegs ist und nicht das Gespräch mit z. B. Einheimischen sucht.

Ein weiteres Faible sind Groß- bzw. Hauptstädte. Denn wo viele Erholung und Entspannung im Urlaub suchen, suche ich Trubel und das pure Großstadtabenteuer.

Die Wahl fiel mir dieses Mal schwerer. Fest stand aber von Anfang an, dass es nach meinem zehntägigen Mammut-Trip durch Skandinavien vor vier Jahren wieder eine Rundreise durch verschiedene Städte sein soll. In die engere Auswahl kamen zwei mögliche Routen: Baltikum (Riga, Vilnius, Tallinn) oder Balkan-Route (Belgrad, Zagreb, Sarajevo). Da ich die Reise mit Flugzeug vermeiden wollte (irgendwie fliegt man ja immer), ich jedoch bei meinen Recherchen feststellen musste, dass hierfür die Baltikum-Route weniger geeignet ist, entschied ich mich, Ende April diesen Jahres den Südosten Europas zu bereisen: Belgrad, Sarajevo, Zagreb und Ljubljana – alles mit Bus oder Bahn!

Während meiner Reise entstanden nicht nur Reiseberichte in schriftlicher Form. Die Galerien zu den jeweiligen Städten mit insgesamt ca. 800 Bildern findet Ihr unter den folgenden Links: Budapest | Belgrad | Sarajevo | Zagreb | Ljubljana

Aber auch rund 400 Minuten Videomaterial bieten einen kleinen Eindruck von meinen Erlebnissen und geben einen Überblick über die besuchten Orte; meinen Reise-Videoblog findet Ihr in gebündelter Form hier, ausgewählte Videos sowie einige aufgenommene Sounds, sind unter den jeweiligen Tagesartikeln zu finden.

Exkurs: Reisen, als blinder… und dann noch allein?

Sehr häufig werde ich im Zusammenhang mit meinen Reiseunternehmungen gefragt, inwieweit ich solch ein Reiseabenteuer im Voraus plane? Meine Antwort: So gut, wie überhaupt nicht! Natürlich informiere ich mich vorab über meine geplanten Ziele (z. B. über die Reisewikis von Wikitravel oder Wikivoyage), ein richtiges Durchplanen der einzelnen Tage findet jedoch nicht statt. Lieber informiere ich mich jeweils vor Ort und lasse mich durch Empfehlungen oder einen geführten Stadtrundgang am ersten Tag für weitere Aktivitäten inspirieren. Zur Orientierung vor Ort dient mir weder Navi oder eine andere Smartphone-App, da ich für mich persönlich die Erfahrung machen musste, dass Infos von Passanten meist aussagekräftiger und „besser“ waren, als die ihrer elektronischen, digitalen Pendants.

Ich überlasse somit vieles dem Zufall, was das Reisen für mich aber auch interessanter und unvorhersehbarer macht. Die Sicherheit, die viele – vor allem auch blinde Reisende – suchen und brauchen, empfinde ich teilweise (je nach Art und Grund der Reise) eher als störend – oder sagen wir lieber: unnötig.

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Gedanken-Gänge XXIII – Behinderung ist ein Manko oder: Warum Inklusion in Deutschland vielleicht nicht funktioniert

Über das Thema ‚Leben mit Behinderung’ wurde – sowohl in meinem, als auch in anderen Blogs – in den letzten Jahren viel geschrieben. Hinzugekommen ist seit geraumer Zeit auch das Themenspektrum der sog. „Inklusion“. Für viele ist dieses Wort bereits zum Unwort verkommen, da Inklusion in vieler Munde ist, vielerorts diskutiert wird und am Ende – so die Einschätzung vieler – eh wieder nichts dabei herauskommt. Und es gibt, so zumindest mein persönlicher Eindruck, auch gute Gründe, die diese Vermutung untermauern.

Inklusion wird scheinbar hierzulande meist im Zusammenhang mit Bildung gesehen. Hörte man in der Vergangenheit – beispielsweise im hinter uns liegenden Bundestagswahlkampf – etwas über Inklusion, so ging es meist um das Thema der Beschulung von Menschen mit Behinderung. Doch ist Inklusion nicht eigentlich viel viel mehr, als nur die Frage, wer wann wie und wo beschult werden sollte?

Inklusion bedeutet auch gleichberechtigte Teilhabe, nicht nur an Bildungsangeboten! Doch hiervon sind wir in Deutschland streckenweise noch meilenweit entfernt. Warum dies so ist, lässt sich nur erahnen.

Ein Grund könnte sein, dass Behinderung – sowohl von selbst Betroffenen als auch nichtbehinderten Menschen – immer noch als Manko gesehen wird. Wir sehen immer noch das, was wir nicht können, anstatt die Chancen und Möglichkeiten zu erkennen, die wir – trotz Behinderung – heutzutage haben und die andere ebenfalls haben können. Behindert ist für viele ein Schimpfwort. Auch wenn ich zu Beginn meiner Bloggertätigkeit das Wort vermieden habe, habe auch ich als selbst blinder Mensch inzwischen für mich gelernt, dieses Wort zu akzeptieren und auch zu nutzen. Ob wir jedoch „schwer“- oder „schwerst“-behindert sind, lassen wir mal ganz außenvor.

Die eigene oder die Behinderung anderer Menschen zu akzeptieren, scheint für viele auch heute noch ein großes Problem darzustellen. Behinderung ist ein Makel, ohne welches es sich besser (oder einfacher?) leben ließe. Das „Einfacher“ wird jedoch meist durch die nichtbehinderten Mitmenschen festgelegt und definiert. In ihrer Deutschen Fürsorglichkeit versuchen sie uns oft, Sicherheit zu vermitteln und beschützend uns vor dieser oder jener „Gefahr“ zu bewahren. Sie meinen entscheiden zu können, was wir brauchen und wollen – ein alter Hut, den ich in zahlreichen, älteren Artikeln bereits behandelt habe.

Jüngst der Fall eines Braunschweiger Arztes erregte meine Aufmerksamkeit und war mit der Auslöser für diesen Artikel. Eine Mutter entschied sich, bei ihrem gehörlosen neugeborenen Kind eben kein sog. CI-Implantat einsetzen zu lassen, durch das es hätte (bedingt) hören können – eigentlich ihr gutes und (aus meiner Sicht) verständliches Recht. Dieser Fall wird nun vor Gericht ausgetragen, da sowohl der HNO-Arzt der Braunschweiger Klinik als wohl auch das Jugendamt anderer Auffassung waren. Doch warum diskutieren wir hier überhaupt über so etwas? War die Aufklärungsarbeit von Behindertenverbänden in den letzten Jahrzehnten so sinnlos und für umsonst gewesen, das immer noch derartige Ansichten bzgl. Einer angeborenen Behinderung vorherrschen? Sind wir vielleicht im öffentlichen Leben noch nicht präsent genug, dass Behinderung – wie Segelohren, eine krumme Nase, ein wenig Hüftgold oder ein anderes, banales Etwas – als etwas gilt, dass es „abzustellen“ oder zu „beseitigen“ ist.

Es ist schön, wenn Forscher einen Weg finden, gehörlose wieder bedingt hörend zu machen, es Versuche gibt, Sehnerven gentechnisch zu erzeugen, es Prothesen für Hände, Beine, Hüfte etc. gibt, welche dem Träger das Leben erleichtern könnten – dies steht ganz außer Frage. Die eher ethische Frage ist jedoch, was machen derartige Möglichkeiten mit uns und unserem Denken über Behinderung?! Denn die Möglichkeit einer Möglichkeit ist doch für viele sicherlich schon Grund genug, Behinderung weiterhin als Manko zu sehen – es gäbe ja eine Alternative. Was wird eben aus den Leuten, die eben nicht bei jeder noch so kleinen Chance, ihre Behinderung ad acta zu legen, laut „hier!“ schreien werden? Warum? Weil sie sich, ihre Behinderung und ihr Leben so akzeptieren. Es ist keine hinnehmende Akzeptanz („Ich kann doch eh nichts an meinem Schicksal ändern…“), sondern eine erfüllende Akzeptanz, weil derjenige sein Leben aus seiner Sicht uneingeschränkt leben und auch genießen würde und nicht ewig in Selbstmitleid und Lethargie versinkt. Dieses ewige „Du könntest doch, warum tust du nicht?!“ bringt uns in unserer Diskussion um mehr Teilhabe und Inklusion überhaupt nicht weiter. Im Gegenteil! Es ist ermüdend, sich und sein Handikap immer und ewig erklären zu müssen. Wenn wir uns akzeptiert haben und mit unserer Behinderung im Reinen sind, ist Mitleid – in welcher Form auch immer – das Letzte, das wir brauchen.

Denn genau darum ist es – nach meinem Empfinden – hier in Deutschland ja so schwer, Inklusion wirklich zu (er)leben! Weil wir das Übel nicht an der Wurzel packen und uns lieber hinter Bildung und baulicher Barrierefreiheit verstecken. Inklusion und Barrierefreiheit fangen jedoch im Kopf eines jeden von uns an. Wenn wir immer nach Lösungen forschen, wie man Behinderungen beseitigen könnte, werden wir nie Behinderungen als solche zu akzeptieren und mit ihnen umzugehen lernen.

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Als Blinder im HSV-Stadion – ein kleiner Erfahrungsbericht

Sich Blind ins Getummel zu stürzen ist, egal ob auf Weihnachtsmarkt, Kirmes, Konzerten oder ähnlichen Veranstaltungen, manchmal eine wahre Herausforderung. Selbst Sehenden ist das Gewusel und das Gedränge oftmals schon zu viel des Guten.

Besonders mag dies auch für Fußballstadien gelten, denn zichtausende Besucher tummeln sich an einem Spieltag auf den diversen Rängen und Tribünen.

Nichts desto trotz wollte ich wissen, ob ein Stadionbesuch als blinder Besucher (ohne sehende Begleitung) machbar ist: Inwieweit wird einem blinden Gast Seitens des Ordnungs- und Securitypersonals geholfen? Wie hilfsbereit sind andere Fußballfans? Wie gestaltet sich die Anreise zum Stadion? Diesen Fragen sind wir, Björn Peters (selber blind) und ich, am vergangenen Sonntag – beim Spiel HSV gegen Hannover 96 – auf dem Grund gegangen!

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Freizeitparknutzung durch blinde Menschen oder: Wie gerechtfertigt sind Nutzungsbeschränkungen und Fahrtverbote?

Einleitung

Blind seinen Alltag zu meistern und auch außerhalb des häuslichen, geschützten Bereichs Freizeitbeschäftigungen nachzugehen, scheint für viele sehende Menschen teilweise schier unmachbar zu sein. Ob nun aus Gründen der eigenen Unterschätzung („Was wäre, wenn ich jetzt auf einmal erblinden würde?“) oder aus Gründen der Fürsorglichkeit, viele sehende Menschen können sich nur schwer in die Lage eines autonom handelnden, mobilen Blinden hineinversetzen.

Doch viele sehende Menschen, dies zeigten zahlreiche Diskussionen und Kommentare zu meinen für Parkerlebnis durchgeführten Freizeitpark-Tests, wollen sich scheinbar auch gar nicht in die Situation des Blinden hineinversetzen. Sie pochen auf ihre Einstellung, dass der Sehende besser wisse, was dem Blinden zuzutrauen sei und die dadurch entstehenden Teilnahmeverbote Seitens Betreiber doch nur all zu begründet wären.

„Im Gegensatz zu Diskriminierungen aufgrund anderer Merkmale im Sinne des AGG (ethnische Herkunft, Glauben, Geschlecht oder sexueller Orientierung etc.) treffen Menschen mit Behinderungen bei Ihrer Freizeitgestaltung oder auch im Alltag oftmals nicht auf Benachteiligungen aus Motiven der inneren Ablehnung, sondern auf solche, die zwar ebenfalls aufgrund von Vorurteilen, aber eher einer eigentlich positiv gemeinten überbordenden Fürsorge entspringen. Das Resultat ist jedoch das Gleiche, denn Menschen mit Behinderungen werden daran gehindert, für andere Menschen selbstverständlich zugängliche Angebote in Anspruch zu nehmen. Sei es die verbotene Achterbahnfahrt für einen blinden Menschen, der mit seinen Kindern einen Freizeitpark besucht, sei es der verwehrte Zutritt zum Restaurant im Fernsehturm oder auch nur der Hinweis vor einer Busfahrt, einem Hallenbadbesuch oder der geplanten regelmäßigen Nutzung eines Fitnessstudios, dass aufgrund des im Schwerbehindertenausweis eingetragenen Rechtes auf die Inanspruchnahme einer Begleitperson (Merkzeichen „B“) eine solche auch mitzubringen oder andernfalls eine Nutzung des jeweiligen Angebotes „leider“ nicht möglich sei. Gemeinsam ist diesen Praxisbeispielen von Freizeit- oder Alltagsdiskriminierungen, dass vermeintliche Experten für bestimmte Lebensbereiche besondere Gefahren im Falle der Nutzung durch behinderte Menschen vermuten, die sie aus versicherungstechnischen oder fürsorglichen Gründen durch ein Benutzungsverbot für diesen Personenkreis vermeiden wollen.“

(Richter 2017a)

Widmet man sich ein wenig intensiver dem Bereich der Freizeitparks und betrachtet einmal die Sicherheitsbestimmungen, welche zumeist auf den Parkhomepages (z. B. beim Hansa-Park, beim Phantasialand oder auch beim Europa-Park) nachzulesen sind, ergibt sich nicht nur ein verzerrtes Bild dessen, was blinden Besuchern zuzutrauen ist, sondern auch der Rolle, die ein möglicher, sehender Begleiter hier einnehmen soll. Der sehende Begleiter gilt für viele Parkbetreiber als Grundvoraussetzung für die (Be-)Nutzung ihrer Attraktionen. Als Gründe werden eventuelle Evakuierungen angeführt, bei denen es dem Fahrgast möglich sein muss, sich aus eigener Kraft zu befreien bzw. die Anlagen aus eigener Kraft, ohne Zuhilfenahme anderer, zu verlassen. Das eine Zuhilfenahme auch durch andere Besucher erfolgen kann, wird grundsätzlich ausgeschlossen. Einige Parks gehen sogar so weit, den Begleiter einem Betreuer gleichzustellen, was allein schon aus rechtlicher Perspektive höchst fragwürdig erscheint (vgl. hierzu die Testberichte zum Hansa-Park oder unserem Phantasialand-Besuch).

Ein ähnliches Bild findet sich auch bei der Nutzung von Schwimmbädern durch blinde Menschen scheinbar wieder. Auch hier wird häufig eine Begleitung vorausgesetzt.

Doch welche Rolle kann bzw. sollte eine Begleitperson tatsächlich einnehmen? Kann und darf vor allem eine Begleitperson im Sinne eines Freundes oder Partners bei einem Personenschaden haftbar gemacht werden, so er nicht grobfahrlässig herbeigeführt wurde? Ist somit die Grundbedingung einer Begleitung, beispielsweise für die Mitfahrt in einer Achterbahn, überhaupt tragbar?

Diesen Grundsatzfragen möchte ich in diesem Essay versuchen auf dem Grund zu gehen. Es hat in der Vergangenheit bereits erste Beobachtungen und Überlegungen bzgl. Der Nutzungsthematik in Freizeitparks gegeben, welche an passender Stelle auch angeführt und zitiert werden sollen.

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Freizeitparks: Blinde müssen draußen bleiben | Aus: Stuttgarter Nachrichten Online

Der folgende Artikel, in dem ich bzw. meine Artikel und Kommentare teilweise zitiert werden, erschien am 21.09.2016 bei den Stuttgarter Nachrichten. Diese zugängliche Textversion ist ohne Bilder und lästige Werbeanzeigen, welche das flüssige Lesen mit Screenreadern auf der Homepage der Zeitung leider stark beeinträchtigen.

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Gedanken-Gänge XVIII: Über ein Wahrnehmungs-Debakel oder: Heißt sehen wirklich verstehen?

In einer Episode der Kult-Fernsehserie „Knight Rider“ hörte ich letztens einen Satz, der mich dazu veranlasste, diesen kleinen Beitrag zu verfassen:

„Sehen heißt doch noch lange nicht wissen, oder alles verstehen“ (Julie Robinson in: Knight Rider 2×05 ‚Blindes Vertrauen‘, USA, 1982)

Auch wenn diese Serie aus einer Zeit stammt, in der Inklusions- und Integrationsbemühungen vieler Orts noch in den Kinderschuhen steckten, so habe ich manchmal den Eindruck, dass sich auch heute, im Jahr 2017, an dieser zutreffenden Aussage bei vielen, sehenden Menschen nichts geändert zu haben scheint.