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Annakirmes Düren: Auch hier freie Fahrt für blinde Kirmesfans? Ein Testbericht

Wer gerne Karussell und Achterbahn fährt, der hat es, zumindest in manch deutschem Freizeitpark, nicht immer einfach. Egal ob nun mit oder ohne sehende Begleitung, in einigen Parks wird dem Fahrgenuss blinder Menschen ein Riegel vorgeschoben. „Schuld“ sind die Sicherheitsbestimmungen und vermeintlichen TÜV-Vorgaben, die oftmals eine Mitfahrt eines Blinden einschränken oder völlig untersagen.

Anders scheint es sich bei Kirmesattraktionen zu verhalten. Egal ob Hochfahrgeschäft oder Achterbahn, hier macht es den Eindruck, als gehe man mit dieser Problematik anders, nämlich offener und lockerer, um – dies zeigten unsere bisherigen Tests desHamburger Doms oder des Münchner Oktoberfestes. Natürlich steigt und fällt eine solche Kirmes mit den Schaustellern, die für ihr Fahrgeschäft im Einzelnen entscheiden, wer mit darf und wer nicht. Jedoch ist nicht jeder Schausteller in allen Teilen unseres Landes mit seinen Geschäften unterwegs, so dass sich die Testung weiterer Jahrmärkte definitiv lohnt.

Deshalb testete ich für Parkerlebnis.de die Annakirmes in Düren, welche in diesem Jahr vom 31. Juli bis zum 7. August stattfand. Düren ist zwar keine Großstadt, jedoch ist die Beschickung der Annakirmes trotzdem meist ein Garant für Adrenalin und Fahrspaß. Zumal in diesem Jahr gleich beide großen Kirmesneuheiten dort vertreten waren, weshalb sich ein Test auf jeden Fall anbot.

Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln

Es gibt mehrere Möglichkeiten, zum Festplatz zu gelangen. Entweder von Bahnhof aus mit dem Bus 286 bis Haltestelle Rurbrücke beziehungsweise mit anderen Buslinien per Umstieg am Kaiserplatz oder mit der Ruhrtalbahn, welche zur Kirmeszeit im Halbstundentakt verkehrt und quasi direkt am Festgelände hält. Alternativ ist es auch möglich, vom Kaiserplatz aus zu laufen, von hier aus sind es (laut Anwohnern) ca. 10 bis 15 Gehminuten bis zur Kirmes.

Orientierung

Der Festplatz ist recht simpel aufgebaut, was eine Orientierung ohne sehende Begleitung erleichtert, da auf dem Hauptweg alle Attraktionen dicht beieinander aufgebaut sind. Der Hauptweg verläuft kreisförmig, man sollte jedoch darauf achten, dass man keinen Abzweig erwischt, der einem wieder zu einem der Ausgänge führt. Am besten ist es, sich immer an den Buden und vor allem den Fahrgeschäften (und deren Musik) zu orientieren. Bei meinem Besuch war, Uhrzeit und Wetter bedingt, nicht ganz so viel los, weshalb ich auch zügig voran kam, jedoch es manchmal auch schwieriger war, auf Anhieb einen anderen Kirmesbesucher zu finden, den ich ansprechen und um Hilfe bitten konnte. Zur späteren Stunde dürfte sich dieses kleine Problem jedoch erübrigen.

Die einzelnen Fahrgeschäfte im Test

Avenger (Inversion), Holzem:
Gleich hoch hinaus ging es mit dem ersten Fahrgeschäft, dessen ähnliche Variante ich bereits auf dem Oktoberfest erfolgreich getestet hatte. Aber da jeder Mensch anders mit dem Thema Blindheit umgeht, war ich auf diese Fahrt gespannt – und ich wurde nicht enttäuscht! Mir wurde bereitwillig auf die Plattform und zu einem freien Platz geholfen. Meine Sachen wurden am Rand deponiert und mir nach Fahrtende zurückgegeben. Vielen Dank an dieser Stelle auch für die Gratisfahrt. Ich war der einzige Fahrgast zu der Zeit, was vermutlich auch der Grund hierfür gewesen war. Und so genoss ich als Auftakt eine recht ruhige Fahrt, ohne Gekreische und Schreie und wurde in 24 Metern Flughöhe bereits auf das vorbereitet, was im späteren Verlauf meines Testbesuchs noch folgen sollte.
Flipper (Flipper), Meeß:
Bereits aus Hamburg kannte ich dieses Fahrgeschäft, war es jedoch noch nicht ohne Begleitung gefahren. Kaum hatte ich meinen Fahrchip an der Kasse gelöst, stand auch schon jemand parat, um mich auf die Plattform zu einer freien Gondel zu führen. Dass ich am Ende der Fahrt auch genau so zuverlässig und schnell wieder aus dem Fahrgeschäft herausgeführt wurde, versteht sich dann wohl von selbst.
The Real Shake (Shake R4), Blum:
Bei diesem Fahrgeschäft gab es zwar keinerlei Diskussionen bzgl. Einer Mitfahrt, jedoch tat sich das Personal bei den Hilfestellungen etwas schwerer. Das Personal war mir auch hier zwar behilflich , es gab jedoch anfangs ein paar Startschwierigkeiten. Mir wurde von einem Kirmesbesucher der grobe Weg zum Kassenhäuschen gezeigt, als ich jedoch davor stand, reagierte der Mann hinter der Kasse sehr irritiert, sodass ich zunächst vorbei gelaufen bin. Als ich dann den Fahrchip in den Händen hielt und auf dem Weg auf die Plattform war, wurde ich auch von der Aufsicht etwas perplex angestarrt. Erst ein Wink und ein Kommentar des Rekommandeurs sorgte dafür, dass mir in eine freie Gondel geholfen wurde. Somit kam am Ende doch noch eine angenehme und rasante Testfahrt zustande kam.
Drifting Coaster (Swinging Coaster), Ahrend:
Die erste der beiden großen Kirmesneuheiten 2016 stand nun auf dem Programm, Ahrends lang angekündigter Drifting Coaster – eine Familienachterbahn, bei der die Wagen in den Kurven zur Seite ausschwenken. Ich war hier nicht nur auf die Reaktion und Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter gespannt, sondern auch auf das Fahrgefühl. Die Mitarbeiter halfen mir auch hier bereitwillig, einen freien Platz zu finden beziehungsweise holten mich nach Fahrtende wieder ab. Das Fahrgefühl allerdings war unspektakulärer, als anfangs gedacht. Zwar schwingen die Wagen in den Kurven zur Seite aus, der Effekt macht sich jedoch (rein vom Fahrgefühl her) nicht in besonderem Maße bemerkbar. Vielleicht verhält es sich jedoch anders, wenn man als Sehender während der Fahrt die Augen offen hat? Einen kleinen Eindruck vermittelt das entstandene OnRide-Video.
Infinity (Inversion XXL), Hoefnagels & Söhne:
Auf zum nächsten Höhenflug ging es mit der zweiten Kirmesneuheit in diesem Jahr. Mit einer Flughöhe von 65 Metern Höhe, wo sich bei dieser XXL-Schaukel auch der Überschlagpunkt befindet, ist Infinity derzeit das höchste transportable Looping-Fahrgeschäft. An der Kasse fragte ich auch hier, ob mir jemand behilflich sein könnte. Die saloppe Antwort war: „Wie viele Jungens brauchst du, einen, zwei, drei?“ Also schien man auch hier locker und unkompliziert mit dem Thema Blindheit umzugehen, was jedoch auch an der Herkunft des Schaustellers liegen mag, denn Infinity wird von einer Deutsch-Holländischen Schaustellerfamilie betrieben. Und wie ich bei meinem letztjährigen Efteling-Besuch bereits feststellen durfte, scheint man in Holland generell etwas offener und aufgeschlossener mit Handikaps umzugehen. Und so versteht es sich von selbst, dass ich auch hier binnen weniger Augenblicke zu einem freien Platz geführt wurde. Die Fahrt war lohnenswert. Mit einer Geschwindigkeit von 125 Kilometern pro Stunde rast man förmlich gen Himmel. Man schaukelt sich immer und immer höher, bis bei 65 Metern der Überschlagpunkt erreicht ist, danach pendelt sich das Fahrgeschäft langsam aus. Gerüchten zufolge wurde dem Schausteller vom TÜV untersagt, mehrere Überschläge zu machen, weshalb die Fahrt am Ende wohl doch schneller endet, als man denkt. Nichtsdestotrotz, wer Fahrgeschäfte à la XXL-Schaukel, Flip Fly oder Avenger liebt und nicht unter Höhenangst leidet, sollte Infinity unbedingt einmal ausprobiert haben.

Parkour (Absoluter), Aigner:
Eine Nachtestung stand an, denn Aigners Parkour hatte ich letztes Jahr in München bereits erfolgreich getestet. Da die Erfahrung jedoch zeigt, dass sich eine Nachtestung lohnen kann, da oftmals die Saison über auch das Personal wechselt, war ich auf diese Testfahrt sehr gespannt. Ich wurde nicht enttäuscht. Auch bei der Parkour-Nachtestung waren Kassenpersonal sowie Aufsicht wieder beim Auffinden einer freien Gondel sowie beim Verlassen des Fahrgeschäfts behilflich; so, wie man es sich als blinder Fahrgast eben wünscht.

Predator (Top Star Tour), Kaiser:
Als letzte Testfahrt hatte ich mir ein weiteres Überschlagfahrgeschäft ausgesucht. Während ich den Chip löste und mich jemand vom Personal nach oben führte, machte der Rekommandeur munter seine Späße – was das denn so lange dauern würde etc.pp. Mich störte das nicht, denn jeder sollte eigentlich wissen, dass die Kommentare nie wirklich zu ernst genommen werden sollten. Und so endete auch diese Testfahrt sehr erfolgreich.

Leider konnten aufgrund des unbeständigen Wetters und eines etwas länger andauernden Regenschauers die Fahrgeschäfte „Rio Rapidos“ (Kaiser), „Booster Maxx Mega G4“ (Hoefnagels-Denies) sowie „Skyfall“ (Goetzke) nicht getestet werden. Einen Kommentar zu „Skyfall“ ist jedoch in unserem Testbericht zum 2015er Sommerdom zu finden.

Fazit

Auch die Fahrgeschäfte der Annakirmes Düren 2016 ermöglichten einem blinden Besucher uneingeschränkten Zugang. Hervorzuheben ist bei den sieben getesteten Attraktionen die Hilfsbereitschaft und das lösungsorientierte Handeln, welches – so hat es nach den bisherigen Tests den Eindruck – den Umgang mit blinden Gästen durch die einzelnen Betreiber auszeichnet. Egal ob Ersttest oder Nachtestung, alle gefahrenen Attraktionen konnten ohne jegliche Probleme von mir genutzt werden. Dieses couragierte Verhalten ist wirklich vorbildlich. Daher sagen wir auch hier wieder „Herzlichen Glückwunsch“ an alle Getesteten für dieses sehr gute Testergebnis!

Nach dem inzwischen vierten Kirmestest (1x Oktoberfest, 2x Hamburger Dom, 1x Annakirmes) stellt sich mir als Tester wieder einmal die Frage, warum hier eine Mitfahrt uneingeschränkt möglich war, selbst bei solch Fahrattraktionen wie „Infinity“, ich in Freizeitparks jedoch regelmäßig auf vermeintliche TÜV-Hürden und unverständliche Sicherheitsvorkehrungen stoße. Genießen Kirmesfahrgeschäfte eine lockere Abnahme und Prüfung durch die zuständigen Aufsichtsbehörden, reglementieren Freizeitparkbetreiber vielleicht mehr, als es nötig ist oder zählt am Ende für den Schausteller auf einer Kirmes wirklich nur der eingenommene Euro? Fragen, die es unbedingt in zukünftigen Tests oder in einem gesonderten Artikel zu klären gilt!


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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