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Thorpe Park in England als Blinder alleine besuchen? Ein Erfahrungsbericht

Freizeitparks blind zu erleben und zu nutzen ist hierzulande nicht immer von Erfolg gekrönt. Es gibt derzeit (noch) keine einheitliche Regelung, ob blinde Parkbesucher eine Begleitung benötigen, ob sie auch ohne Begleitung fahren dürfen oder, ob ihnen sogar eine Mitfahrt verwehrt ist.

Schaut man einmal über den Tellerrand hinaus, so konnten wir bei unseren bisherigen Tests ausländischer Parks feststellen, dass das Thema Hilfsbereitschaft, lösungsorientiertes Handeln und der Umgang mit Menschen mit Handikap allgemein einen ganz anderen Stellenwert zu genießen scheinen. Zwar können die getesteten Parks nicht für alle Freizeitparks des jeweiligen Landes sprechen, sie gehen in jedem Fall aber mit gutem, teils bewundernswertem Beispiel voran.

Als weiterer Park im Ländervergleich testete ich für Parkerlebnis.de den Thorpe Park, der rund 20 Kilometer von London entfernt liegt. Vorabrecherchen ergaben, dass der Park es zwar begrüßen würde, wenn blinde Besucher eine Begleitperson mitbringen würden, sie ließen diese Option jedoch für den Parkbesucher offen und schlossen somit eine Nutzung der Attraktionen ohne Begleitung nicht aus.

Anders, als bei den vorherigen Testszenarien, war ich dieses Mal mit zwei sehbehinderten Freunden im Park unterwegs gewesen. Diese haben zwar noch einen geringen Sehrest, dieser reicht jedoch nicht immer vollständig aus, um sich überall orientieren oder etwaige Beschilderungen lesen zu können. Wir konnten somit unterschiedliche Testszenarien ausprobieren: blind mit Begleitung, blinde Einzelperson ohne Begleitung sowie drei blinde Personen ohne Begleitung. Wie würde der Park mit derartigen Situationen wohl umgehen?

Anreise

Die Anreise zum Thorpe Park mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist äußerst komfortabel. Beispielsweise verkehren von London-Vauxhall oder Waterloo regelmäßige Regionalzüge bis Staines. Von hieraus fährt ein Shuttle-Bus in fünfzehnminütiger Taktung direkt bis vor die Tore des Thorpe Park. Achtung, Wichtig: Nutzer einer Oyster Card benötigen extra Tickets! Die Oyster Card ist nämlich nicht bis Staines gültig und die Bahnsteigaufsichten z. B. in Vauxhall gaben uns hier falsche Auskünfte. Hier unbedingt vorher beim Ticketschalter informieren. Für den Busshuttle wird ebenfalls ein Ticket benötigt, dieses kann jedoch problemlos beim Fahrer gekauft werden.

Einlass

Der Einlass gestaltete sich im Grunde problemlos und auch ohne jegliche Diskussionen bezüglich einer Begleitperson. Es sind für den blinden Parkbesucher jedoch auch ein paar Dinge zu beachten: Es kann sein, dass man an der Kasse nach einem ärztlichen Dokument (vermutlich ähnlich unseres Feststellungsbescheides oder Schwerbehindertenausweis) gefragt wird. Hieraus ist der Grad der Behinderung sowie der Anspruch auf eine Begleitperson ersichtlich. Mit dem Deutschen Schwerbehindertenausweis konnten die Mitarbeiter scheinbar nichts anfangen, wobei ein Blindenstock am Ende aussagekräftig genug war.

Ferner, und dies gilt wieder für alle Besuchergruppen, gibt es gravierende Preisunterschiede zwischen vorab gebuchten Online-Tickets und denen an der Tageskasse – wir reden hier von Preisunterschieden von bis zu 23 Pfund (entspricht in etwa 30 Euro)! Planen und vorab buchen lohnen sich also!

An der Kartenkontrolle samt dem für Parks obligatorischem Drehkreuz schließt sich das Besucher-Center an, in dem Souvenirshops, Fotostationen zum Abholen der bestellten Schlüsselanhänger oder Magneten, Waschräume sowie Gastronomie zu finden sind. Dieses Gebäude ist sehr weitläufig und erstreckt sich über mindestens zwei Stockwerke (Foto-Abholstation ist zum Beispiel oben).

Nach dem Einlass erkundigten wir uns nach dem Weg zur ersten Attraktion und erhielten eine grobe Wegbeschreibung mit dem Hinweis, doch einfach Leute unterwegs anzusprechen und nochmals nachzufragen. Ferner wurde uns mitgeteilt, dass aufgrund von Restaurationsarbeiten drei Attraktionen geschlossen hätten. Da wir aufgrund des sehr kühlen und wechselhaften Wetters zudem die Wasserattraktionen nicht testen wollten, verringerte sich somit die Zahl der Testfahrten ein wenig. Zwei weitere, kleinere Fahrgeschäfte verweigerten während des Tages außerdem noch den Dienst und waren so ebenfalls nicht testbar.

Orientierung im Park

Auch dem Sehenden erschließen sich nicht sofort alle Wege – dies für all diejenigen vorab, die glauben, dass eine Begleitung automatisch immer alles einfacher macht. Die Parkanlage ist sehr weitläufig und ist geprägt durch einige Grünanlagen und vor allem durch Wasser, was dem Park somit ein gewisses Flair verleiht. Da zudem an diesem Mittwoch Ende Mai weniger Besucher im Park unterwegs waren, konnte es manchmal etwas dauern, bis wir den Eingang zu einer Attraktion gefunden hatten.

Blick aufs Wasser | Bild © by Christian Ohrens

Jedoch gibt es an manchen Stellen – ähnlich wie im Movie Park Germany – aufgestellte Lautsprecher, aus denen entweder Soundkulissen zu den sich in der Nähe befindenden Attraktionen oder Musik abgespielt wurde und deren Verlauf man durchaus als Orientierungshilfen nutzen sollte.

Eine weitere Schwierigkeit waren die sehr weitläufigen Eingangsbereiche der einzelnen Bahnen. Lange, labyrinthartige Warteschlangen müssen teils zurückgelegt werden, bis man am Ende vor dem Einstieg in das jeweilige Fahrgeschäft steht. Es kann auch passieren, dass eine Bahn zwei Ein- bzw. Ausstiegsmöglichkeiten hat – siehe unser zuerst getestetes Fahrgeschäft.

Die einzelnen Fahrattraktionen im Test

Wie eingangs erwähnt fielen aufgrund der Witterung sowie von Wartungsarbeiten mehrere Attraktionen leider weg. Nichtsdestotrotz denken wir, dass wir dennoch die wichtigsten Bahnen testen konnten.

The Swarm (Wing-Coaster):
Diese Achterbahn erinnert ein wenig an den letzten Heide-Park-Neuzugang „Fluch der Dämonen“ und auch vom Fahrgefühl her kann The Swarm durchaus den Dämonen das Wasser reichen. Um jedoch überhaupt in den Genuss dieser Bahn zu kommen, muss erst mal der richtige Eingang gefunden werden. Achtet auf die Polizeisirenen, Hubschrauber, Sprechfunkdurchsagen etc., dann seid Ihr richtig. Aber Achtung, diese Bahn hat zwei Eingänge! Die einzelnen Wagen, die sich jeweils links und rechts neben der Schiene befinden, werden jeweils über eigene Eingänge angesteuert. Das führte dazu, dass wir The Swarm zweimal gefahren sind – ohne es direkt zu wollen. Denn wir gingen beim zweiten Mal davon aus, eine andere Bahn zu betreten. Zum Ein- und Ausstieg ist zu sagen, dass die Operatorinnen auf beiden Seiten sehr zuvorkommend behilflich waren und uns auch am Ende den Weg zur nächsten Attraktionen beschrieben haben.
The Swarm | Bild © by Christian Ohrens
Rush (Screamin‘ Swing):
Eine viel zu kurze Fahrt mit einem sehr interessanten Schiffsschaukel-Konstrukt, welcher es wirklich in sich hat und bei dem es wirklich in der Magengegend kribbelt! Andere Besucher waren uns hier beim Ein- und Ausstieg sowie beim Deponieren unserer Sachen behilflich.
Zodiac (Enterprise):
Hier waren es auch wieder andere Parkgäste, die uns beim Finden einer freien Gondel behilflich waren. Auch wenn meine Mittester zuvor gesehen hatten, dass der Zodiac sich überschlug, waren sie sich nach vollendeter Fahrt nicht mehr so sicher. Nicht umsonst wirbt ein Deutscher Schausteller mit dem Slogan: „Die angenehmste Art des Looping“.
Nemesis Inferno (Inverted Coaster):
Weiter ging es mit einer weiteren Achterbahn. Trotz der verhältnismäßig wenigen Besucher an diesem Tag, war hier erst einmal Warten angesagt. Eine Stimme teilte uns über Lautsprecher mit, dass die voraussichtliche Wartezeit ab dieser Stelle ca. eine Stunde betrage und wir doch Gästen, die hinaus wollten, bitte Platz machen sollten. Da wir jedoch zuvor schon ein ganzes Stück leeren Wartebereichs hinter uns gelassen hatten, wollten wir uns gar nicht ausmalen, wie lang die Wartezeit bei komplett voller Warteschlange beträgt? Die Wartezeit wurde, Dank einiger Abbrecher, ein wenig verkürzt und so standen wir bereits nach rund 45 Minuten vor dem Einstieg. Den Einstieg mussten wir selber meistern, die Sachen sollte man auf der anderen Seite deponieren. Das Aufsichtspersonal sowie weitere Gäste waren uns hierbei sowie beim Wiederauffinden jedoch behilflich.
Onride-Foto | Bild © by Christian Ohrens, Recorded by Thorpe Park/Picsolve
Colossus (Looping-Coaster):
Für mich eines der definitiven Highlights des Parks war diese Achterbahn, welcher über eine vierfache Schraube rechts herum, gefolgt von einer einzelnen Schraube linksrum, verfügt und zudem – gemeinsam mit der nächsten Bahn – auch mit die längste Fahrt aufweist. Dass Colossus ein Gästemagnet ist, zeigte auch die wieder einstündige Wartezeit, aber das Warten hatte sich auf jeden Fall gelohnt! Im Gegensatz zu den vorigen Achterbahnen, saß man hier in „richtigen“ Wagen, hatte also Boden unter den Füßen. Auch hier lässt man seine Sachen auf der anderen Seite des Wagens in dafür vorgesehenen Fächern. Und auch hier waren es andere Besucher, die zuvorkommend bei alledem behilflich waren. Aber wir vermuten, dass das Aufsichtspersonal schon eingegriffen hätte, wäre niemand bereit gewesen zu helfen. So vergewisserte man sich nur, dass die Bügel richtig geschlossen waren und dass alles seine Ordnung hatte.
Saw – The Ride (Euro-Fighter):
Eine Mischung aus Dark-Ride und normaler Achterbahn ist dieser Coaster, welcher auch mit einer verhältnismäßig langen und abwechslungsreichen Fahrt aufwarten kann. Hier erlebten wir eine Überraschung – im positiven Sinne. Während wir in der Warteschlange standen, wurden wir von zwei Operatoren quasi rausgefischt und durch eine geöffnete Absperrung gelotst. Ich erhielt ein sogenanntes „Awareness“-Armband, welches eigentlich Besuchern mit Handikap schon am Eingang ausgehändigt werden soll. Durch dieses Armband weiß das jeweilige Aufsichtspersonal, wer bei einer eventuellen Evakuierung des Fahrgeschäfts besondere Hilfe benötigt. Mir und meinen Mittestern wurde, nachdem wir unsere Sachen bei der Aufsicht deponiert hatten, gezeigt, wo wir einsteigen sollen. Am Fahrtende wurden wir wieder von der Aufsicht in Empfang genommen. Einer der beiden sprach sogar ein wenig Deutsch, seine Mutter lebt zur Zeit in Deutschland und er hatte daher auch schon ein paar Deutsche Freizeitparks besucht gehabt. Ich erzählte ihm von unseren Tests – warum auch nicht, war dies doch eh die letzte Fahrt an diesem Tag gewesen. Er reagierte sehr erstaunt über die teils vorherrschenden Praktiken einiger Parks hinsichtlich der Nutzung durch blinde Besucher, was ich ihm, nach den bisherigen Erfahrungen im Thorpe Park, nicht verübeln konnte.

Fazit: Congratulations!

Bild © by Christian Ohrens

Frei nach dem Motto „anderes Land, andere Art und Weise mit blinden Gästen umzugehen“ testeten wir an einem Mittwoch Ende Mai den Thorpe Park Nähe London. Etwas, das wir schon bei unserer Sightseeing-Tour durch London feststellen durften, nämlich, dass man viel offenherziger, lockerer und entspannter mit Menschen mit Handikap umzugehen scheint, bestätigte sich auch bei unserem Testaufenthalt im Thorpe Park.

Bei insgesamt sieben Testfahrten wurde uns entweder von anderen anwesenden Besuchern oder vom Aufsichtspersonal geholfen. Es kam an keiner Stelle irgendeine Diskussion bezüglich einer nicht vorhandenen Begleitperson auf, da zumindest einer meiner Mittester zeitweise zur besseren Orientierung auch mit Blindenstock rumlief. Das Aufsichtspersonal hielt sich zwar manchmal eher im Hintergrund, dies jedoch auch nur, weil sie feststellen konnten, dass andere Mitfahrer bereits helfend eingegriffen hatten und für sie somit kein Handlungsbedarf bestand. Wie erwähnt, gehen wir jedoch davon aus, dass ein blinder Besucher, sollte einmal kein anderer Gast zur Stelle sein, trotzdem die benötigte Assistenz bekommen würden.

Wir sagen daher auch dem Thorpe Park „herzlichen Glückwunsch“ zum sehr guten Testergebnis!


Von Christian Ohrens

Freier, geburtsblinder Journalist, Baujahr 1984, abgeschlossenes Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Autor, Web-, Foto- und Videoblogger, DJ und Gästeführer.

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