Einleitung
Blind seinen Alltag zu meistern und auch außerhalb des häuslichen, geschützten Bereichs Freizeitbeschäftigungen nachzugehen, scheint für viele sehende Menschen teilweise schier unmachbar zu sein. Ob nun aus Gründen der eigenen Unterschätzung („Was wäre, wenn ich jetzt auf einmal erblinden würde?“) oder aus Gründen der Fürsorglichkeit, viele sehende Menschen können sich nur schwer in die Lage eines autonom handelnden, mobilen Blinden hineinversetzen.
Doch viele sehende Menschen, dies zeigten zahlreiche Diskussionen und Kommentare zu meinen für Parkerlebnis durchgeführten Freizeitpark-Tests, wollen sich scheinbar auch gar nicht in die Situation des Blinden hineinversetzen. Sie pochen auf ihre Einstellung, dass der Sehende besser wisse, was dem Blinden zuzutrauen sei und die dadurch entstehenden Teilnahmeverbote Seitens Betreiber doch nur all zu begründet wären.
„Im Gegensatz zu Diskriminierungen aufgrund anderer Merkmale im Sinne des AGG (ethnische Herkunft, Glauben, Geschlecht oder sexueller Orientierung etc.) treffen Menschen mit Behinderungen bei Ihrer Freizeitgestaltung oder auch im Alltag oftmals nicht auf Benachteiligungen aus Motiven der inneren Ablehnung, sondern auf solche, die zwar ebenfalls aufgrund von Vorurteilen, aber eher einer eigentlich positiv gemeinten überbordenden Fürsorge entspringen. Das Resultat ist jedoch das Gleiche, denn Menschen mit Behinderungen werden daran gehindert, für andere Menschen selbstverständlich zugängliche Angebote in Anspruch zu nehmen. Sei es die verbotene Achterbahnfahrt für einen blinden Menschen, der mit seinen Kindern einen Freizeitpark besucht, sei es der verwehrte Zutritt zum Restaurant im Fernsehturm oder auch nur der Hinweis vor einer Busfahrt, einem Hallenbadbesuch oder der geplanten regelmäßigen Nutzung eines Fitnessstudios, dass aufgrund des im Schwerbehindertenausweis eingetragenen Rechtes auf die Inanspruchnahme einer Begleitperson (Merkzeichen „B“) eine solche auch mitzubringen oder andernfalls eine Nutzung des jeweiligen Angebotes „leider“ nicht möglich sei. Gemeinsam ist diesen Praxisbeispielen von Freizeit- oder Alltagsdiskriminierungen, dass vermeintliche Experten für bestimmte Lebensbereiche besondere Gefahren im Falle der Nutzung durch behinderte Menschen vermuten, die sie aus versicherungstechnischen oder fürsorglichen Gründen durch ein Benutzungsverbot für diesen Personenkreis vermeiden wollen.“
Widmet man sich ein wenig intensiver dem Bereich der Freizeitparks und betrachtet einmal die Sicherheitsbestimmungen, welche zumeist auf den Parkhomepages (z. B. beim Hansa-Park, beim Phantasialand oder auch beim Europa-Park) nachzulesen sind, ergibt sich nicht nur ein verzerrtes Bild dessen, was blinden Besuchern zuzutrauen ist, sondern auch der Rolle, die ein möglicher, sehender Begleiter hier einnehmen soll. Der sehende Begleiter gilt für viele Parkbetreiber als Grundvoraussetzung für die (Be-)Nutzung ihrer Attraktionen. Als Gründe werden eventuelle Evakuierungen angeführt, bei denen es dem Fahrgast möglich sein muss, sich aus eigener Kraft zu befreien bzw. die Anlagen aus eigener Kraft, ohne Zuhilfenahme anderer, zu verlassen. Das eine Zuhilfenahme auch durch andere Besucher erfolgen kann, wird grundsätzlich ausgeschlossen. Einige Parks gehen sogar so weit, den Begleiter einem Betreuer gleichzustellen, was allein schon aus rechtlicher Perspektive höchst fragwürdig erscheint (vgl. hierzu die Testberichte zum Hansa-Park oder unserem Phantasialand-Besuch).
Ein ähnliches Bild findet sich auch bei der Nutzung von Schwimmbädern durch blinde Menschen scheinbar wieder. Auch hier wird häufig eine Begleitung vorausgesetzt.
Doch welche Rolle kann bzw. sollte eine Begleitperson tatsächlich einnehmen? Kann und darf vor allem eine Begleitperson im Sinne eines Freundes oder Partners bei einem Personenschaden haftbar gemacht werden, so er nicht grobfahrlässig herbeigeführt wurde? Ist somit die Grundbedingung einer Begleitung, beispielsweise für die Mitfahrt in einer Achterbahn, überhaupt tragbar?
Diesen Grundsatzfragen möchte ich in diesem Essay versuchen auf dem Grund zu gehen. Es hat in der Vergangenheit bereits erste Beobachtungen und Überlegungen bzgl. Der Nutzungsthematik in Freizeitparks gegeben, welche an passender Stelle auch angeführt und zitiert werden sollen.
Begleiter oder Betreuer? Wer darf eigentlich haftbar gemacht werden?
Schon bei den Auswertungen früherer Freizeitparktests stellte sich uns die Frage, inwieweit die Forderung nach einer Begleitperson für einen Freizeitparkbesuch überhaupt rechtens ist. Darf eine Begleitperson im Falle eines Unfalls o. Ä. überhaupt haftbar gemacht werden und – so wie es viele Parks quasi (ein)fordern – die Verantwortung für den zu begleitenden, blinden Besucher tragen? Ist es statthaft, dass beispielsweise Seitens des Hansa-Parks sogar eine Begleitperson mit einem „Betreuer“ gleichgesetzt wird?
Zunächst ist festzustellen, dass in vielen Sicherheitsbestimmungen von Freizeitparks die Rede von „körperlich“ oder „geistig“ eingeschränkten Menschen ist. Laut SGB IX §2 Satz 1 lässt sich eine Behinderung jedoch in körperliche, geistige, seelische und sinnesbeeinträchtigungen aufteilen. Die sehr pragmatische Herangehensweise der Parks (oder andere Freizeitangebote), die Art der Behinderung und somit die Art der eingeschränkten Nutzung lediglich an einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung zu definieren, ist somit sehr einfacher Natur und steht somit in keinem Verhältnis. Denn es ist erst einmal davon auszugehen, dass der blinde Besucher nicht (oder nur bedingt) in der Lage ist, seinen Seh-SINN z. B. bei der Orientierung im Park zu gebrauchen. Demnach ist weder von einer körperlichen noch von einer geistigen Beeinträchtigung zu sprechen.
Ein ähnlich gelagertes Beispiel sind die sog. Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis. Das „B“ steht für die Möglichkeit einer Inanspruchnahme einer Begleitperson. Viele sehen hier jedoch gleich eine Notwendigkeit, dass der blinde oder sehbehinderte Gast einer „Pflichtbegleitung“ bedarf und diese in jedem Fall erforderlich ist – weil es eben im Ausweis so vermerkt ist. Auch dies ist ein Trugschluss, denn sonst dürfte ein blinder Fahrgast niemals ohne Begleitung auch nur eine Zugfahrt antreten.
Was ist ein Betreuer?
Laut Wikipedia ist ein Betreuer der gesetzliche Vertreter einer volljährigen Person, die für ihre eigenen Angelegenheiten nicht sorgen können und somit einer Betreuung bedürfen.
Wenn beispielsweise der Hansa-Park auf seiner Homepage im Zusammenhang mit Gästen mit einem Handikap von einem ‚Betreuer’ spricht, welcher im Schadensfall auch haftbar gemacht werden kann, so ist diese Aussage unzureichend und nicht pauschal anwendbar. Das Haftbar machen einer Betreuungsperson wird u. A. in §832 Nr.1 BGB geregelt: „Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde.“
Demnach kann doch auch nur dann eine Person als Betreuer gelten und somit auch haftbar gemacht werden, wenn sie zuvor als solcher vom Gericht als solchen ernannt wurde (gesetzlicher Betreuer). Selbst wenn sie ihrer Aufsichtspflicht ordnungsgemäß nachgekommen ist und der zu Betreuende trotzdem z. B. verletzt wird, kann hier der Betreuer nicht zur Verantwortung gezogen werden. Dies könnte dann der Fall sein, wenn unzureichende, nicht barrierefreie Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden sind.
Begleiter oder Betreuer als Zutrittsvoraussetzung
Es stellt sich weiterhin die Frage, ob und inwieweit ein Betreiber eines Freizeitparks nebst den verantwortlichen Aufsichtsbehörden (wie Baubehörde, TÜV etc.) einem Besucher mit Einschränkungen vorgeben darf und auch sollte, in welchem Umfang er seinen Park und die sich darin befindenden Fahrgeschäfte nutzen darf.
Wendet man sowohl die Betreuungs-Definition als auch §832 BGB an, so ließe sich logisch schlussfolgern, dass jeder volljährige Mensch, auch mit Handikap, für sich selbst entscheiden kann, was er sich zutraut und in welche (Gefahren-)Situation er sich begibt. Dies wird bislang so jedoch kaum in der Praxis umgesetzt, wie auch Michael Richter 2015 in seinem Aufsatz zur „Diskriminierung im Alltag“ prägnant herausstellte. Richter führt an, dass der Freizeitparkbetreiber, der den blinden Gast nicht fahren lassen will,
„meist nicht aus einer inneren Ablehnung heraus diskriminiert, sondern aus einer übertriebenen Fürsorglichkeit. Aus sicherheits- oder versicherungsrelevanten Gründen folgen einige Betreiber von Freizeitangeboten dem Rat von vermeintlichen Experten, die die Nutzung bestimmter Angebote durch behinderte Menschen als gefährlich einstufen. […]“Diese Regelung ist jedoch kein Freifahrtschein für generelle Nutzungsverbote und willkürliche Auflagen. Vor allem nicht, wenn sie auf Unkenntnis oder Fehleinschätzung der Fähigkeiten behinderter Menschen beruhen. So ist die Evakuierung von blinden und sehbehinderten Menschen aus einer Achterbahn wohl kaum schwieriger als die Rettung älterer Menschen, nur ist sie im Notfallkonzept meist nicht berücksichtigt worden. Gleiches gilt für die Benutzung von Feuertreppen. […] Denn ausschließlich behinderungsbedingte Risiken zu erfassen, kann zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung führen.“
(Richter 2015, vgl. auch Richter 2017a)
In der E-Mail-Korrespondenz mit dem TÜV Süd bzw. Nord wurde Parkerlebnis auch bestätigt, dass die derzeit aktuellen Sicherheitsempfehlungen meist auf medizinischer Basis beruht, d. h. sie berücksichtigt eben (noch) nicht die von Richter geforderte Miteinbeziehung der persönlichen Belange und Fähigkeiten. Dies hat zur Folge, dass oftmals noch vor einem Zugang zum jeweiligen Park ein Ausschluss in Form eines Hinweises erfolgt – allein hierin läge laut Richter schon die erste Diskriminierung begründet.
„Im Ergebnis stellt allein der Umstand, dass einem die Entscheidung, etwas zu tun oder zu lassen – ob man es kann oder nicht –, bereits abgenommen wird, eine typische Diskriminierung dar. An der Kasse nur behinderungsbedingte Risiken etwa für die Achterbahn zu erfassen, führt zu einer Ungleichbehandlung, die keinesfalls gerechtfertigt sein kann. Denn ob bspw. eine vorübergehende Erkrankung, eine Medikamenteneinnahme oder eine Vorbestrafung wegen fahrlässigen Handelns vorliegt, wird nicht abgefragt, kann im Einzelfall aber eine wesentlich größere Rolle für potenzielle Gefahren beispielsweise bei einer Achterbahn-fahrt bedeuten. Die durch Expert_innen häufig vorgetragene Einwendung, dass ja auch Betrunkenen, Kindern oder schwer geistig behinderten Menschen der Zutritt zu verwehren sei, kann nicht greifen. Allein der Vergleich eines zum Beispiel blinden Menschen mit einem Betrunkenen verbietet sich, da insbesondere bei diesem Personenkreis gerade die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung und die Beurteilung des Gefahrenpotenzials von Situationen nur eingeschränkt oder gar nicht vorhanden ist und mithin eine bewusste Entscheidung für oder gegen das Risiko einer Nutzung nicht getroffen werden kann.“
Doch wer haftet nun für eventuelle Schäden bzw. Verletzungen? In diesem Zusammenhang führt Richter das Beispiel des Zutrittverbots blinder Schwimmbadbesucher an.
„Der Badegast hat das Risiko billigend in Kauf genommen und fahrlässig gehandelt. Deshalb muss er selbst oder seine Haftpflicht- oder Krankenversicherung für den Schaden aufkommen.“
(Richter 2015) Eine klare und deutliche Aussage, welche – auch in Bezug auf die Freizeitparknutzung – Anwendung finden kann: Der blinde Fahrgast haftet somit im Falle eines Unfalles für sich, denn er hat eigenverantwortlich gehandelt und auf eigenes Risiko das Fahrgeschäft genutzt. Eine Haftung durch Dritte (z. B. Betreuer oder Begleitpersonen) entfällt (s. o.).
Derartige Diskriminierungen sind im Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG) fixiert. Vor allem §19 Abs.1 AGG legt fest, wann eine Benachteiligung vorliegt. Jedoch sind auch hier Ausnahmen möglich, in denen besondere Regelungen getroffen werden können:
„“Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen […] einer Behinderung […] ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient […].”“
(Zitiert nach AGG § 20 Abs. 1 Nr.1; Zitiert in: Richter 2015). In einem Aufsatz des DBSV zu ebendieser Problematik wird ergänzend noch folgendes angeführt, da §20 AGG z. B. Freizeitpark- oder Schwimmbadbetreibern durchaus ermöglicht, blinden Besuchern den Zutritt zu verwähren:
„§ 20 Abs. 1 Nr. 1 AGG rechtfertigt eine Ungleichbehandlung zur Vermeidung von Gefahren, zur Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art. Die benachteiligende Handlung muss zur Vermeidung von Gefahren usw. geeignet und erforderlich sein. Dem Leistungsanbieter steht ein gewisser Spielraum zu, weil die vorbeugende Gefahrvermeidung auf einer Prognose beruht, die mit Unsicherheiten behaftet ist. Für die Abwicklung von Massengeschäften kann zudem wegen der Beachtung der Verkehrssicherungspflicht eine bestimmte Standardisierung erforderlich sein. Auf diese Erwägungen stützen sich z.B. die Betreiber von Freizeitparks, wenn sie den Zutritt zu bestimmten Fahrgeschäften körperlich behinderten Menschen nicht oder nur mit einer Begleitperson gestatten oder erst ab einem bestimmten Alter erlauben […]. Eine zu enge Auffassung ist aber abzulehnen. Berücksichtigt sollte werden, dass behinderte Menschen in aller Regel selbst am besten zu beurteilen vermögen, was sie sich zutrauen können. Es sollte reichen, wenn die Benutzung auf eigene Gefahr erfolgt. Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch, wenn blinden oder sehbehinderten Personen pauschal ohne Begleitperson der Zutritt zu Schwimmbädern verwehrt wird. Sachliche Gründe dafür bestehen nicht. Blinde Personen können selbst einschätzen, was sie sich zutrauen können. Vor allem ein blinder Mensch, der ein Mobilitätstraining absolviert hat und sich mit den Gegebenheiten und bei Freibädern mit dem Gelände vertraut gemacht hat, kann selbst am Besten einschätzen, ob er auch alleine zurecht kommen wird“
(Richter 2015). Gleiches kann auch für die Nutzung von Freizeitparks bzw. der Nutzung von Fahrgeschäften, im speziellen dem Anlegen von Sicherheitsbügeln etc., gelten.
Fahrtverbote sind Diskriminierungen!
Auch auf behindertenpolitischer Seite gibt es klare Aussagen zum Verhalten der Parkbetreiber gegenüber einem blinden Besucher. So führte Ottmar Miles Paul, einer von Deutschlands bekanntesten Lobbyisten der Behindertenbewegung und Strippenzieher für die Gleichstellung und Selbstbestimmung behinderter Menschen, in einem kurzen Mailinterview vom 30.07.2014 an:
„Grundsätzlich muss auch bei Freizeitparks die Möglichkeit der gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen gewährleistet werden. Hierfür haben die Parks eine entsprechende Zugänglichkeit zu schaffen und bei Bedarf Unterstützungen anzubieten. Die US-amerikanischen Freizeitparks scheinen hier wesentlich weiter zu sein, wie die hiesigen, so dass meines Erachtens auch in Sachen Gleichstellungsgesetz Handlungsbedarf besteht.“
Ein Statement eines Stuttgarter Rechtsanwalts unterstreicht diese Aussage:
„„Wenn der Fluchtweg so schwierig und gefährlich ist, […] wie soll er von Kindern und oder alten Menschen bewältigt werden?“
(Zitiert nach: Erarth, zitiert in: Beiter 2016) Erarth sieht ganz klar den Freizeitpark in der Pflicht, entsprechend der UN-Konvention die Fahrgeschäfte so zu gestalten, dass auch im Falle einer Störung oder Evakuierung Menschen mit Handicap die Attraktion verlassen können. (vgl. Beiter 2016)
Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, äußerte sich in einem kurzen Statement vom Juli 2016 wie folgt zu dieser Problematik:
„Mir ist wichtig, dass Menschen mit Behinderungen genau wie alle anderen Menschen auch Fahrgeschäfte in Freizeitparks nutzen können. Die Betreiber sollten gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen nach Lösungen suchen wie eine sichere und barrierefreie Nutzung möglich ist.“
Doch auch der Sehende benötigt Hilfe
Eine gewisse Hilflosigkeit im Bezug auf die Nutzung und Evakuierung eines Fahrgeschäfts wird – merkwürdigerweise – scheinbar ausschließlich den Besuchern mit Handikap nachgesagt., Hierfür sollte man sich einmal folgende Zahlen vor Augen führen: Laut brillen-sehhilfen.de tragen mehr als 40 Millionen Deutsche (das sind fast Zweidrittel) eine Brille. 35% davon müssen ihre Brille ständig tragen, weil sie ohne Brille nur eingeschränkt sehen würden. Im Falle einer Achterbahnfahrt, müssen die Brillen vor Fahrtantritt abgelegt werden. Somit wäre ein nicht gerade geringer Anteil an Gästen für eine weitergehende Orientierung, für das Lesen von Beschilderungen etc., im Evakuierungsfall nicht nur auf ihre Brille, sondern im speziellen hier auf die Anleitung des Personals angewiesen. Die Verantwortung des sicheren Verlassens einer Fahrattraktion kann somit nicht nur allein bei den einzelnen Gästen liegen. Sie ist somit auch Aufgabe des Aufsichtspersonals. Oder sollte man zukünftig – provokant gefragt – auch bei Brillenträgern eine Begleitung voraussetzen oder die Mitfahrt gleich ganz verwähren?
Die Sache mit dem Hausrecht…
Wie oben bereits skizziert, kann eine Ablehnung einer Mitfahrt oder die Zutrittsverwährung aufgrund einer Behinderung bereits durchaus als Diskriminierung angesehen werden. Im Grundgesetz heißt es, dass alle Menschen gleich sind und niemand aufgrund von Rasse, Hautfarbe o. Ä. diskriminiert werden dürfe. Ähnliche, gesetzliche Verankerungen finden sich auch in der UN-Behindertenrechtskonvention.
„Die Grundlage für die Diskussion bietet das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Darin steht: ‚Die Vertragsstaaten verbieten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung“. Diskriminierend seien Ausschließungen oder Beschränkungen zum Beispiel im sozialen oder kulturellen Bereich.‘ Artikel 30 der Konvention geht speziell auf die Freizeit behinderter Menschen ein und hat zum Ziel, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilnahme an Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten zu ermöglichen.“
(Beiter 2016) Doch wurde den einzelnen Staaten gewisse Freiheiten gelassen, wie sie die Inhalte dieser Konvention umsetzen (vgl. Richter 2017a).
Fazit
In der vorangegangenen Betrachtung wurde deutlich, dass eine pauschale Einschränkung der Fahrgeschäftnutzung durch TÜV oder Parkbetreiber aus rechtlicher und behindertenpolitischer Sicht eher kritisch zu betrachten und zu hinterfragen ist. Zwar ermöglichen es die gesetzlichen Bestimmungen einem Park- oder Schwimmbadbetreiber durchaus, derartige Einschränkungen geltend zu machen, sind jedoch in keinem Fall akzeptabel. Sehbehinderte und blinde Parkbesucher, so sie nicht entmündigt worden sind, handeln immer auf eigenes Risiko. Sie sind, trotz ihres Handikaps, für sich allein verantwortlich und haften im Schadensfall auch für sich. Eine Begleitung kann, nach meinem Dafürhalten, wenn nur lediglich als ergänzende Assistenz betrachtet werden. Der Park sollte jedoch auch selber für Einrichtungen (personell oder baulich) sorgen, um einem sehbehinderten Gast einen uneingeschränkten Aufenthalt bzw. eine uneingeschränkte Nutzung zu ermöglichen und selbiges nicht auf den Gast abwälzen, in dem er eine Begleitperson als Zugangsvoraussetzung anführt. Dies gilt für all diejenigen Parks, die blinden oder sehbehinderten Menschen eine grundsätzliche Nutzung der großen Attraktionen untersagen.
Ebenfalls zu überdenken wäre die jeweiligen Definitionen der einzelnen Parks, welche Personengruppen genau ihre Attraktionen nicht nutzen dürfen hinsichtlich der vorhandenen Behinderung. Sich lediglich auf körperliche oder geistige Einschränkungen zu berufen und sämtliche Behinderunggruppen hier einzusortieren, wäre ebenso diskriminierend wie unangemessen. Eine differenziertere Betrachtung der Thematik wäre auch hier mehr als wünschenswert.
Dass es in anderen Ländern hinsichtlich der Nutzungsproblematik andere, lockerere Regelungen gibt, sehen viele – sowohl betroffene Betreiber als auch sehende Freizeitparkfans sowie Möchtegernexperten – weniger als Ansporn, an der eigenen Einstellung und Herangehensweise etwas zu ändern. Ferner fühlen sie sich in ihrem Handeln und in ihren Argumentationen noch mehr darin bestärkt. Sie untermauern dies, in dem sie scheinbar vorhandene Risiken für den blinden Besucher (Evakuierung, Fahrtablauf, auf den Blinden während der Fahrt einwirkende, nicht einschätzbare Kräfte, etc.) oder sich in der Vergangenheit ereignete Unfälle als Argumentationsbasis nutzen (siehe Testbericht und Kommentare zu Phantasialand Test).
Erschreckend ist in diesem Zusammenhang auch, dass es auch in den ‚eigenen Reihen’ der blinden und sehbehinderten Menschen viele Befürworter für derartige Bevormundungen und Diskriminierungen zu geben scheint. So erlebte ich als Freizeitparktester in den vergangenen Jahren auch hier zwar rege Diskussionen, viele davon jedoch auch mit diesem duckmäuserhaften Unterton, dass es schon seine Gründe für dieses oder jenes Verhalten und Verbot gäbe.
Ich kann abschließend nur an meine blinden, aber vor allem auch an die sehenden Leser appellieren, blinde oder generell behinderte Menschen nicht bloß nur anhand ihrer Behinderung, sondern vor allem ihrer Fähigkeiten zu beurteilen. Jeder Mensch ist mit seinen Fähigkeiten individuell zu betrachten. Eine pauschale Aussage, wer, wann, wie, in welchem Umfang, von wem zu begleiten ist, halte ich weder für sinnvoll, noch im Zeitalter von Inklusion für zeitgemäß!
Quellen
Beiter, Rebecca (2016): Freizeitparks: Blinde müssen draußen bleiben. (Aus): Stuttgarter Nachrichten, 21.09.2016. Online abrufbar: Link (Zuletzt zugegriffen am 27.01.2018)
BGB – Bürgerliches Gesetzbuch Online abrufbar z. B. unter: Link (Zuletzt zugegriffen am 27.01.2018)
Richter, Michael (2015): Kein Zutritt – Diskriminierung im Alltag. (Aus): Gegenwart 7-8/2015. Berlin: Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.; online abrufbar: target=“x“Link (Zuletzt zugegriffen am 27.01.2018)
Richter, Michael (2017a): 10 Jahre Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – Wirkungen eines Antidiskriminierungsgesetzes für Menschen mit einer Behinderung. (Aus): Horus 1/2017. Berlin: Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V., online abrufbar: Link (Zuletzt zugegriffen am 27.01.2018)
Richter, Michael (2017b): Vom Freizeitpark behindert – Warum Ausschlüsse bei Fahrgeschäften oft unbegründet sind. (Aus): Newsletter der Antidiskriminierungsstelle, 28.08.2017. Berlin: Antidiskriminierungsstelle, online abrufbar: Link (Zuletzt zugegriffen am 27.01.2018)
SGB IX – Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Ausfertigungsdatum: 23.12.2016. Online abrufbar: Link (Zuletzt zugegriffen am 01.03.2018)
Wikipedia (NN): Betreuer (Recht), Link (Zuletzt zugegriffen am 29.01.2018)
Eine Antwort auf „Freizeitparknutzung durch blinde Menschen oder: Wie gerechtfertigt sind Nutzungsbeschränkungen und Fahrtverbote?“
Es ist erschreckend wie viele selbst ernannte Experten meinen, nur weil sie mit geschlossenen Augen hilflos sind, müssen blinde Menschen das ebenso sein.