Inklusion – für viele gehört sie inzwischen zu einem der wichtigsten Güter in unserer modernen Sozialgesellschaft, für andere wiederum ist sie wie ein belastender Klotz am Bein. Diese „Belastung“ bekommt man indirekt vor allem dann zu spüren, wenn man sich die zahlreichen Negativmeldungen von überforderten Lehrern und dergleichen anschaut.
Böse Zungen sagen, dass Inklusion nur dann akzeptabel und umsetzbar ist, wenn sie dem Nichtbetroffenen nichts kostet, weder Aufwand, Nerven, Umdenken oder Geld: Bloß nichts verändern oder anders machen, schon gar nicht, wenns was kostet!
Wie ich in einem früheren Beitrag bereits schrieb, kann Inklusion teilweise auch gar nicht funktionieren, so lange wir Behinderung immer nur als solche, also als eine Einschränkung, betrachten. Denn in der Diskussion schwingt bei Nichtbetroffenen immer der unterschwellige Wunsch mit, dass es irgendwann einmal der Medizin möglich sein sollte, Behinderungen gar nicht erst auftreten zu lassen oder sie später dann zu beseitigen. Bis dahin mögen wir uns bitteschön weiterhin unterbuttern lassen.
Gerade im vergangenen Jahr sorgte ein Vorfall hier in Hamburg, zumindest kurzzeitig, mal für ein wenig Wirbel im Inklusionswasserglas. Der Fall hat sich inzwischen, wenn auch nur annähernd, geklärt, ist aber ein perfektes Paradebeispiel dafür, wie Menschen heute über Teilhabe denken.
Ein Vater musste bei einer Vorstellung im Hamburger Planetarium mit seinem im Rolli sitzenden Kind das Feld räumen: Das Kind durfte den Rolli nicht verlassen, um in den zurückklappbaren Sesseln Platz zu nehmen, um so noch besser die Vorstellung verfolgen zu können. Grund hierfür seien die Brandschutzverordnungen für das Gebäude. Das Geld gab es natürlich nicht zurück, er hätte die Vorstellung ja trotzdem verfolgen können, wenn auch nur im für Rollstuhlfahrer vorgesehenen Platz! Es versteht sich makabererweise schon fast von selbst, dass der Kindsvater der Buhmann war: Es gibt den Brandschutz, er hätte ja seinen Sohn im Rolli auf den dafür vorgesehenen Rollistellplatz sitzenlassen können etc. Und mal wieder war der regelkonforme Nichtbehinderte, oder die Einrichtung, der „Gute“, alle die Fordern die „Bösen“.
Damit nicht genug, entbrannte in den sozialen Medien, vornehmlich Facebook, eine heftige Diskussion über Inklusion, über uns Menschen mit Behinderung und unser Bestreben, möglichst alle Einrichtungen und Aktivitäten im Bereich der Freizeitgestaltung auch uneingeschränkt nutzen zu können. Ich hatte mich aktiv an dieser Diskussion beteiligt und war entsetzt über die immer noch vorherrschenden Ansichten, dass wir bitteschön uns mit Weniger zufrieden geben sollen. Nicht jede Veranstaltung und nicht jeder Veranstaltungsort muss von uns uneingeschränkt genutzt werden können, nicht jede S-Bahn muss barrierefrei sein; im Grunde wollte man uns sagen, dass – so schrieb es jemand sinngemäß – „wir nicht sterben werden, bloß weil wir nicht im Rolli mit der S-Bahn bspw zum Hafen fahren können“.
Für viele Nichtbehinderte ist Behinderung auch heute noch immer mit Einschränkungen verbunden bzw. gleichgesetzt und wir hätten zu akzeptieren, dass es diese eben gibt, dass wir aufgrund derer bestimmte Dinge nun einmal nicht machen können. Und es würde an Selbstüberschätzung grenzen, wenn wir diese Grenzen eben nicht erkennen könnten. „Oder kannst du als Blinder etwa Auto fahren? Wenn du schon sagst, dass man als Behinderter alles können muss?“, bekam man als weitere „Argumentationen“ ebenfalls zu lesen. Es zeigte nur vielmehr, wie wenig sich Menschen aus ihrer Komfortzone hinausbewegen wollen und wie wenig sie sich wirklich in jemanden hineinversetzen wollen.
Es ist generell traurig, dass man heute überhaupt derartige stundenfüllende Diskussionen führen kann bzw. muss. Es ist zermürbend, dass in einer eigentlich so weltoffenen Stadt wie Hamburg es wohl immer noch Mitmenschen gab bzw. gibt, die sich an tickenden Ampeln, piepsenden U-Bahn-Türen, Durchsagen, Baumaßnahmen zur Barrierefreiheit und dem Wunsch von Rollifahrern oder wem auch immer, die einfach mal ein Konzert besuchen wollen, so enorm stören können. Aber wenn es in Hamburg schon solche Strömungen und Meinungen gab bzw. gibt, finden wir sie in anderen Städten wohl auch. Und das halte ich für mehr als bedenklich, das ist nämlich das eigentliche Hindernis, das uns bei Inklusion und Teilhabe im Wege steht. Und es soll mir jetzt keiner kommen, dass alles seine Zeit braucht, wir noch nicht so weit sind etc. – vertröstet wurden wir schon viel zu lange.
Sie können oder wollen sich nicht in uns hineinversetzen. Und ich will wirklich niemandem etwas Böses, wenn ich sage, dass ich manchen – und sei es nur für einen Tag – wünschen würde, sie müssten einmal die andere Seite der Medaille kennenlernen. Einmal selber die Erfahrung von Bevormundung, Behütung, Diskriminierung und Ausgrenzung machen und somit mal in den eigenen Spiegel blicken. Ein Glück, und das ist ein kleiner Lichtblick, sind soziale Medien wie Facebook nur ein kleiner Mikrokosmos. Und es gibt genug couragierte Menschen da draußen, auf die das alles nicht zutrifft.
Es ist, wie jemand auch auf Facebook schrieb, wie bei den Freizeitparks, Kreuzfahrtschiffen oder auch Schwimmbädern: Es gibt Regeln, halte dich an diese, lebe damit, aber begehre nicht auf! Ansonsten stößt man, wie ebenfalls geschrieben wurde, auf Unverständnis, sowohl in den eigenen als auch in den nichtbehinderten Reihen – auch eine Form der Obrigkeitshörigkeit. Und dies erinnert mich an eine Metapher, die ich vor einigen Jahren mal in diesem Zusammenhang gebraucht habe, der Kindervergleich: Als Kind gehörst du zu den Kleinen. Dir werden zwar Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung eingeräumt, aber alles unter schützender Beaufsichtigung durch die Großen. Sprich, wir Behinderten dürfen schon unseren Alltag gestalten, an Aktivitäten teilnehmen, aber auch nur soweit, wie die nichtbehinderte Mehrheit es uns gestattet. Zufriedenstellend ist anders, inklusiv erst recht!
Nicht zuletzt spielt aber auch eine gehörige Portion Angst, finanzieller Druck und der Wunsch nach Sicherheit eine gehörige Rolle. Wie oben gesagt, so lang Inklusion nichts kostet, weder Geld, Aufwandt noch Umdenken, ist sie toll, auf dem Papier oder im Gesetz macht sie sich erst recht gut. Aber umsetzen? Nein, danke! Und warum überhaupt? Für die paar Menschen? Dass aber auch Nichtbehinderte von all den Maßnahmen, welcher Couleur auch immer, profitieren könnten, will am Ende keiner von ihnen sehen. Dass auch einer Mutter mit Kinderwagen ein Aufzug, breiteren Wegen etc. etwas nützt, hatte nämlich während der Facebookdiskussion schon keinen so wirklich interessiert oder es wurde mit den Worten „das sei ja ganz was anderes!“ mal eben abgebügelt.
Die Inklusionsrgumente wurden oft schon, auch auf anderen Seiten, genannt, verpuffen jedoch scheinbar im nichts. „Du hast ja Recht, mit dem, was du sagst“ oder „Ja und, ändern wird sich dadurch eh nichts und schon gar nicht morgen!“, sind dann die beschwichtigenden Antworten. Das ist, als würde ich zu einem Verletzten sagen, dass es nicht wehtut, obwohl es wehtut.