Frühlingszeit ist für viele Menschen zugleich auch Reisezeit – so auch wieder für mich! Nach kürzeren Trips nach London, Paris, Dresden oder Düsseldorf, jeweils immer in Begleitung, stand mir dieses Mal wieder der Sinn nach Abenteuer!
Zwar ist das Reisen in Begleitung von Freunden oder Partner auch immer ein besonders schönes Erlebnis, da man das Erlebte quasi sofort mit anderen teilt, aber wer mich kennt bzw. meine bisherigen Reiseberichte gelesen hat, der weiß, dass ich sehr häufig nie den einfachsten Reiseweg wähle. Mich reizt das Abenteuer, die Reise (in gewisser Weise) ins Ungewisse, der Kontakt mit anderen Menschen vor Ort. Gerade letzteres entfällt sehr oft, da man – gewollt oder ungewollt – sich eher mit den Leuten unterhält, mit denen man unterwegs ist und nicht das Gespräch mit z. B. Einheimischen sucht.
Ein weiteres Faible sind Groß- bzw. Hauptstädte. Denn wo viele Erholung und Entspannung im Urlaub suchen, suche ich Trubel und das pure Großstadtabenteuer.
Die Wahl fiel mir dieses Mal schwerer. Fest stand aber von Anfang an, dass es nach meinem zehntägigen Mammut-Trip durch Skandinavien vor vier Jahren wieder eine Rundreise durch verschiedene Städte sein soll. In die engere Auswahl kamen zwei mögliche Routen: Baltikum (Riga, Vilnius, Tallinn) oder Balkan-Route (Belgrad, Zagreb, Sarajevo). Da ich die Reise mit Flugzeug vermeiden wollte (irgendwie fliegt man ja immer), ich jedoch bei meinen Recherchen feststellen musste, dass hierfür die Baltikum-Route weniger geeignet ist, entschied ich mich, Ende April diesen Jahres den Südosten Europas zu bereisen: Belgrad, Sarajevo, Zagreb und Ljubljana – alles mit Bus oder Bahn!
Während meiner Reise entstanden nicht nur Reiseberichte in schriftlicher Form. Die Galerien zu den jeweiligen Städten mit insgesamt ca. 800 Bildern findet Ihr unter den folgenden Links: Budapest | Belgrad | Sarajevo | Zagreb | Ljubljana
Aber auch rund 400 Minuten Videomaterial bieten einen kleinen Eindruck von meinen Erlebnissen und geben einen Überblick über die besuchten Orte; meinen Reise-Videoblog findet Ihr in gebündelter Form hier, ausgewählte Videos sowie einige aufgenommene Sounds, sind unter den jeweiligen Tagesartikeln zu finden.
Exkurs: Reisen, als blinder… und dann noch allein?
Sehr häufig werde ich im Zusammenhang mit meinen Reiseunternehmungen gefragt, inwieweit ich solch ein Reiseabenteuer im Voraus plane? Meine Antwort: So gut, wie überhaupt nicht! Natürlich informiere ich mich vorab über meine geplanten Ziele (z. B. über die Reisewikis von Wikitravel oder Wikivoyage), ein richtiges Durchplanen der einzelnen Tage findet jedoch nicht statt. Lieber informiere ich mich jeweils vor Ort und lasse mich durch Empfehlungen oder einen geführten Stadtrundgang am ersten Tag für weitere Aktivitäten inspirieren. Zur Orientierung vor Ort dient mir weder Navi oder eine andere Smartphone-App, da ich für mich persönlich die Erfahrung machen musste, dass Infos von Passanten meist aussagekräftiger und „besser“ waren, als die ihrer elektronischen, digitalen Pendants.
Ich überlasse somit vieles dem Zufall, was das Reisen für mich aber auch interessanter und unvorhersehbarer macht. Die Sicherheit, die viele – vor allem auch blinde Reisende – suchen und brauchen, empfinde ich teilweise (je nach Art und Grund der Reise) eher als störend – oder sagen wir lieber: unnötig.
Tagesnavigator
- Einleitung und Tag 1 (14.04.)
- Tag 2 (15.04.)
- Tag 3 (16.04.)
- Tag 4 (17.04.)
- Tag 5 (18.04.)
- Tag 6 (19.04.)
- Tag 7 (20.04.)
- Tag 8 (21.04.)
- Tag 9 (22.04.)
- Tag 10 (23.04.)
- Tag 11 (24.04.)
- Tag 12 (25.04.)
- Fazit: Gedanken über das alleine Reisen
Tag 1: Anreise-Abenteuer
samstag , 14.04.2018
Nach einer relativ kurzen Nacht klingelte um 3:50 Uhr der Wecker. Da Koffer und Kameratasche bereits gepackt waren, hieß es nur noch, schnell unter die Dusche zu springen, ein wenig Proviant einzupacken und sich dann mit einem Taxi auf dem Weg zum Bahnhof zu machen.
Einigermaßen pünktlich um kurz nach 5:00 Uhr stieg ich in den ICE, welcher mich zum Münchner Hauptbahnhof bringen sollte, hier wollte ich den sog. „Railjet“, eine Kooperation der Deutschen, Österreichischen und Ungarischen Bahn, nach Budapest-Keleti besteigen. Die Fahrt nach München verlief unkompliziert und ohne weitere Vorkommnisse oder bahntypische Verspätungen.
Und so kam ich um 10:45 Uhr in München an und machte mich sogleich auf dem Weg zum Abfahrtsgleis des Railjets. Der Zug stand auch schon bereit, so dass ich ohne Eile meinen reservierten Platz suchen und mich quasi häuslich einrichten konnte – schließlich würde die Fahrt nach Budapest rund sieben Stunden in Anspruch nehmen.
Bereits hinter München erfolgte die erste Fahrkartenkontrolle und ich fragte den Schaffner, ob es eventuell in Budapest die Möglichkeit gäbe, dass mir jemand am Bahnhof ein wenig behilflich sein könnte. Er zuckte mit den Achseln; das sollte ich am besten die Kollegen aus Österreich oder besser noch aus Ungarn fragen – was ich dann auch tat. Jedoch war es am Ende der Schaffner, der mich in Budapest zum Reisezentrum brachte.
Atmo-Aufnahme Bahnhof Budapest-Keleti
Ich wollte ab Budapest mit dem Nacht-D-Zug bis zu meinem ersten Ziel (Belgrad) fahren. Da es von Deutschland aus eher schwieriger ist, an die Fahrkarte zu kommen und da hier meist horrende Aufschläge verlangt werden, wollte ich die Karte für den Nachtzug vor meiner Weiterfahrt am Schalter in Budapest kaufen. Anders, als in vielen Reiseberichten beschrieben, war die Warteschlange wiedererwartend kurz und ich kam quasi sofort dran. Die Fahrt nach Belgrad kostete mich 10 Euro, sollte ich einen Platz im Schlafwagen bevorzugen, würde ich die Karte hierfür vom Zugbegleiter vor der Abfahrt bekommen. Ansonsten könne ich mir einfach einen freien Platz im Sitzwagen suchen.
Die nächste Herausforderung war es, ein freies Schließfach zu finden. Das Personal am Bahnhof sprach nur gebrochen Englisch, doch mit etwas Geduld gelang mir auch dieses Unterfangen. Der Bahnhof bietet auch Schließfächer an, die mit Euro bezahlt werden können, was sehr praktisch ist, vor allem, wenn man sich nur auf der Durchreise befindet.
Bis zur Abfahrt um 22:15 Uhr waren es jedoch nun immer noch mehr als drei Stunden! Ich entschloss mich, ein wenig die Gegend um den Bahnhof unsicher zu machen. Zudem wusste ich aus Reiseartikeln, dass das Bahnhofsgebäude architektonisch interessant gestaltet sein soll und beschloss, ein paar Foto- und Videoaufnahmen vor dem Bahnhofsgebäude zu machen. Da zum Zeitpunkt meines Videodrehs gerad eine Gruppe von Straßenkünstlern ihr Equipment aufbaute und sich die Musik, nach einer ersten Soundprobe, auch recht gut anhörte, fragte ich kurzerhand, ob ich einen oder zwei Songs für meinen Video-Reisebericht aufnehmen dürfe? Heraus kam eine ca. fünfminütige Improvisation aus drei Songs, die die Musiker miteinander verknüpften.
Am Ende der Aufnahme war jedoch immer noch mehr als genug Zeit übrig! Ich fragte Adam, einen der Musiker, wie weit es bis in die Innenstadt sei, beispielsweise zur Basilika? Er erklärte mir, ich könne einen Bus nehmen, ein/zwei Haltestellen fahren und von dort aus zu Fuß laufen.
Auf dem Weg zur Bushaltestelle traf ich zwei Damen um die 50, die eine in Ungarn, die andere in Israel geboren, die den gleichen Weg hatten, wie ich und mir anboten, mich zur Basilika mitzunehmen; sie wollten sich dort in ein Café setzen und etwas trinken – warum nicht, dachte ich und willigte ein. Wir unterhielten uns, während wir auf den Bus warteten und ich erzählte ihnen von meinem Reisevorhaben und auch von der Idee, die Reise auch in Bild und Ton festzuhalten. Sie lachten und meinten, das klänge für sie sehr „strange“, ein Blinder der Fotos und Videos macht? Sie merkten jedoch schnell, dass es mir hiermit mehr als ernst war und die Belächelung änderte sich ein wenig in Akzeptanz. Warum ich ausgerechnet nach Belgrad oder Sarajevo reisen würde, stellten sie auch schon die nächste Frage, es seien doch zwei Städte mit eher ärmerer Bevölkerung und Diebstähle seien dort an der Tagesordnung. Typische Klischees, die – so konnte ich vorab auch schon zahlreich lesen – mehr als überholt sind. Denn Taschendiebe gibt es überall und wer auf offener Straße sein Geld zählt oder den teuersten Schmuck zur Schau stellt, braucht sich nicht zu wundern, wenn man langfingrige Bewunderer hat… 😉
Der Weg zur Basilika war doch länger, als gedacht. Von der Ausstiegshaltestelle aus waren es immer noch 20 bis 25 Minuten Fußmarsch, den wir hätten zurücklegen müssen. Da Susana, eine der beiden Damen, jedoch nicht gut zu Fuß war und auch an Krücken lief, nahmen wir ein Taxi für das kurze Stückchen. Unterwegs fuhren wir noch an Ausläufern einer Großdemonstration vorbei. In Ungarn wurde gewählt, so erklärte man mir, und ein Teil der Bevölkerung sei mit dem Wahlausgang alles andere als zufrieden. Viel bekamen wir jedoch von der Demo nicht mit und erreichten nach kurzer Fahrt unser Ziel – die St.-Stefans-Basilika.
Nach ein paar kurzen Video- und Fotoaufnahmen setzten wir uns in ein nahegelegenes Bistro und bestellten etwas kühles zu trinken. Und schon wieder sorgte ich für Erstaunen bei den beiden Damen – ein Deutscher, der kein Bier trinkt, geschweige denn Alkohol? Derweil wurde Susana von ihrer Schwester angerufen, die ihr mitteilte, dass sie, sollte sie demnächst vorhaben, irgendwie durch die Stadt in Richtung Bahnhof zu fahren, dies schleunigst bald tun müsse, die ganze Stadt wäre voll von Demonstranten und viele Straßen seien daher für den Autoverkehr gesperrt. Super, tolle Voraussetzung, um pünktlich zum Zug zurück zu kommen – dachte ich und sprach meine Bedenken auch laut aus. Wir tranken aus und nahmen sogleich ein Taxi, welches uns zurück zum Keleti-Bahnhof brachte.
Die Beiden Damen waren mir noch beim Auffinden meines Schließfaches sowie bei der Zugsuche behilflich. Anders, als in Deutschland, gibt es zwar einen Abfahrtsplan, welcher die Züge und deren Abfahrtszeiten beinhaltet, von welchem Gleis der entsprechende Zug jedoch fährt, muss vor der Abfahrt erfragt werden. Ich hatte Glück, denn der Bahnsteig stand bereits fest und der Zug stand einstiegsbereit am Gleis.
Susana und ihre Freundin übergaben mich, mit einem merklich unguten Gefühl, an den Zugbegleiter, der nur wenige Brocken Englisch sprach. Der Platz im Liegewagen kostete mich 10 Euro. Die am Schalter gekaufte Fahrkarte wurde eingesammelt und mir am nächsten Tag beim Ausstieg wiedergegeben.
Der Zug bestand aus uralten Liegewagen sowie neueren Sitzwagen aus Russischer Produktion. Aus den Reiseblogs wusste ich, dass Teile der Liegewagen entweder noch aus der Zeit vor dem Jugoslavienkrieg oder aus DDR-Beständen stammten; für Bahnfans somit ein Muss und ein Abenteuer sondergleichen. Doch nichts desto trotz merkte man dem Zug sein Alter an. Wenigstens gab es jedoch vom Zugbegleiter ein Laken für die abgewetzten Liegen sowie eine Decke und ein Kissen für die Nacht.
Zu Beginn der Fahrt war ich auch nicht alleine im Abteil. Ein Rucksacktourist aus Holland wollte ebenfalls nach Serbien fahren. Es hätte eine lange Nacht mit viel Gesprächsstoff werden können, jedoch hatte man ihm am Bahnhof ein falsches Ticket verkauft, so dass er im nächsten Bahnhof den Liegewagen verlassen und in die Sitzklasse wechseln musste. Der resolute Zugbegleiter kannte hier kein Erbarmen, Nachlösen war aus uns unerfindlichen Gründen auch nicht mehr möglich. Somit hätte ich somit das gesamte Sechserabteil für mich, teilte mir der Zugbegleiter grinsend mit und versprach, mich am nächsten Tag vor der Ankunft in Belgrad zu wecken.
Ich machte es mir, so gut es eben ging, in meiner Koje „bequem“, zuvor verriegelte ich jedoch noch das Abteil. Zwar konnte keiner der Autoren DER Zugreiseberichte, die ich zuvor gelesen hatte, die oft zu findende WARNUNG VOR DIEBESBANDEN BESTÄTIGEN; ABER SICHER IST SICHER: 😉
Um 1:00 Uhr wurde ich das erste Mal durch unsanftes Poltern an der Abteiltür geweckt. Die erste von zwei Passkontrollen stand an. Bei der Einreise nach Serbien mit der Bahn wird sowohl auf Ungarischer als auch auf Serbischer Seite kontrolliert. Zwischen den Kontrollen liegen rund 60 Minuten. Somit war für mich zwischenzeitig AN Schlaf NICHT zu denken, da ich ja von der zweiten „Störung“ wusste.
Nach rund drei Stunden Schlaf wachte ich um 5:30 Uhr auf. Ich wusste, dass der Zug grob gegen 6:20 Uhr Belgrad erreichen sollte. Ich öffnete das Fenster und atmete tief die frische Fahrtluft ein. Irgendwie war die Heizung wohl im Abteil defekt. Es herrschten Zwischenzeitig Tropentemperaturen, jedoch war ich im Halbschlaf zu faul gewesen, das Fenster zu öffnen. Ich entriegelte die Abteiltür, um für ein wenig Durchzug zu sorgen. Kurz darauf klopfte der Zugbegleiter und teilte mir mit, dass wir rund eine Stunde Verspätung hätten und ich wieder schlafen gehen soll! Leichter gesagt, vor allem, wenn man eigentlich mal dringend wo hin müsste… Aber aus den Berichten und auch von meinem Niederländischen Kurzzeitmitfahrer wusste ich, dass man dies möglichst vermeiden sollte. Also Aushalten und Abwarten, hieß die Devise.
Und so kam ich mit genau 60 Minuten Verspätung in Belgrad an. Am Bahnsteig wurde ich bereits erwartet. Ich hatte mit der Jugendherberge ausgemacht, dass sie mir jemanden schicken, der mich zur Unterkunft fährt. Und so endete der erste Urlaubstag, den ich zwar komplett auf Schienen verbracht habe, der jedoch dadurch nicht weniger aufregend gewesen war. Tag zwei stand quasi schon vor der Tür, denn an Schlaf war für mich nicht mehr zu denken.
Eine Antwort auf „Zwölf Tage blind durch den Balkan: Ein Reisebericht aus Belgrad, Sarajevo und Zagreb“
Ich wünsche Dir viel Spaß und viele gute Inspirationen.