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Zwölf Tage blind durch den Balkan: Ein Reisebericht aus Belgrad, Sarajevo und Zagreb

Frühlingszeit ist für viele Menschen zugleich auch Reisezeit – so auch wieder für mich! Nach kürzeren Trips nach London, Paris, Dresden oder Düsseldorf, jeweils immer in Begleitung, stand mir dieses Mal wieder der Sinn nach Abenteuer!

Zwar ist das Reisen in Begleitung von Freunden oder Partner auch immer ein besonders schönes Erlebnis, da man das Erlebte quasi sofort mit anderen teilt, aber wer mich kennt bzw. meine bisherigen Reiseberichte gelesen hat, der weiß, dass ich sehr häufig nie den einfachsten Reiseweg wähle. Mich reizt das Abenteuer, die Reise (in gewisser Weise) ins Ungewisse, der Kontakt mit anderen Menschen vor Ort. Gerade letzteres entfällt sehr oft, da man – gewollt oder ungewollt – sich eher mit den Leuten unterhält, mit denen man unterwegs ist und nicht das Gespräch mit z. B. Einheimischen sucht.

Ein weiteres Faible sind Groß- bzw. Hauptstädte. Denn wo viele Erholung und Entspannung im Urlaub suchen, suche ich Trubel und das pure Großstadtabenteuer.

Die Wahl fiel mir dieses Mal schwerer. Fest stand aber von Anfang an, dass es nach meinem zehntägigen Mammut-Trip durch Skandinavien vor vier Jahren wieder eine Rundreise durch verschiedene Städte sein soll. In die engere Auswahl kamen zwei mögliche Routen: Baltikum (Riga, Vilnius, Tallinn) oder Balkan-Route (Belgrad, Zagreb, Sarajevo). Da ich die Reise mit Flugzeug vermeiden wollte (irgendwie fliegt man ja immer), ich jedoch bei meinen Recherchen feststellen musste, dass hierfür die Baltikum-Route weniger geeignet ist, entschied ich mich, Ende April diesen Jahres den Südosten Europas zu bereisen: Belgrad, Sarajevo, Zagreb und Ljubljana – alles mit Bus oder Bahn!

Während meiner Reise entstanden nicht nur Reiseberichte in schriftlicher Form. Die Galerien zu den jeweiligen Städten mit insgesamt ca. 800 Bildern findet Ihr unter den folgenden Links: Budapest | Belgrad | Sarajevo | Zagreb | Ljubljana

Aber auch rund 400 Minuten Videomaterial bieten einen kleinen Eindruck von meinen Erlebnissen und geben einen Überblick über die besuchten Orte; meinen Reise-Videoblog findet Ihr in gebündelter Form hier, ausgewählte Videos sowie einige aufgenommene Sounds, sind unter den jeweiligen Tagesartikeln zu finden.

Exkurs: Reisen, als blinder… und dann noch allein?

Sehr häufig werde ich im Zusammenhang mit meinen Reiseunternehmungen gefragt, inwieweit ich solch ein Reiseabenteuer im Voraus plane? Meine Antwort: So gut, wie überhaupt nicht! Natürlich informiere ich mich vorab über meine geplanten Ziele (z. B. über die Reisewikis von Wikitravel oder Wikivoyage), ein richtiges Durchplanen der einzelnen Tage findet jedoch nicht statt. Lieber informiere ich mich jeweils vor Ort und lasse mich durch Empfehlungen oder einen geführten Stadtrundgang am ersten Tag für weitere Aktivitäten inspirieren. Zur Orientierung vor Ort dient mir weder Navi oder eine andere Smartphone-App, da ich für mich persönlich die Erfahrung machen musste, dass Infos von Passanten meist aussagekräftiger und „besser“ waren, als die ihrer elektronischen, digitalen Pendants.

Ich überlasse somit vieles dem Zufall, was das Reisen für mich aber auch interessanter und unvorhersehbarer macht. Die Sicherheit, die viele – vor allem auch blinde Reisende – suchen und brauchen, empfinde ich teilweise (je nach Art und Grund der Reise) eher als störend – oder sagen wir lieber: unnötig.

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Gedanken-Gänge XXIII – Behinderung ist ein Manko oder: Warum Inklusion in Deutschland vielleicht nicht funktioniert

Über das Thema ‚Leben mit Behinderung’ wurde – sowohl in meinem, als auch in anderen Blogs – in den letzten Jahren viel geschrieben. Hinzugekommen ist seit geraumer Zeit auch das Themenspektrum der sog. „Inklusion“. Für viele ist dieses Wort bereits zum Unwort verkommen, da Inklusion in vieler Munde ist, vielerorts diskutiert wird und am Ende – so die Einschätzung vieler – eh wieder nichts dabei herauskommt. Und es gibt, so zumindest mein persönlicher Eindruck, auch gute Gründe, die diese Vermutung untermauern.

Inklusion wird scheinbar hierzulande meist im Zusammenhang mit Bildung gesehen. Hörte man in der Vergangenheit – beispielsweise im hinter uns liegenden Bundestagswahlkampf – etwas über Inklusion, so ging es meist um das Thema der Beschulung von Menschen mit Behinderung. Doch ist Inklusion nicht eigentlich viel viel mehr, als nur die Frage, wer wann wie und wo beschult werden sollte?

Inklusion bedeutet auch gleichberechtigte Teilhabe, nicht nur an Bildungsangeboten! Doch hiervon sind wir in Deutschland streckenweise noch meilenweit entfernt. Warum dies so ist, lässt sich nur erahnen.

Ein Grund könnte sein, dass Behinderung – sowohl von selbst Betroffenen als auch nichtbehinderten Menschen – immer noch als Manko gesehen wird. Wir sehen immer noch das, was wir nicht können, anstatt die Chancen und Möglichkeiten zu erkennen, die wir – trotz Behinderung – heutzutage haben und die andere ebenfalls haben können. Behindert ist für viele ein Schimpfwort. Auch wenn ich zu Beginn meiner Bloggertätigkeit das Wort vermieden habe, habe auch ich als selbst blinder Mensch inzwischen für mich gelernt, dieses Wort zu akzeptieren und auch zu nutzen. Ob wir jedoch „schwer“- oder „schwerst“-behindert sind, lassen wir mal ganz außenvor.

Die eigene oder die Behinderung anderer Menschen zu akzeptieren, scheint für viele auch heute noch ein großes Problem darzustellen. Behinderung ist ein Makel, ohne welches es sich besser (oder einfacher?) leben ließe. Das „Einfacher“ wird jedoch meist durch die nichtbehinderten Mitmenschen festgelegt und definiert. In ihrer Deutschen Fürsorglichkeit versuchen sie uns oft, Sicherheit zu vermitteln und beschützend uns vor dieser oder jener „Gefahr“ zu bewahren. Sie meinen entscheiden zu können, was wir brauchen und wollen – ein alter Hut, den ich in zahlreichen, älteren Artikeln bereits behandelt habe.

Jüngst der Fall eines Braunschweiger Arztes erregte meine Aufmerksamkeit und war mit der Auslöser für diesen Artikel. Eine Mutter entschied sich, bei ihrem gehörlosen neugeborenen Kind eben kein sog. CI-Implantat einsetzen zu lassen, durch das es hätte (bedingt) hören können – eigentlich ihr gutes und (aus meiner Sicht) verständliches Recht. Dieser Fall wird nun vor Gericht ausgetragen, da sowohl der HNO-Arzt der Braunschweiger Klinik als wohl auch das Jugendamt anderer Auffassung waren. Doch warum diskutieren wir hier überhaupt über so etwas? War die Aufklärungsarbeit von Behindertenverbänden in den letzten Jahrzehnten so sinnlos und für umsonst gewesen, das immer noch derartige Ansichten bzgl. Einer angeborenen Behinderung vorherrschen? Sind wir vielleicht im öffentlichen Leben noch nicht präsent genug, dass Behinderung – wie Segelohren, eine krumme Nase, ein wenig Hüftgold oder ein anderes, banales Etwas – als etwas gilt, dass es „abzustellen“ oder zu „beseitigen“ ist.

Es ist schön, wenn Forscher einen Weg finden, gehörlose wieder bedingt hörend zu machen, es Versuche gibt, Sehnerven gentechnisch zu erzeugen, es Prothesen für Hände, Beine, Hüfte etc. gibt, welche dem Träger das Leben erleichtern könnten – dies steht ganz außer Frage. Die eher ethische Frage ist jedoch, was machen derartige Möglichkeiten mit uns und unserem Denken über Behinderung?! Denn die Möglichkeit einer Möglichkeit ist doch für viele sicherlich schon Grund genug, Behinderung weiterhin als Manko zu sehen – es gäbe ja eine Alternative. Was wird eben aus den Leuten, die eben nicht bei jeder noch so kleinen Chance, ihre Behinderung ad acta zu legen, laut „hier!“ schreien werden? Warum? Weil sie sich, ihre Behinderung und ihr Leben so akzeptieren. Es ist keine hinnehmende Akzeptanz („Ich kann doch eh nichts an meinem Schicksal ändern…“), sondern eine erfüllende Akzeptanz, weil derjenige sein Leben aus seiner Sicht uneingeschränkt leben und auch genießen würde und nicht ewig in Selbstmitleid und Lethargie versinkt. Dieses ewige „Du könntest doch, warum tust du nicht?!“ bringt uns in unserer Diskussion um mehr Teilhabe und Inklusion überhaupt nicht weiter. Im Gegenteil! Es ist ermüdend, sich und sein Handikap immer und ewig erklären zu müssen. Wenn wir uns akzeptiert haben und mit unserer Behinderung im Reinen sind, ist Mitleid – in welcher Form auch immer – das Letzte, das wir brauchen.

Denn genau darum ist es – nach meinem Empfinden – hier in Deutschland ja so schwer, Inklusion wirklich zu (er)leben! Weil wir das Übel nicht an der Wurzel packen und uns lieber hinter Bildung und baulicher Barrierefreiheit verstecken. Inklusion und Barrierefreiheit fangen jedoch im Kopf eines jeden von uns an. Wenn wir immer nach Lösungen forschen, wie man Behinderungen beseitigen könnte, werden wir nie Behinderungen als solche zu akzeptieren und mit ihnen umzugehen lernen.

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Als Blinder im HSV-Stadion – ein kleiner Erfahrungsbericht

Sich Blind ins Getummel zu stürzen ist, egal ob auf Weihnachtsmarkt, Kirmes, Konzerten oder ähnlichen Veranstaltungen, manchmal eine wahre Herausforderung. Selbst Sehenden ist das Gewusel und das Gedränge oftmals schon zu viel des Guten.

Besonders mag dies auch für Fußballstadien gelten, denn zichtausende Besucher tummeln sich an einem Spieltag auf den diversen Rängen und Tribünen.

Nichts desto trotz wollte ich wissen, ob ein Stadionbesuch als blinder Besucher (ohne sehende Begleitung) machbar ist: Inwieweit wird einem blinden Gast Seitens des Ordnungs- und Securitypersonals geholfen? Wie hilfsbereit sind andere Fußballfans? Wie gestaltet sich die Anreise zum Stadion? Diesen Fragen sind wir, Björn Peters (selber blind) und ich, am vergangenen Sonntag – beim Spiel HSV gegen Hannover 96 – auf dem Grund gegangen!

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Freizeitparknutzung durch blinde Menschen oder: Wie gerechtfertigt sind Nutzungsbeschränkungen und Fahrtverbote?

Einleitung

Blind seinen Alltag zu meistern und auch außerhalb des häuslichen, geschützten Bereichs Freizeitbeschäftigungen nachzugehen, scheint für viele sehende Menschen teilweise schier unmachbar zu sein. Ob nun aus Gründen der eigenen Unterschätzung („Was wäre, wenn ich jetzt auf einmal erblinden würde?“) oder aus Gründen der Fürsorglichkeit, viele sehende Menschen können sich nur schwer in die Lage eines autonom handelnden, mobilen Blinden hineinversetzen.

Doch viele sehende Menschen, dies zeigten zahlreiche Diskussionen und Kommentare zu meinen für Parkerlebnis durchgeführten Freizeitpark-Tests, wollen sich scheinbar auch gar nicht in die Situation des Blinden hineinversetzen. Sie pochen auf ihre Einstellung, dass der Sehende besser wisse, was dem Blinden zuzutrauen sei und die dadurch entstehenden Teilnahmeverbote Seitens Betreiber doch nur all zu begründet wären.

„Im Gegensatz zu Diskriminierungen aufgrund anderer Merkmale im Sinne des AGG (ethnische Herkunft, Glauben, Geschlecht oder sexueller Orientierung etc.) treffen Menschen mit Behinderungen bei Ihrer Freizeitgestaltung oder auch im Alltag oftmals nicht auf Benachteiligungen aus Motiven der inneren Ablehnung, sondern auf solche, die zwar ebenfalls aufgrund von Vorurteilen, aber eher einer eigentlich positiv gemeinten überbordenden Fürsorge entspringen. Das Resultat ist jedoch das Gleiche, denn Menschen mit Behinderungen werden daran gehindert, für andere Menschen selbstverständlich zugängliche Angebote in Anspruch zu nehmen. Sei es die verbotene Achterbahnfahrt für einen blinden Menschen, der mit seinen Kindern einen Freizeitpark besucht, sei es der verwehrte Zutritt zum Restaurant im Fernsehturm oder auch nur der Hinweis vor einer Busfahrt, einem Hallenbadbesuch oder der geplanten regelmäßigen Nutzung eines Fitnessstudios, dass aufgrund des im Schwerbehindertenausweis eingetragenen Rechtes auf die Inanspruchnahme einer Begleitperson (Merkzeichen „B“) eine solche auch mitzubringen oder andernfalls eine Nutzung des jeweiligen Angebotes „leider“ nicht möglich sei. Gemeinsam ist diesen Praxisbeispielen von Freizeit- oder Alltagsdiskriminierungen, dass vermeintliche Experten für bestimmte Lebensbereiche besondere Gefahren im Falle der Nutzung durch behinderte Menschen vermuten, die sie aus versicherungstechnischen oder fürsorglichen Gründen durch ein Benutzungsverbot für diesen Personenkreis vermeiden wollen.“

(Richter 2017a)

Widmet man sich ein wenig intensiver dem Bereich der Freizeitparks und betrachtet einmal die Sicherheitsbestimmungen, welche zumeist auf den Parkhomepages (z. B. beim Hansa-Park, beim Phantasialand oder auch beim Europa-Park) nachzulesen sind, ergibt sich nicht nur ein verzerrtes Bild dessen, was blinden Besuchern zuzutrauen ist, sondern auch der Rolle, die ein möglicher, sehender Begleiter hier einnehmen soll. Der sehende Begleiter gilt für viele Parkbetreiber als Grundvoraussetzung für die (Be-)Nutzung ihrer Attraktionen. Als Gründe werden eventuelle Evakuierungen angeführt, bei denen es dem Fahrgast möglich sein muss, sich aus eigener Kraft zu befreien bzw. die Anlagen aus eigener Kraft, ohne Zuhilfenahme anderer, zu verlassen. Das eine Zuhilfenahme auch durch andere Besucher erfolgen kann, wird grundsätzlich ausgeschlossen. Einige Parks gehen sogar so weit, den Begleiter einem Betreuer gleichzustellen, was allein schon aus rechtlicher Perspektive höchst fragwürdig erscheint (vgl. hierzu die Testberichte zum Hansa-Park oder unserem Phantasialand-Besuch).

Ein ähnliches Bild findet sich auch bei der Nutzung von Schwimmbädern durch blinde Menschen scheinbar wieder. Auch hier wird häufig eine Begleitung vorausgesetzt.

Doch welche Rolle kann bzw. sollte eine Begleitperson tatsächlich einnehmen? Kann und darf vor allem eine Begleitperson im Sinne eines Freundes oder Partners bei einem Personenschaden haftbar gemacht werden, so er nicht grobfahrlässig herbeigeführt wurde? Ist somit die Grundbedingung einer Begleitung, beispielsweise für die Mitfahrt in einer Achterbahn, überhaupt tragbar?

Diesen Grundsatzfragen möchte ich in diesem Essay versuchen auf dem Grund zu gehen. Es hat in der Vergangenheit bereits erste Beobachtungen und Überlegungen bzgl. Der Nutzungsthematik in Freizeitparks gegeben, welche an passender Stelle auch angeführt und zitiert werden sollen.

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Blindismen: Die körpersprache blinder Menschen oder etwas, das es abzustellen gilt?

Oftmals handeln wir nach bestimmten Mustern. Diese Verhaltensmuster haben wir uns im Laufe unseres Lebens angeeignet, uns abgeschaut und erlernt. Als Kind zu lernen funktioniert – zu einem Großteil – über das Auge. Babys lernen sehr schnell, die Mimik und Gestik der „Großen“ zu imitieren und später für sich zu verinnerlichen.

Doch bei vielen geburtsblinden Menschen fehlen diese Informationen. Sie können eben nicht (oder nur eingeschränkt) als Kind die Gesten der Erwachsenen nachahmen und für sich lernen, wie man mit dem Körper spricht. Hinzu kommen noch weitere Schwierigkeiten, wie die Unsicherheit der sehenden Eltern, wie ihr blindes Kind erzogen werden soll, wie sie ihrem Kind Dinge beibringen können etc. und nicht zuletzt auch die – vor allem früher – auftretenden, weiteren Erkrankungen.

Gerade bei geburtsblinden Menschen sind häufig Verhaltens- und Bewegungsmuster zu beobachten, die vor allem sehende Menschen im Umgang mit Blinden verunsichern und irritieren. Die sogenannten „Blindismen“, dieses Bewegen des Oberkörpers oder das Wiegen des Kopfes verunsichert viele und macht einen lockeren, offenen Umgang miteinander somit aus Sicht vieler unmöglich.

Doch was sind diese „Blindismen“ und woher kommen sie? Was sind die Ursachen und kann man Abhilfe schaffen? Sollte man überhaupt Abhilfe schaffen, wo doch sehende Menschen auch viele Ticks und Gesten an den Tag legen, die auf viele – ob nun blind oder sehend – befremdlich wirken könnten?

Im folgenden Beitrag versuche ich, anhand von einigen Quellen, Antworten auf die skizzierten Fragen zu geben.

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Gedanken-Gänge XXII – Was? Wann? Wo? Wieviel? oder: Digitale Hilfe zur Selbsthilfe oder technikgestützter Verlust der Selbstwarnehmung?

Schon erstaunlich, was wir, gestützt durch die neuen Medien, alles erfassen, protokollieren, ja sogar kontrollieren können. Ich rede hier nicht von der vielseits diskutierten Kameraüberwachung an öffentlichen Orten, eher geht es mir um die „digitale Selbstvermessung“ oder „Lifelogging“, zwei Begriffe, die in Deutschland u. A. vom Wissenschaftler Stefan Selke etabliert wurden.

Egal, ob am Arbeitsplatz oder im privaten Umfeld, ob bei uns selbst oder bei Kindern, Partnern o. Ä., viele Lebensaktivitäten, Gewohnheiten etc. lassen sich heutzutage digital erfassen und protokollieren. Und der Trend setzt sich weiter unaufhaltsam in diese Richtung fort.

Wieviele Schritte bin ich gelaufen im Vergleich zu gestern? Wenn ich einen Burger, eine Tafel Schokolade, Salat mit etwas gehaltvollerem Dressing esse und somit x Kalorien zu mir genommen habe, was darf ich dann morgen noch essen, um den BMI-gestützten Kalorien- und Gewichtshaushalt nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen? Ich habe nur 3 Stunden geschlafen, ist mit mir alles in Ordnung oder hätte ich besser schon um 2:30 Uhr aufstehen sollen, als ich kurz wach war? Hilfe, mein Kind schreit bereits seit 25 Minuten, meine App meldet, ALARM!

Vier kleine, wenn auch prägnante Beispiele, welche verdeutlichen sollen, wieweit es inzwischen in unserer Gesellschaft um die Selbstprotokollierung bestellt ist. Nicht wir wissen, was wann für uns das beste ist, sondern unser digitaler Lebenspartner Smartphone. Apps regeln unsere Gesundheit, die Krankenkassen unterstützen dieses seltsame Verhalten auch noch durch Bonusprogramme. Laut Selke erkennen spezielle Apps beim Telefonieren auch schon anhand unserer Stimme unseren Gemütszustand und vereinbaren im Hintergrund schon einen Arzttermin – dies allein ist krank. Unsere Health-App weiß, wann es Zeit für uns ist, wieder einmal etwas Sport zu treiben – lustig allerdings, dass viele Apps einer Fehlprogrammierung unterliegen und diesen Hinweis gerne mal nach dem Treppenerklimmen ausspucken. Apps helfen uns beim Fitnesstraining, beim Abnehmen, sie wachen über unseren Schlaf und protokollieren anhand Geräuschaufzeichnung, wie ruhig oder unruhig wir die Nacht überstehen. Unser Smartphone weiß immer wie ein Erzieher, wann es für uns wieder an der Zeit ist – für was auch immer.

Etwas provokant könnte man jetzt hinterfragen, wie dumm wir eigentlich werden, dass wir unseren Alltag, unser Leben, unsere Gesundheit immer mehr dem digitalen Wächter anvertrauen und somit immer mehr uns selbst gegenüber unsicherer werden? Ist uns das Ansehen anderen gegenüber, die Angst, zu wenig Anerkennung zu bekommen oder den Anschluss an den Mainstream zu verlieren, so enorm wichtig geworden, dass wir so blindlinks in unser Verderben rennen? Und die Antwort lautet: JA. Viel zu wichtig ist in den letzten zwei Jahrzehnten die Vergleichbarkeit mit anderen geworden, viel zu wichtig scheint es zu sein, mit dem Gros der Gesellschaft eins zu sein und Konformität und Normen anstatt Individualität zu leben.

Wozu dieses blinde Vertrauen in digitale Selbstvermessungsmethoden gipfeln kann, beschreibt Selke u. A. in einem Aufsatz wiefolgt:
„Die gesellschaftlichen Folgen der umfassenden Selbstverdatung sind dramatisch. Denn umso mehr der Mensch zum numerischen Objekt wird, desto stärker wird die Vermessung durch Lifelogging zum Organisationsprinzip des Sozialen – und führt zu neuen Formen sozialer Diskriminierung: „Rationale Diskriminierung“ basiert nicht mehr auf rassistischen oder sexistischen Formen der Aberkennung, sondern auf vermeintlich objektiven und rationalen Messverfahren. […] Schon jetzt führt Lifelogging dazu, dass immer mehr Lebenssituationen nur noch abstrahiert wahrgenommen werden. Zudem verändert sich die Wirkung der Daten: Deskriptive, also beschreibende Daten werden allmählich zu normativen Daten, die soziale Erwartungen enthalten. Diese Informationen formen dann einen Korridor zwischen dem „Gipfel der Perfektion“ und dem „Sockel der sozialen Respektabilität“. Die Selbstvermessung erzeugt damit einen wachsenden sozialen Anpassungsdruck und moralische Konformität. Die entscheidende Frage lautet dann: Wie sieht die Norm künftig aus, und wie weit darf man künftig noch von ihr abweichen?“ (Selke, Stefan (2015): Lifelogging oder: Der fehlerhafte Mensch. (In): Blätter für Deutsche und Internationale Politik. Mai 2015. Online Abrufbar; letzter Zugriff: 13.10.2017).

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Rheinkirmes als Blinder erleben – Ein Testbericht

Sich blind ins Getümmel eines Volksfestes zu stürzen? Für viele sehende Menschen oftmals ein vermeintliches Ding der Unmöglichkeit. Gerade auch, wenn es dabei um Orientierung und vor allem um die (Be-)Nutzung der zahlreichen Karussells und weiteren Attraktionen geht. Dass jedoch eine Kirmes von einem Blinden besucht und die zahlreichen Fahrgeschäfte auch genutzt werden können, zeigten unsere bisherigen Tests zum Beispiel des Cannstatter Wasen, des Oktoberfest oder des Hamburger Dom. Doch wie verhält es sich bei der Rheinkirmes in Düsseldorf, dem größten Volksfest am Rhein?

An einem Freitag im Juli besuchte ich, ohne sehende Begleitung, das Düsseldorfer Festgelände und testete ausgiebig die dortige Beschickung. Mit dabei auch eine der Kirmes-Neuheiten 2017: „Mr. Gravity“ vom Schausteller Oberschelp. Bei Oberschelps bereits etablierter Attraktion „High Impress“ war eine Mitfahrt auf anderen Volksfesten ohne Begleitung ohne Probleme möglich. Wie verhält es sich bei seinem neuen Fahrgeschäft?

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Blind auf dem Cannstatter Wasen: Ein Testbericht

Bild Copyright Thomas Frank, Parkerlebnis.de

Sich blind ins Kirmes-Getümmel zu stürzen und dem Wunsch nach dem Adrenalinkick auf dem Volksfest freien Lauf zu lassen, ist – Anders, als in so manch Deutschem Freizeitpark – ohne Weiteres möglich. Das zeigten meine bisherigen Tests. Wo blinden Besuchern in Freizeitparks eine Mitfahrt teils nur mit sehender Begleitung gestattet wird, können Kirmes-Besucher ohne Augenlicht auch ohne einen sehenden Begleiter Fahrgeschäfte nutzen. Bisher konnte ich erfolgreich den Hamburger Dom, das Münchner Oktoberfest sowie die Annakirmes in Düren testen.

Natürlich wiederholen sich viele Fahrgeschäfte auf den einzelnen Plätzen, aber jeder Betreiber könnte unterschiedlich mit der Thematik Blindheit und dem Fahrtwunsch umgehen. Darum führte mich im Oktober letzten Jahres mein Weg zum Cannstatter Volksfest (auch Wasen genannt), welches vom 23. September bis zum 9. Oktober im Stuttgarter Bezirk Bad Cannstatt stattfand.

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Gedanken-Gänge XXI – Von nichts kommt nichts oder: Inklusion muss laut sein!

Sich aufzuregen bringt doch eh nichts! Diesen Satz hört man sehr häufig, gerade, wenn man sich in einer Situation ungerecht behandelt fühlt und seinem Frust, egal wo, einfach mal Luft macht.

Am 27.06. sorgte ein Artikel aus der Gehörlosenzeitung auf Facebook für Diskussionen: Keine Achterbahn für Gehörlose hieß es dort, eine prägnante Aussage, welche – sowohl bei Menschen mit als auch ohne Handikap – für sehr kontroverse Diskussionen sorgte.

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Gedanken-Gänge XX – Ansprechen ist schon schwer, miteinander zu reden noch viel mehr… oder: In Deutschland ist Schweigen Gold

Stellt Euch doch einmal folgende Situationen vor: Ihr wollt Euch in ein Straßencafé setzen und etwas trinken, es gibt mehrere Tische, an denen noch ein oder mehrere Plätze frei sind und auch ein komplett freier Vierertisch – welchen nehmt Ihr? Gleiches Szenario in einer U-Bahn oder einem Zug, viele Zweierreihen mit einem freien Platz und ein freier Vierer – für was entscheidet Ihr Euch? Jemand spricht Euch auf offener Straße an, fragt Euch nach Eurem Tag, versucht einfach, ins Gespräch mit Euch zu kommen – wie reagiert und was antwortet Ihr?

Das wirklich Erschreckende ist, dass ich – ohne, dass ich im Vorwege wirklich weiß, wer diesen Beitrag lesen wird – sagen kann, wie ein Gros der Antworten ausfallen wird: „Ich nehme den freien Tisch bzw. den freien Vierersitz“ bzw. „Ich reagiere ggf. gar nicht und gehe weiter oder, ich sage demjenigen, dass es ihn nichts angeht, was ich mache, woher ich komme etc.“ – habe ich Recht? Wenn ja, warum nur?

Ich habe auf meinen zahlreichen Städtetouren, als auch hier in Hamburg, viele Menschen beobachtet und beobachte mich auch oftmals selbst. Was ich feststelle, erschreckt mich zutiefst und macht mich doch sehr nachdenklich: Ist unser persönlicher Dunstkreis in Deutschland so eng gesteckt, dass wir nichts und niemanden Fremdes eintreten lassen? Haben wir es verlernt, aufeinander zuzugehen, uns ungezwungen mit uns fremden Personen zu unterhalten? Warum fühlen wir uns gleich persönlich angegriffen, wenn wir geduzt werden? Warum wahren wir dermaßen die Form und brechen nicht einmal aus?