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Gedanken-Gänge XXX – Inklusion? Aber nur, soweit die Nichtbehinderten es zulassen!

Inklusion – für viele gehört sie inzwischen zu einem der wichtigsten Güter in unserer modernen Sozialgesellschaft, für andere wiederum ist sie wie ein belastender Klotz am Bein. Diese „Belastung“ bekommt man indirekt vor allem dann zu spüren, wenn man sich die zahlreichen Negativmeldungen von überforderten Lehrern und dergleichen anschaut.

Böse Zungen sagen, dass Inklusion nur dann akzeptabel und umsetzbar ist, wenn sie dem Nichtbetroffenen nichts kostet, weder Aufwand, Nerven, Umdenken oder Geld: Bloß nichts verändern oder anders machen, schon gar nicht, wenns was kostet!

Wie ich in einem früheren Beitrag bereits schrieb, kann Inklusion teilweise auch gar nicht funktionieren, so lange wir Behinderung immer nur als solche, also als eine Einschränkung, betrachten. Denn in der Diskussion schwingt bei Nichtbetroffenen immer der unterschwellige Wunsch mit, dass es irgendwann einmal der Medizin möglich sein sollte, Behinderungen gar nicht erst auftreten zu lassen oder sie später dann zu beseitigen. Bis dahin mögen wir uns bitteschön weiterhin unterbuttern lassen.

Gerade im vergangenen Jahr sorgte ein Vorfall hier in Hamburg, zumindest kurzzeitig, mal für ein wenig Wirbel im Inklusionswasserglas. Der Fall hat sich inzwischen, wenn auch nur annähernd, geklärt, ist aber ein perfektes Paradebeispiel dafür, wie Menschen heute über Teilhabe denken.

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Gedanken-Gänge XXIX – Ist Auflegen ein „Handwerk“, das man erlernen kann? Oder: Gedanken über das DJing

Gestern habe ich mal wieder festgestellt: Man kann nicht alles – wie ein stumpfes Handwerk – erlernen, auch wenn viele dies immer gerne glauben.

Ich war mal wieder als DJ auf ner Hochzeit gewesen. Für gewisse Zeit schaute mir jemand über die Schulter, sehr wissbegierig an Technik, Bedienung der Geräte etc. Nur irgendwann stellte er die Frage, welche Songs man in dieser oder jener Situation am besten spielen könnte? Daran merkte ich, ohne überheblich klingen zu wollen, dass man DJing im Grunde nicht, wie stumpfes Handwerk, betrachten und lernen kann. Man kann lernen, mit Technik umzugehen, sie zu beherrschen, Mixing braucht man fast nicht mehr zu lernen, dies regelt leider meist die Software, da die meisten ja eh nur noch – so mein Eindruck – digital auflegen. Das Gespür für Musik, das sich Auskennen mit Musik, das wirkliche Hören von Musik ist etwas, das man – nach meinem Empfinden – nicht lernen kann. Entweder, du hast es, oder du hast es nicht. Und da hilft dir auch keine Spotify-Party-Playlist. Denn Geschmäcker können auf einer Party unterschiedlicher nicht sein.

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Gedanken-Gänge XXVIII – Vielen Dank fürs Auge leihen oder: Über Alltagshelfer, die keiner mehr eines Wortes würdigt!

Sie sind zur Stelle und stehen einem mit Rat und Tat zur Seite, sie leihen uns manchmal ihr Auge, manchmal helfen sie ungefragt und übereifrig, aber im Grunde kann man sich auf sie verlassen. Sie sind Alltagshelfer, die wir – im Zeitalter von Smartphone und helfenden Apps – jedoch keines Wortes mehr zu würdigen scheinen: Passanten.

Heute, wo fast ein jeder von uns den ständigen, smarten Begleiter mit sich führt und auf selbigem oftmals zahlreiche Apps zur Alltagsunterstützung und Navigation vorhanden sind, scheinen – so zumindest mein persönlicher Eindruck – viele von uns Blinden tatsächlich lieber der technischen Errungenschaft, statt dem menschlichen Auge zu (ver)trauen. Ob nun die App zur Erkennung von Hindernissen, zur Beschreibung von Gegenständen, zur Orientierung in einem bestimmten Terrain oder bei der mobilen Erkennung eines Textes, überall können heute Smartphoneapps zum Einsatz kommen und somit das menschliche Auge ersetzen.

Vielleicht gehöre ich zu der Übergangsgeneration, welche noch ohne smarten Helfer aufgewachsen ist und es somit noch lernen musste, uns auch ohne Technik zu organisieren und die Alltagsherausforderungen zu bewältigen. Wer heute aufwächst, braucht dieses nicht mehr unbedingt, immer mehr Apps sind auf dem „Vormarsch“ und sollen uns Blinden den Alltag erleichtern und somit das fehlende Augenlicht wieder wettmachen.

Unterschwellig schwingt hier eine Grundeinstellung mit, nach der das Alltagsleben nur dann vollkommen zu sein scheint, wenn wir auch wirklich alles ohne sehende Hilfe erledigen und bewältigen können. Dass es keine „Schande“ ist, auch mal die Hilfe Sehender inanspruch zu nehmen, vergessen wir scheinbar im Smartphonealltag gerne mal.

Dabei ist der Sehende oftmals dem Smartphone in Geschwindigkeit und Auffassungsvermögen um Längen voraus! Das Smartphone muss zunächst „prepariert“ werden, d. h. es muss aus der Tasche gekramt, die benötigte App gestartet und die passende Funktion ausgewählt, das Ziel eingegeben oder sonst eine Justierung vorgenommen werden. Dem Passanten brauche ich nur zu sagen, was ich an Hilfestellungen benötige. Er wird vielleicht nochmals genauer nachfragen, kann aber grundsetzlich sofort agieren. Natürlich, auch er kann sich mal irren, nicht richtig hinschauen etc., aber ist nicht das „Risiko“, dass der smarte Helfer etwas nicht richtig erfasst, erkennt und auswertet immens höher?

Und nichts geht über Ortskenntnisse. Denn die Karten meines Handys sind nur so gut, wie sie jemand „gezeichnet“ und programmiert hat. Laut einem Städteplaner, dessen Vortrag ich im vergangenen Jahr lauschen durfte, kann eine Navi-App eine Abweichung zwischen 5 und 25 Metern haben. Im Einbahnstraßengewirr einer Altstadt sind 5-25 M vielzuviel! Das Kartenmaterial wird ständig besser und unsere Karte im Kopf dadurch immer schlechter – dies passiert leider auch bei den Sehenden. Sie vertrauen streckenweise auch nur noch auf ihr Navi, anstatt ihrer Ortskenntnisse. Doch – und dies ist nach meinem Empfinden eher die Regel – hat man sehr häufig schneller jemanden gefunden, der den Weg kennt und auch ansatzweise beschreiben kann. Bevor ich mich mit dem Navi verlaufe, weil die Ortung oder die Karte nicht stimmen, vertraue ich lieber dem Menschen. Irren ist zwar menschlich und ein Verlaufen somit oftmals unumgänglich, unzureichend programmierte Technik ist ärgerlich und dient somit höchstens als ergänzendes Beiwerk und nicht als vollkommener Passantenersatz.

Natürlich – ich lebe in einer Großstadt. In der Millionenmetropole Hamburg findet sich immer jemand, den man fragen kann, es sei denn, ich befinde mich im abgelegendsten Winkel… aber selbst hier hilft dann auch oft kein Navi mehr.

Mit der heutigen Technik könnte ich als Blinder durch Apps oder Zusatzgeräte sogar in der Lage sein, Beschilderungen zu erkennen. Doch um zu wissen, wo sich genau das Schild oder das Display befindet, welches ich lesen möchte, müsste ich einen Sehenden fragen – dieser kann mir das Schild jedoch auch gleich vorlesen und ich laufe nicht Gefahr, dass die Texterkennung nicht richtig funktioniert und ich mich wieder neu ausrichten muss, um das Schild besser mit dem Handykameraauge erfassen zu können.

Technik zu benutzen, so mal die Begründung von einigen Leuten, mit denen ich mich vor einiger Zeit zu diesem Thema ausgetauscht habe, bedeutet auch, sich nicht mehr mit Leuten auseinandersetzen zu müssen, weil sie einem z. B. im Restaurant die Speisekarte nicht vorlesen wollen. Jedoch sollte der Kellner besser über das Angebot, über eventuelle Tagesgerichte etc. Bescheid wissen, welche dann auch nicht in der online verfügbaren Speisekarte verzeichnet sind, die ich vorher hätte herunterladen und lesen können.

Außerdem ist Helfen lassen kommunikativ! Wir können so im Idealfall mit anderen Leuten ins Gespräch kommen, können uns Austauschen; etwas, dass ja heute auch immer mehr an Bedeutung verliert, da ein jeder nur noch mit sich selbst beschäftigt ist und ein Ansprechen für viele schon ein Eindringen in die Privatsphäre bedeutet.

Und auch wenn auch ich in vielen Beiträgen über den Umgang durch sehende Menschen eher negativ berichte und ihn in vielen Punkten kritisiere, so ist es auch mal an der Zeit, genau deswegen einfach mal Danke zu sagen. Danke für unzählige Situationen, in denen wir Eure Hilfe benötigt haben und Ihr uns bereitwillig etwas von Eurer Zeit, quasi Euer Auge oder Euer Wissen geliehen habt. Denn im Zeitalter, wo hierzulande scheinbar ein jeder auf sein Smartphone glotzt und sich selbst nur noch der nächste zu sein scheint, ist sowas leider nicht mehr selbstverständlich.

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Gedanken-Gänge XXVII – Behinderte Studenten essen Negaküsse im Vaterland oder: Über sprachliche Befindlichkeiten und angebliche Diskriminierungen

In letzter Zeit häufen sich Diskussionen und Meldungen z. B. in den sozialen Medien, in denen die sprachliche Diskriminierung diskutiert wurde. Bereits schon seit Jahren ist ein Trend dahingehend zu erkennen, Begriffe und Formulierungen so zu verändern, dass sich durch die reine Verwendung bestimmte Personengruppen weder ausgegrenzt noch diskriminiert fühlen (Beispiel 1: Aus „Studenten“ wurden „Studierende“; Beispiel 2: Aus „Negerkuss“ wurde „Schokokuss“, Beispiel 3: Aus „Zigeunerschnitzel“ wurde „Schnitzel nach Zigeuner Art“).

Jüngst war zu lesen, dass selbst die Frage und somit das unterschwellige Kompliment an einen Imigranten, woher er/sie denn so gut Deutsch könne, bereits als Diskriminierung aufgefasst werden könne, da man so dem Anderen indirekt unterstellen würde, aufgrund seiner Herkunft kaum Sprachkenntnisse zu besitzen – wohl auch „positiver Rassismus“ genannt.

Und ganz zu schweigen von der immer häufiger werdenden Duzerei, von der sich viele Menschen ebenfalls persönlich angegriffen fühlen.

Krampfhaft versuchen wir, es allen sprachlich Recht zu machen. Nur stellt sich mir hier die Frage, ob wir uns mit dieser typisch Deutschen Übervorsicht nicht unsere eigene Grube schaufeln, in die wir immer und immer wieder zu fallen drohen, weil wir zukünftig immer mehr auf der Hut sein müssen, was wir, wann, wo, wie und zu wem sagen?

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Gedanken-Gänge XXVI – Thema Inklusion und Teilhabe oder: Ich soll Verständnis haben… doch warum und wofür?

Schon oft habe ich hier über Inklusion oder Teilhabe geschrieben. Und oft haben sich Teile meiner Aussagen in meinen Beiträgen wiederholt. Soweit nicht schlimm, denn es sind meist die für die wirkliche Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung wichtigsten Punkte, die man immer wiederkäuend anführen muss, weil sie scheinbar nur die wenigsten verstehen… wollen.

Etwas, dass ich in jüngsten Gesprächen wieder einmal feststellen durfte: Ich, als selbst Betroffener, muss Verständnis aufbringen! Doch wofür und warum eigentlich?

Zugegeben mögen die folgenden Zeilen etwas böse wirken. Aber sie sind, wie viele andere in diesem Blog auch, zum Aufrütteln gedacht. Es mag viele Sehende geben, auf die der folgende Abriss nicht zutrifft, die sind herzlich zum „sich an den Kopf fassen“ eingeladen.

Ich möge doch bitteschön Verständnis dafür haben, dass heute, im bereits zweiten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts, viele sehende Menschen immer noch nicht wissen, wie man mit einem Blinden umgeht – nämlich, dass man ihn genauso zu behandeln hat, als könne er sehen. Dies soll nicht bedeuten, dass man unsere Blindheit einfach übergeht, sondern dass man uns ernstnimmt, uns trotz Blindheit gleichberechtigt behandelt und an allem teilhaben lässt. Doch für viele ist Blindheit immer noch ein rotes Tuch und sie sind maßlos überfordert, wie bei anderen Behinderungen auch. Es verschlägt ihnen die Sprache, wenn sie uns sehen, Fragen tauchen in ihrem Kopf auf, die sie sich zu stellen nie trauen, immer mit der Angst im Nacken, uns verletzen zu können. Für all dies und für das oft hinzukommende Mitleid aufgrund unserer Behinderung, dafür soll ich Verständnis haben.

Ich soll Verständnis dafür haben, dass uns Menschen, wie bei einem kleinen Kind, sagen, was wir tun dürfen, wo wir Hilfe benötigen und wo nicht, denn sie können sehen und somit besser beurteilen. Für Ausgrenzungen, Verbote und fadenscheinige Begründungen, alles nur zu unser aller Besten, dafür bräuchte ich wohl auch etwas mehr Verständnis.

Ich soll dann auch noch Verständnis für Diskriminierungen haben, die durch eben skizziertes Verhalten entstehen. Ich soll ruhig sein, nicht aufbrausend werden (weil dies unsachlich und unprofessionell ist) und einfach hinnehmen, denn es gäbe in dieser oder jener Situation ja regeln! Dass diese „Regeln“ von Sehenden aufgestellt wurden und teilweise auch noch gesetzeswidrig sind, interessiert nicht – friss, oder stirb… und hab auch hierfür bitte Verständnis.

Ich soll Verständnis dafür haben, dass in unserem Land vieles für Menschen mit Behinderung immer noch nicht selbstverständlich ist – in anderen Ländern jedoch schon. Dafür, dass viele diesen Vergleich erst gar nicht sehen bzw. hören und sich mit ihm aktiv befassen und auseinandersetzen wollen, weil wir ja in Deutschland und nicht in Land X seien, wäre doch auch ein wenig Verständnis meinerseits wünschenswert.

Und dafür, dass viele Menschen null Verständnis für mich, für meine Situation und für meine Argumente aufbringen können, weil sie es akzeptabel finden, dass man lieber über uns anstatt mit uns entscheidet, dass man uns ausschließt, dass man sich (oft unbewusst) über uns erhebt, ja, selbst hierfür soll ich am Ende Verständnis haben… ich soll also Verständnis dafür haben, dass Andere mich nicht verstehen können/wollen? Und ich soll zudem noch dankbar sein! Dankbar und genügsam, denn die Sehendenwelt tut ja schon so viel für uns… richtig, für uns, aber nicht mit uns; und dafür habe ich mehr als nur kein Verständnis!

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Gedanken-Gänge XXV – Endlich wieder Weltmeisterschaft oder: Wir dürfen wieder Deutsch sein

Ab dieser Woche ist es wieder so weit. Wir dürfen endlich wieder Gesicht Zeigen, uns zu unserem Land bekennen und einmal (alle zwei bzw. vier Jahre wieder) patriotisch sein, denn die Fußball-Weltmeisterschaft steht vor der Tür!

Immer auf einer graden Jahreszahl, meist zur Sommerzeit, beginnt sie, die Fußball-Welt- oder -Europameisterschaft. Die Narren und Närrinnen sind in diesen ein/zwei Monaten außer Rand und Band und das bloß nur, weil das Runde in das Eckige muss und einer am Ende verlieren wird?

Aber ist es nicht so? Eine Fußball-Meisterschaft, ob nun EM oder WM, gilt für viele als Ausnahmezustand und sorgt auch für selbigem. Wo man sich tagsüber auf der Arbeit, Abends mit Freunden, am Telefon mit alten Klassenkameraden noch „normal“ unterhalten konnte, herrscht während der sechsten Jahreszeit vieler Orts ein Ausnahmezustand, der von Nicht-WM-Fans nur schwer nachzuvollziehen ist. Wie gebannt sitzt man vor den Fernsehschirmen oder der nächstbesten Großleinwand. Wie hypnotisiert verfolgt man das Geschehen der heimischen Mannschaft und wie beim Karneval trifft man sich nach gewonnenem Spiel auf den Straßen, um ausgelassen zu grölen, zu hupen und zu feiern. Daher darf eine Fußball-Weltmeisterschaft den Vergleich mit der vor allem in westlichen Gefilden so gefeierten Karnevalszeit nicht scheuen. Der Bierkonsum steigt, die Stimmung ist ausgelassener denn je und scheinbar vorhandene Probleme im eigenen Land werden, zumindest für einen kurzen Zeitraum, bei Seite geschoben, sind medial oftmals gar nicht mehr präsent. Denn es gibt viel wichtigeres, über das es sich lohnt zu reden, zu debattieren und zu berichten.

Etwas, das mich, von Mal zu Mal, immer mehr anödet. Nicht, weil ich mich nicht für Fußball begeistern kann, sondern eher wegen des zwanghaften Mitverfolgens und Mitfieberns der Spiele der heimischen Mannschaft. Wer sonst nichts mit dieser Ballsportart am Hut hat, avanciert in dieser Zeit zum Fußballprofi und diskutiert, was das Zeug hält, über die verlorenen oder gewonnenen Spiele.

Denn diese Häuchlerei bedeutet auch, sich einmal, für rund vier Wochen, zu seinem Land bekennen zu können, ja sogar – je nach Fußballleistung – auch Stolz zu sein. Wir dürfen wieder Deutsch sein, dürfen Fahnen vors Fenster hängen oder uns bei einem Deutschlandspiel mit ihnen bemalen, ohne Angst haben zu müssen, gleich sofort in die rechte Ecke gestellt zu werden. Ist die WM vorbei, verschwinden Patriotismus und Nationalstolz wieder, die Fahnen werden für mindestens zwei Jahre eingemottet und frühestens zur nächsten Europameisterschaft, spätestens jedoch erst wieder zur WM 2022, aus der Mottenkiste geholt – es lebe die Doppelmoral.

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Gedanken-Gänge XXIV – Die Bilder einer Stadt sind zukünftig gesichterlos: Ein paar Gedanken eines blinden Foto- und Videobloggers zur neuen Datenschutzverordnung

Ab dem 25.05. tritt sie endlich in Kraft, die von vielen herbeigesehnte Datenschutzverordnung (DSGVO). In Ihr wird geregelt, inwieweit, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen „Daten“, insbesondere persönliche Daten, verarbeitet und veröffentlicht werden dürfen – einfach heruntergebrochen.

Für viele, vor allem Datenschutzkritiker, ein Grund des Aufatmens, für viele Künstler, Hobbyfotografen und Webseitenbetreiber ein Graus, für Abmahnanwälte Benzin im bereits brennenden Feuer.

Über die umfangreichen Änderungen unseres „Schutzes“ der privaten Daten und unserer Privatsphäre wurden in zahlreichen Vorabartikeln und Blogbeiträgen ausführlichst berichtet, wer sich etwas einlesen möchte, dem seien dieser Blogbeitrag, als auch diese rechtliche Herleitung sowie den Ausführungen auf der Webseite des Rechtsanwalts David Seiler empfohlen.

Mit einer Verlinkung eines anderen Artikels auf Facebook und einer Kommentierung des Artikels, machte ich meinem Frust über diese grandiose Verordnung Luft. Dabei stellte ich fest, dass es durchaus Befürworter selbiger Verordnung und der bald greifenden Regelungen zu geben scheint. Menschen, die nicht mehr so einfach im Internet erscheinen und zu sehen sein wollen, wird stattgegeben. Denn wer filmt oder fotografiert und im Bildmotiv andere Menschen (z. B. Passanten) abbildet, muss zukünftig – so er das Bild online veröffentlichen möchte – nicht nur um „Erlaubnis“ zur Veröffentlichung fragen, sondern sich diese schriftlich bestätigen lassen. Ein Hochzeitsfoto mit den 150 Gästen als Hintergrund, Konzertfotografie oder Aufnahmen einer Sportveranstaltung (und sei es nur des Dorffußballvereins) dürften zukünftig zu einem wahren Organisationsakt werden. Jeder, der sein Bild ungefragt im Netz aufstöbert, soll ab dem 25.05. wohl in der Lage sein, diese Aufnahme zu monieren. Abmahnkanzleien dürften sich bereits jetzt die Finger lecken.

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Zwölf Tage blind durch den Balkan: Ein Reisebericht aus Belgrad, Sarajevo und Zagreb

Frühlingszeit ist für viele Menschen zugleich auch Reisezeit – so auch wieder für mich! Nach kürzeren Trips nach London, Paris, Dresden oder Düsseldorf, jeweils immer in Begleitung, stand mir dieses Mal wieder der Sinn nach Abenteuer!

Zwar ist das Reisen in Begleitung von Freunden oder Partner auch immer ein besonders schönes Erlebnis, da man das Erlebte quasi sofort mit anderen teilt, aber wer mich kennt bzw. meine bisherigen Reiseberichte gelesen hat, der weiß, dass ich sehr häufig nie den einfachsten Reiseweg wähle. Mich reizt das Abenteuer, die Reise (in gewisser Weise) ins Ungewisse, der Kontakt mit anderen Menschen vor Ort. Gerade letzteres entfällt sehr oft, da man – gewollt oder ungewollt – sich eher mit den Leuten unterhält, mit denen man unterwegs ist und nicht das Gespräch mit z. B. Einheimischen sucht.

Ein weiteres Faible sind Groß- bzw. Hauptstädte. Denn wo viele Erholung und Entspannung im Urlaub suchen, suche ich Trubel und das pure Großstadtabenteuer.

Die Wahl fiel mir dieses Mal schwerer. Fest stand aber von Anfang an, dass es nach meinem zehntägigen Mammut-Trip durch Skandinavien vor vier Jahren wieder eine Rundreise durch verschiedene Städte sein soll. In die engere Auswahl kamen zwei mögliche Routen: Baltikum (Riga, Vilnius, Tallinn) oder Balkan-Route (Belgrad, Zagreb, Sarajevo). Da ich die Reise mit Flugzeug vermeiden wollte (irgendwie fliegt man ja immer), ich jedoch bei meinen Recherchen feststellen musste, dass hierfür die Baltikum-Route weniger geeignet ist, entschied ich mich, Ende April diesen Jahres den Südosten Europas zu bereisen: Belgrad, Sarajevo, Zagreb und Ljubljana – alles mit Bus oder Bahn!

Während meiner Reise entstanden nicht nur Reiseberichte in schriftlicher Form. Die Galerien zu den jeweiligen Städten mit insgesamt ca. 800 Bildern findet Ihr unter den folgenden Links: Budapest | Belgrad | Sarajevo | Zagreb | Ljubljana

Aber auch rund 400 Minuten Videomaterial bieten einen kleinen Eindruck von meinen Erlebnissen und geben einen Überblick über die besuchten Orte; meinen Reise-Videoblog findet Ihr in gebündelter Form hier, ausgewählte Videos sowie einige aufgenommene Sounds, sind unter den jeweiligen Tagesartikeln zu finden.

Exkurs: Reisen, als blinder… und dann noch allein?

Sehr häufig werde ich im Zusammenhang mit meinen Reiseunternehmungen gefragt, inwieweit ich solch ein Reiseabenteuer im Voraus plane? Meine Antwort: So gut, wie überhaupt nicht! Natürlich informiere ich mich vorab über meine geplanten Ziele (z. B. über die Reisewikis von Wikitravel oder Wikivoyage), ein richtiges Durchplanen der einzelnen Tage findet jedoch nicht statt. Lieber informiere ich mich jeweils vor Ort und lasse mich durch Empfehlungen oder einen geführten Stadtrundgang am ersten Tag für weitere Aktivitäten inspirieren. Zur Orientierung vor Ort dient mir weder Navi oder eine andere Smartphone-App, da ich für mich persönlich die Erfahrung machen musste, dass Infos von Passanten meist aussagekräftiger und „besser“ waren, als die ihrer elektronischen, digitalen Pendants.

Ich überlasse somit vieles dem Zufall, was das Reisen für mich aber auch interessanter und unvorhersehbarer macht. Die Sicherheit, die viele – vor allem auch blinde Reisende – suchen und brauchen, empfinde ich teilweise (je nach Art und Grund der Reise) eher als störend – oder sagen wir lieber: unnötig.

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Gedanken-Gänge XXIII – Behinderung ist ein Manko oder: Warum Inklusion in Deutschland vielleicht nicht funktioniert

Über das Thema ‚Leben mit Behinderung’ wurde – sowohl in meinem, als auch in anderen Blogs – in den letzten Jahren viel geschrieben. Hinzugekommen ist seit geraumer Zeit auch das Themenspektrum der sog. „Inklusion“. Für viele ist dieses Wort bereits zum Unwort verkommen, da Inklusion in vieler Munde ist, vielerorts diskutiert wird und am Ende – so die Einschätzung vieler – eh wieder nichts dabei herauskommt. Und es gibt, so zumindest mein persönlicher Eindruck, auch gute Gründe, die diese Vermutung untermauern.

Inklusion wird scheinbar hierzulande meist im Zusammenhang mit Bildung gesehen. Hörte man in der Vergangenheit – beispielsweise im hinter uns liegenden Bundestagswahlkampf – etwas über Inklusion, so ging es meist um das Thema der Beschulung von Menschen mit Behinderung. Doch ist Inklusion nicht eigentlich viel viel mehr, als nur die Frage, wer wann wie und wo beschult werden sollte?

Inklusion bedeutet auch gleichberechtigte Teilhabe, nicht nur an Bildungsangeboten! Doch hiervon sind wir in Deutschland streckenweise noch meilenweit entfernt. Warum dies so ist, lässt sich nur erahnen.

Ein Grund könnte sein, dass Behinderung – sowohl von selbst Betroffenen als auch nichtbehinderten Menschen – immer noch als Manko gesehen wird. Wir sehen immer noch das, was wir nicht können, anstatt die Chancen und Möglichkeiten zu erkennen, die wir – trotz Behinderung – heutzutage haben und die andere ebenfalls haben können. Behindert ist für viele ein Schimpfwort. Auch wenn ich zu Beginn meiner Bloggertätigkeit das Wort vermieden habe, habe auch ich als selbst blinder Mensch inzwischen für mich gelernt, dieses Wort zu akzeptieren und auch zu nutzen. Ob wir jedoch „schwer“- oder „schwerst“-behindert sind, lassen wir mal ganz außenvor.

Die eigene oder die Behinderung anderer Menschen zu akzeptieren, scheint für viele auch heute noch ein großes Problem darzustellen. Behinderung ist ein Makel, ohne welches es sich besser (oder einfacher?) leben ließe. Das „Einfacher“ wird jedoch meist durch die nichtbehinderten Mitmenschen festgelegt und definiert. In ihrer Deutschen Fürsorglichkeit versuchen sie uns oft, Sicherheit zu vermitteln und beschützend uns vor dieser oder jener „Gefahr“ zu bewahren. Sie meinen entscheiden zu können, was wir brauchen und wollen – ein alter Hut, den ich in zahlreichen, älteren Artikeln bereits behandelt habe.

Jüngst der Fall eines Braunschweiger Arztes erregte meine Aufmerksamkeit und war mit der Auslöser für diesen Artikel. Eine Mutter entschied sich, bei ihrem gehörlosen neugeborenen Kind eben kein sog. CI-Implantat einsetzen zu lassen, durch das es hätte (bedingt) hören können – eigentlich ihr gutes und (aus meiner Sicht) verständliches Recht. Dieser Fall wird nun vor Gericht ausgetragen, da sowohl der HNO-Arzt der Braunschweiger Klinik als wohl auch das Jugendamt anderer Auffassung waren. Doch warum diskutieren wir hier überhaupt über so etwas? War die Aufklärungsarbeit von Behindertenverbänden in den letzten Jahrzehnten so sinnlos und für umsonst gewesen, das immer noch derartige Ansichten bzgl. Einer angeborenen Behinderung vorherrschen? Sind wir vielleicht im öffentlichen Leben noch nicht präsent genug, dass Behinderung – wie Segelohren, eine krumme Nase, ein wenig Hüftgold oder ein anderes, banales Etwas – als etwas gilt, dass es „abzustellen“ oder zu „beseitigen“ ist.

Es ist schön, wenn Forscher einen Weg finden, gehörlose wieder bedingt hörend zu machen, es Versuche gibt, Sehnerven gentechnisch zu erzeugen, es Prothesen für Hände, Beine, Hüfte etc. gibt, welche dem Träger das Leben erleichtern könnten – dies steht ganz außer Frage. Die eher ethische Frage ist jedoch, was machen derartige Möglichkeiten mit uns und unserem Denken über Behinderung?! Denn die Möglichkeit einer Möglichkeit ist doch für viele sicherlich schon Grund genug, Behinderung weiterhin als Manko zu sehen – es gäbe ja eine Alternative. Was wird eben aus den Leuten, die eben nicht bei jeder noch so kleinen Chance, ihre Behinderung ad acta zu legen, laut „hier!“ schreien werden? Warum? Weil sie sich, ihre Behinderung und ihr Leben so akzeptieren. Es ist keine hinnehmende Akzeptanz („Ich kann doch eh nichts an meinem Schicksal ändern…“), sondern eine erfüllende Akzeptanz, weil derjenige sein Leben aus seiner Sicht uneingeschränkt leben und auch genießen würde und nicht ewig in Selbstmitleid und Lethargie versinkt. Dieses ewige „Du könntest doch, warum tust du nicht?!“ bringt uns in unserer Diskussion um mehr Teilhabe und Inklusion überhaupt nicht weiter. Im Gegenteil! Es ist ermüdend, sich und sein Handikap immer und ewig erklären zu müssen. Wenn wir uns akzeptiert haben und mit unserer Behinderung im Reinen sind, ist Mitleid – in welcher Form auch immer – das Letzte, das wir brauchen.

Denn genau darum ist es – nach meinem Empfinden – hier in Deutschland ja so schwer, Inklusion wirklich zu (er)leben! Weil wir das Übel nicht an der Wurzel packen und uns lieber hinter Bildung und baulicher Barrierefreiheit verstecken. Inklusion und Barrierefreiheit fangen jedoch im Kopf eines jeden von uns an. Wenn wir immer nach Lösungen forschen, wie man Behinderungen beseitigen könnte, werden wir nie Behinderungen als solche zu akzeptieren und mit ihnen umzugehen lernen.

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Als Blinder im HSV-Stadion – ein kleiner Erfahrungsbericht

Sich Blind ins Getummel zu stürzen ist, egal ob auf Weihnachtsmarkt, Kirmes, Konzerten oder ähnlichen Veranstaltungen, manchmal eine wahre Herausforderung. Selbst Sehenden ist das Gewusel und das Gedränge oftmals schon zu viel des Guten.

Besonders mag dies auch für Fußballstadien gelten, denn zichtausende Besucher tummeln sich an einem Spieltag auf den diversen Rängen und Tribünen.

Nichts desto trotz wollte ich wissen, ob ein Stadionbesuch als blinder Besucher (ohne sehende Begleitung) machbar ist: Inwieweit wird einem blinden Gast Seitens des Ordnungs- und Securitypersonals geholfen? Wie hilfsbereit sind andere Fußballfans? Wie gestaltet sich die Anreise zum Stadion? Diesen Fragen sind wir, Björn Peters (selber blind) und ich, am vergangenen Sonntag – beim Spiel HSV gegen Hannover 96 – auf dem Grund gegangen!